»Die Evolution des Denkens«: Entdecken Sie Carl Sagan!
Wie hat sich unser Denken und damit unser Blick auf die Welt im Laufe der Zeit verändert? Man könnte annehmen, dass die kognitive Entwicklung der Menschheit vor allem durch Veränderungen des Gehirns geprägt wurde. Das trifft auch für den größten Teil der menschlichen Evolution zu: von vor etwa zwei Millionen Jahren bis zum ersten Auftreten des Homo sapiens in Afrika vor 300 000 Jahren. Auch in den folgenden 265 000 Jahren lässt sich eine Entwicklung hin zu einem größeren und komplexeren Denkorgan beobachten. In den letzten 35 000 Jahren wirkt es jedoch so, als stagniere dieser Prozess. Die Veränderungen, die Wahrnehmung und Denken seitdem durchlaufen haben, scheinen nicht physiologisch begründet zu sein.
Doch was hat unsere Sicht auf die Welt seitdem bestimmt? Michael Schmidt-Salomon vertritt die These, dass die Menschheit in ihrer jüngeren Geschichte vor allem von großen Denkern und deren Umfeld vorangebracht wurde. Es sind also nicht nur diese wenigen Menschen selbst, denen der Autor diese Wirkmacht zuschreibt, sondern auch die Epoche, in der sie lebten, sowie ihre Zeitgenossen. Für Schmidt-Salomon sind Ideen immer das Ergebnis eines Zusammenspiels von Persönlichkeit, Ort, Zeit und Umfeld.
Schmidt-Salomon, Philosoph, Autor und Gründer der Giordano-Bruno-Stiftung, dürfte den meisten wohl als medienwirksamer Religionskritiker bekannt sein. In »Die Evolution des Denkens« stellt er zehn wichtige Persönlichkeiten vor, die ihm zufolge unser modernes Weltbild nachhaltig geprägt haben. Im Anschluss daran wagt er noch einen Ausblick auf mögliche Veränderungen in der Zukunft. Wie immer bei solchen Listen stellt sich die Frage nach der Auswahl. Der Autor adressiert diese in der Einleitung. Er betont zunächst, dass es nie nur eine Person sei, die eine bahnbrechende Idee allein, sozusagen im luftleeren Raum, hervorbringe. Und er weist darauf hin, dass seine Zusammenstellung nicht erschöpfend sei – es handele sich um zehn wichtige, aber nicht um die zehn wichtigsten Persönlichkeiten. Es fällt auf, dass es sich dabei überwiegend um Persönlichkeiten der westlichen Hemisphäre handelt und Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Dies mag damit zusammenhängen, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit freies Denken und neue Gedanken eine Epoche nachhaltig prägen können, Frauen und Menschen aus anderen Weltregionen daher nicht in diesem Maße wirksam werden konnten. So gab es in den bestehenden patriarchalen Strukturen bis vor wenigen Jahrzehnten kaum Möglichkeiten für Frauen, sich an institutionalisierter Forschung und geistiger Arbeit zu beteiligen. Ähnliches gilt für Menschen im globalen Süden in Zeiten des Kolonialismus.
Für viele eine Entdeckung: Carl Sagan
So stellt Schmidt-Salomon die Leben und bedeutendsten Gedanken von Charles Darwin, Albert Einstein, Marie Curie, Friedrich Nietzsche und anderen vor. Die Zusammenfassungen, die jeweils um die 30 Seiten umfassen, lesen sich sehr flüssig. Der einfache und gefällige Stil sorgt dafür, dass auch bei den Abhandlungen über weniger bekannte Denker keine Verwirrung aufkommt. Hierin liegt die große Stärke des Werks: Es bringt besonders jüngeren Lesern einige Intellektuelle näher, die ihnen kaum mehr bekannt sein dürften. So ist die Bedeutung der Gedanken des Astronomen Carl Sagan für unser heutiges Weltbild und Selbstverständnis kaum zu überschätzen. Ganz nebenbei beschrieb er als einer der Ersten den Treibhauseffekt auf der Venus, übertrug diesen auf die Erde und wies darauf hin, dass ihr ohne einen umfassenden Umweltschutz ein ähnliches Schicksal drohe wie unserem heißen und unbewohnbaren Nachbarplaneten.
Vor allem bei Denkern, die sich den Themen Religion oder Spiritualität nähern, drängt sich die religionskritische Einstellung des Verfassers sehr auf. Wer damit aber leben kann, wird von diesem Buch profitieren, das auch Lesern ohne große Vorkenntnisse eine Menge Wissenswertes über einige der wichtigsten Intellektuellen und ihre Ideen vermittelt.
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