»Die Königin«: Nofretete – einfach schön?
Zuweilen fragt man sich, warum Dinge nicht einfach schön sein dürfen – wie zum Beispiel die Büste der Königin Nofretete. An diesem Punkt setzt das Buch des Berliner Globalhistorikers Sebastian Conrad ein und lässt den Leser anschließend in die atemberaubende Geschichte dieser Büste im 20. Jahrhundert eintauchen. Dabei wird schnell deutlich, dass hinter der Frage nach der Schönheit der alten ägyptischen Büste eine viel weitergehende, aktuelle Problematik steckt:
Wem gehört die Büste?
Mit dieser Frage hat Anfang des 20. Jahrhunderts die Geschichte eines Konflikts begonnen, der auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch lange nicht ausgestanden ist. Sebastian Conrad gelingt es, diese Geschichte nachvollziehbar aufzubereiten und in die Lebenswelt beider Jahrhunderte mit all ihren politischen Friktionen einzubetten.
Mit der Entdeckung des Bildnisses Nofretetes im Jahr 1912 durch den Arbeiter al-Sanusi in Tell el-Amarna am Ostufer des Nils in Mittelägypten ist ein bis heute nicht aufgeklärtes Rätsel verbunden: War die Ausführung des archäologischen Relikts nach Berlin sowohl im juristischen als auch im moralischen Sinne korrekt? Und, wenn sie korrekt war: Warum wurde der Besitz der Statue zunächst geheim gehalten? Wieso wurde die Nofretete erst 1924 der Berliner Öffentlichkeit gezeigt? Die junge Regierung Ägyptens stellte schon zu dieser Zeit die Forderung, die Büste wieder in ihr Land zurückzubringen.
Das neue Schönheitsideal
In Berlin hingegen entwickelte die erstmalige Ausstellung der Nofretete eine eigene, nicht geahnte kulturelle Dynamik. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich in Europa und Nordamerika das weibliche Schönheitsideal verändert. Der Typ der »schlanken Frau« wurde in den 1920er Jahren als neues Ideal kreiert und in dem Hollywoodstar Greta Garbo personifiziert. Nofretete passte perfekt in dieses Bild, und die aufkommende Medienrevolution führte dazu, dass sie in kurzer Zeit weltweit bekannt und zur Ikone wurde.
Die westlichen Intellektuellen jener Zeit feierten Nofretete als Botschafterin vom Ursprung der europäischen Zivilisation, da es für sie selbstverständlich war, dass sich die Traditionslinie der Hochkultur vom antiken Ägypten über Griechenland und Rom bis in die europäische Gegenwart zog. In der breiten Öffentlichkeit und unter den Intellektuellen wurde Nofretete folgerichtig zu einer »weißen Europäerin«.
Gegen diese Vereinnahmung regte sich schon sehr früh Widerstand, nicht nur in Ägypten, sondern auch in den anderen Teilen der Welt. Die Nofretete wurde im Verlauf der Jahrzehnte zu einem Politikum. Der Ägyptologe Zahi Hawass ist der Ansicht, dass sie nach Ägypten gehört, da die Frage des Eigentums mit den Fragen der kollektiven Identität verknüpft sei und daher nur Ägypter ihre wahre Bedeutung erfassen könnten, wohingegen Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Jahr 2012 die Königin als unbestrittenes Eigentum des Berliner Museums betrachtete. Schließlich sei die Berliner Museumsinsel ein Universalmuseum.
Nelson Mandela sah hingegen in Ägypten die Wiege der afrikanischen Zivilisation. Im afroamerikanischen Bereich wurde Nofretete schon in den 1920er und 1930er Jahren als Afrikanerin begriffen, und der Auftritt der Sängerin Beyoncé 2018 im Stil der ägyptischen Königin galt vielen als ein symbolisches Eintreten für die Rechte afroamerikanischer Frauen.
Aber auch unerwartete historisch-politische Bezüge tun sich im Blick auf die Königin und das alte Ägypten auf: Mittelamerika, China, Brasilien und Bengalen suchten Bezugspunkte zu dieser antiken Zivilisation. Es gibt, so resümiert Conrad, heute nicht nur eine, sondern viele Nofretetes.
Die Ironie der Geschichte ihrer so vielfältigen Deutung und Vereinnahmung ist, dass über die historische Nofretete als Gattin des lange vergessenen Pharaos Echnaton (Krönung um 1353 v. Chr.) sehr wenig bekannt ist. Man schließt also das Buch mit der Hoffnung, dass in Zukunft, vielleicht durch einen glücklichen Zufall, mehr Informationen über das Leben dieser faszinierenden Königin zu uns gelangen.
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