»Hoffnung«: Hoffnung light
»Zwei Drittel aller Ehen enden in Scheidung«, bemerkt der Wiener Schriftsteller Philipp Blom. Und nur sechs Prozent der Langzeitbeziehungen verdienen sich diesen Namen. Trotzdem verkündet Blom: »Wir leben für diese sechs Prozent.«
So will Blom eine kluge Hoffnung präsentieren, schließlich versteht sich Hoffnung – eine der drei christlichen Kardinaltugenden – nicht mehr von selbst, gerade für säkular eingestellte Menschen, an die sich das Buch in erster Linie richtet. Zudem ist es im Stil einer Briefsammlung an einen jungen Menschen geschrieben, der Blom um Rat fragt. Das macht das Buch zu Ratgeberliteratur.
Hoffnung erscheint Blom in einer Welt, die durch die Klimaerwärmung, das Artensterben und die künstliche Intelligenz vor dem Abgrund steht, umso nötiger. Die Apokalypse wurde schon von vielen verkündet – »aber diesmal ist es wahr«, so Blom. Freilich haben Apokalyptiker das immer schon behauptet. Aber im wissenschaftlichen Zeitalter ist natürlich alles anders.
Blom ist sich dessen bewusst, dass man mit dem Verkünden von Hoffnung auch Grausamkeiten und Verbrechen den Weg bereiten kann, wie die Geschichte beweist. Hoffnung ist für Blom daher vor allem kein blinder Optimismus, der die Augen vor der Realität verschließt. Denn »das könnte eine dumme, verblendete Hoffnung sein, die sich weigert, die verzweifelte Realität anzuerkennen, eine Flucht vor der Wirklichkeit. So hoffen Idioten. Deswegen nannte Karl Marx Religion ›Opium fürs Volk‹.«
Das ist leider falsch: Marx schrieb »Opium des Volks«, verstand das Opium also wie den Schnaps, den sich das Volk bekanntlich selbst besorgt, also nicht als etwas, das ihm verordnet wird, um es ruhig zu stellen. Aber auch Hegel ist Blom erklärtermaßen zu schwierig, scheint ihm doch die philosophische Kärrnerarbeit des Verstehens zu mühsam. Camus, einen seiner Kronzeugen, interpretiert er unpolitisch, als habe Camus nur über allgemeine Bedingungen der Menschlichkeit geschrieben. Dabei übersieht Blom geflissentlich, dass Camus die Philosophie des Widerstands gegen den Nationalsozialismus entwickelt hat, und zwar unter den Bedingungen der Zensur.
Bekannte Appelle
Dabei propagiert Blom eine »Art von erwachsener Hoffnung« und fordert einen »Funken von intellektueller Ehrlichkeit«. Er will nicht zu den Bauernfängern gehören, die mit Hoffnung ihr Geschäft machen. Zur Beunruhigung des jungen Menschen, den er anspricht, erklärt er, dass es frühere Generationen einfacher hatten: »Das ist jetzt vorbei«, nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern vor allem mit Blick auf den Sinnverlust, unter dem, so der Autor, alle leiden.
Denn Blom weiß, dass der Mensch ein Tier ist, das ohne Sinn nicht leben kann. Es wird handlungsunfähig, wenn es sich einer Welt reiner Zufälle ausgesetzt sieht. Daher muss man die unendliche Komplexität der Welt reduzieren – was nur funktioniert, wenn man vertrauenswürdigen Personen glaubt, den weisen Älteren, heute: der Expertin, dem Experten; wem sonst! Oder eben: Blom!
Die »Sehnsucht nach Sinn« sei, meint Blom, so raumgreifend wie die Sexualität und »fordert ihren Platz. Und wenn du ihr keinen gibst, dann nimmt sie sich einen«, belehrt Blom den jungen Menschen und ergänzt, dass dies ohne Religion im Hintergrund nicht funktioniere. Dabei soll sich der junge Mensch durchaus als körperliches Wesen verstehen, das im Einklang mit der Natur lebt. »Mit Hoffnung leben heißt auch ganz einfach wieder zu lernen, dass du Natur bist [...].«
Selbstredend verlangen ein solcher Sinn eines Daseins im Einklang mit Natur und Gesellschaft sowie eine damit verbundene »kluge Hoffnung« vor allem Disziplin, Übung und als Voraussetzung auch Bildung – und zwar nicht nur vom jungen Menschen. »Hoffnung ist nur dann möglich, wenn sie Handlungsspielräume öffnet, die Fähigkeit, aus sich selbst heraus Veränderung zu bewirken.« Das hält Blom für »überlebenswichtig«, schließlich stehe die Welt ja vor dem Untergang. Oder könnte diesen eine solche »schöpferische Freiheit« verhindern? Blom ist sich nicht sicher.
Jedenfalls brauchen ›wir‹ dazu laut Blom eine gemeinsame Geschichte, Solidarität und Vertrauen, aus denen heraus dann auch wieder Zukunft entstehen könne. ›Wir‹ müssten Nihilismus und Individualismus bekämpfen und dürften ›uns‹ nicht mit der kapitalistischen Welt des Marktes zufriedengeben. Das ist alles nicht gerade neu, sondern bestimmt seit mindestens zwei Jahrzehnten den Zeitgeist.
Wer sich von diesem gängigen Verständnis belehren lassen will, lese das Buch! Philosophisch muss man vor ihm eher warnen: als nicht empfehlenswert!
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben