Der lange Weg zum Frieden
Im Mai 2021 geschah es erneut: Die Hamas schoss Granaten auf israelische Städte, während Israelis ihrerseits mit einem Bombardement des schmalen, isolierten Küstenstreifens reagierten. Nach mehr als 70 Jahren seit der Staatsgründung Israels ist der Nahostkonflikt einer Lösung offenbar kein Stück näher gekommen. Dabei gab es in der Geschichte immer wieder Annäherungen und Bestrebungen, zumindest teilweise aufeinander zuzugehen und einen Friedensvertrag auszuarbeiten. Doch alle Versuche sind bislang gescheitert.
Kritische Auseinandersetzung mit sich selbst und der Politik
An vielen dieser zahlreichen Schlüsselereignisse der letzten Jahrzehnte war Ami Ajalon, der ehemalige Direktor des israelischen Inlandgeheimdienstes »Schin Bet«, direkt oder zumindest indirekt beteiligt. In dem Buch »Im eigenen Feuer« schildert Ajalon seine Erinnerungen daran und erklärt, wie sich seine Sichtweise auf die Problematik mit den Jahren gewandelt hat. Die Erwartung, dass das Buch eines ehemaligen israelischen Elitesoldaten und Geheimdienstchefs eine einseitige, proisraelische Sicht auf den Konflikt wirft, täuscht: Ajalon kritisiert die israelische Politik hart und versucht, sich immer wieder in die Lage der in die Ecke gedrängten Palästinenser zu versetzen. Damit erhält man einen differenzierten Blick auf einen der verfahrensten Konflikte der aktuellen Zeit.
Bevor Ajalon, der sich weder als politisch links oder rechts eingestellt betrachtet, zu diesem breit gefächertem Blick in der Lage war, lebte er das Leben eines »vorbildlichen« israelischen Patrioten: Er wuchs in einem Kibbuz auf, absolvierte den Wehrdienst und landete bei der Eliteeinheit der israelischen Marine, der Schajetet 13, vergleichbar mit den Navy SEALs. Dort hinterfragte er keine politischen Entscheidungen, sah die Palästinenser meist als Feinde.
Doch je weiter er aufstieg und Verantwortung übernahm, desto mehr wandelte sich sein Weltbild – bis er immer vehementer für eine für beide Konfliktparteien zufrieden stellende Zwei-Staaten-Lösung eintrat. Das gipfelte schließlich Anfang der 2000er Jahre in der Friedensinitiative »People's Voice«, die er gemeinsam mit dem palästinensischen Philosophen Sari Nusseibeh gründete. Dabei schildert er immer wieder die zermürbenden Diskussionen mit unterschiedlichen Politikern, unter anderem während seiner Zeit als Direktor des Schin Bets: wie er versuchte, sie zu Kompromissen zu bewegen, um guten Willen zu zeigen, und wie sie seinen Rat – und den anderer – immer wieder ignorierten. Seine Bemühungen führten schließlich zu dem Versuch, selbst eine politische Karriere zu beschreiten, die er inzwischen aber wieder aufgegeben hat.
Der Autor geht in seinem Werk sowohl mit Israel als auch mit sich selbst hart ins Gericht. Er schildert, wie er, ohne es zu hinterfragen, sich auf jahrtausendealte Geschichte bezog, um seinen Anspruch auf das »heilige Land« zu rechtfertigen. Viele versäumten es aber, betont er, sich mit der viel kürzer zurückliegenden Geschichte zu identifizieren: jener der Juden, die in der Diaspora lebten – der Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern. Durch zahlreiche Gespräche mit Freunden, Verwandten, Gelehrten und Schriftstellern kommt Ajalon zu seinem Schluss, weshalb Israel »im eigenen Feuer« gefangen sei: »Als Einzelne sind wir Israelis Bürger einer Start-up-Nation, Optimisten mit einer zupackenden Haltung. Aber in unserem Gemeinwesen – in unserem Wahlverhalten, unseren militärischen Taktiken und im Gefühl für unseren Platz in der Welt – herrscht die Angst.« Dies sei der Grund, warum Israel, trotz seiner militärischen Überlegenheit, im Patt mit den Palästinensern gefangen sei.
Das Buch bietet eine überaus interessante und differenzierte Sichtweise auf den Nahostkonflikt und belegt viele Aussagen und Berichte mit Referenzen, die in einem umfangreichen Literaturverzeichnis nachzuschlagen sind. Zudem verweist Ajalon immer wieder auf sehr empfehlenswerte Werke, unter anderem die des israelischen Schriftstellers Amos Oz, des israelischen Journalisten Avi Shavit oder des palästinensischen Philosophen Sari Nusseibehs. Wer allerdings bisher erst wenig über die geschichtlichen Hintergründe des Konflikts weiß, muss womöglich häufiger einige der genannten Ereignisse nachschlagen, da der Autor die geschichtlichen Zusammenhänge oft nur kurz anreißt.
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