»Nutztiere«: Tierwohl – mehr als nur Utopie
Über eine Haltung von Nutztieren, die endlich auch deren Wohlergehen berücksichtigt, wird seit vielen Jahren diskutiert. Zum agrarwissenschaftlichen Studienplan gehört aber in der Regel immer noch das Fach »Tierproduktion« – und nicht etwa »Tierhaltung«. So vermissen auch der Bioagrarwissenschaftler und Aktivist Bernward Geier, die Politikerin Renate Künast und die Tierwohlexpertin Stefanie Pöpken ein umfassendes und fachlich fundiertes Buch über eine artgerechte Haltung. Und zumindest in diesem Punkt will das Trio nun Abhilfe schaffen. »Grundpfeiler unseres Buches ist es, den Blick auf Strategien und Lösungen zu lenken«, schreiben sie im Vorwort von »Nutztiere – Mehr als eine Frage der Haltung«. Neben ihren Beiträgen bietet das Buch aufschlussreiche Texte von zehn weiteren Autoren.
Im ersten Teil wird einen Rückblick auf die Entwicklung der industriellen Nutztierhaltung geworfen, die es erst seit rund 100 Jahren gibt. Die Autoren beschreiben dabei auch deren fatale Folgen wie zum Beispiel den Rückgang der Artenvielfalt oder die Umwelt- und Gesundheitsprobleme, die Mensch und Tier aus dem massiven Einsatz von Medikamenten erwachsen.
Tierleid entstehe dadurch, dass Tiere wie Gegenstände oder Maschinen behandelt werden. Tatsächlich seien sie aber Lebewesen, die Emotionen haben und leidensfähig sind. Wie wir Menschen spürten sie Angst, Wut, Trauer und Schmerz. Die Autoren veranschaulichen die so benannten Probleme, indem sie ursprüngliche Lebensweisen oder traditionelle Haltungsformen der heutigen industriellen Haltung unserer Nutztiere – von Rindern über Puten bis zu Fischen in Aquakulturen – gegenüberstellen. Rinder etwa wurden früher gern frei in Hutewäldern gehalten und dort dreifach genutzt – als Zugtiere sowie als Milch- und Fleischlieferanten. In der Hochleistungszucht wurden sie dagegen auf schnellen Fleischansatz oder ein anderes spezifisches Merkmal getrimmt. Dabei müssen sie nicht artgerechtes Futter verdauen und extrem beengt auf Spaltenböden leben. Eigentlich können Kühe an die 30 Jahre alt werden, ist zu erfahren. Rasch ausgelaugt, würden sie heutzutage aber schon nach vier bis fünf Jahren geschlachtet. Bilder illustrieren die beschriebenen Zustände eindrucksvoll. Dazu passen die Aussagen des Tierarztes Rupert Ebner zum Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung. Allzu gut kommen seine Berufskollegen dabei nicht weg …
Ein Modewort mit Sinn erfüllen
Die folgenden Kapitel beleuchten das natürliche Verhalten von Tieren. Eine wissenschaftliche Definition des Begriffs »Tierwohl« gebe es nicht, erfährt man hier. In der Regel liege der Schwerpunkt bei Diskussionen zu diesem Thema daher auf der physischen Gesundheit. Lebensqualität müsse diese aber nicht umfassen. Solange wir ein positives Empfinden bei Tieren nicht messen können, sollte nach Ansicht der Verfasser bei der Beurteilung der Problems, ob bestimmte Bedingungen dem Tierwohl gerecht werden, zumindest die Frage berücksichtigt werden, wie frei die Tiere ihr Verhalten zeigen können.
In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, wie Transport und Schlachtung unter dem Aspekt Tierwohl gestaltet werden müssten. So werden etwa Schweine – von Natur aus neugierig, intelligent, reinlich und mit einem hochsensiblen Rüssel ausgestattet – mit Hilfe von Elektrozangen getötet oder durch Kohlendioxid grausam erstickt. Die Beschreibungen mobiler Schlachtungsformen zeigen, dass dies auch anders und für die Tiere relativ angstfrei gestaltet werden kann. Für Geflügel seien diese »milderen« Formen der Tötung seit über zehn Jahren offiziell zugelassen, während es bei Rindern und anderen Tierarten oft noch regulatorische Hürden gebe.
Diskussionen um Programme, Gesetze und Projekte
Ergänzend gibt die erfahrene Tierwohlexpertin Pöpken einen Überblick über Tierwohlprogramme, so unter anderem über das Label, das die Haltungsform anzeigt. Verbraucher könnten jedoch die hier angegebenen, vom jeweiligen Platzangebot abhängigen Stufen oft nicht richtig einschätzen, kritisiert sie. Für sie charakteristisch klare Worte findet Renate Künast in ihrem Beitrag zum politischen Engagement. Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlen – etwa, wenn sie sich für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung ausspricht: »Niemand soll sich verstecken können und mit unzutreffenden Werbebildern einen unfairen Wettbewerbsvorteil haben.« Sie fordert, das Strafmaß bei Verstößen im Kontext gewerblicher Tierhaltung zu erhöhen, und spricht sich dafür aus, dass immer weniger Tiere immer besser gehalten werden – verbunden mit dem Ziel, funktionierende ländliche Räume zu bewahren.
So geht’s!
Der zweite Teil des Buchs widmet sich 16 Höfen, die als »Best Practice«-Beispiele präsentiert werden. Die abwechslungsreich und in einem persönlichen Ton beschriebenen Betriebsporträts zeigen, wie Nutztierhaltung auch anders als heute üblich gelingen kann. Als Pioniere für eine artgerechte Tierhaltung gelten dabei beispielsweise die »Herrmannsdorfer Landwerkstätten« mit ihrer symbiotischen Biolandwirtschaft: Schweine und Masthähne werden hier zusammen und in überschaubarer Herdengröße in einem Koppelsystem gehalten. Als angemessen gilt auch die Haltung der rund 2300 Bio-Waldlandputen vom »Biohof Zieslübbe« in Mecklenburg-Vorpommern, die tatsächlich, wie ursprünglich, im Wald und auf angrenzenden Wiesen leben dürfen. Eine einzigartige ammengebundene Putenaufzucht lernt man dann beim Hof »Heide-Geflügel« in Niedersachsen kennen, eine an die Mutterkuh gebundene Kälberaufzucht bei »De Öko Melkburen« in Schleswig-Holstein. Ausgewählt haben die Verfasser auf »Bio« spezialisierte ebenso wie konventionelle, kleinere wie auch größere Betriebe.
Insgesamt ist Geier, Künast und Pöpken ein unbedingt lesenswertes Buch gelungen. Es liefert ein gutes Grundlagenwissen zum Thema und greift wichtige Diskussionspunkte auf. Auch wenn mitunter Begriffe verwendet oder Themen angesprochen werden, die für die meisten Laien erklärungsbedürftig sein dürften, macht das dennoch Buch klar: Eine andere Haltung tut – zum Wohl der Tiere – not. Der für die Landwirte damit verbundene Aufwand lohne sich für alle Seiten, so seine Botschaft. Und, ja: Wir Verbraucher müssten bereit sein, das zu bezahlen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben