»Schreibers Naturarium«: Lust auf Natur
Die Autorin, gelernte Biologin, arbeitet sehr erfolgreich in einer literarischen Gattung, die seit einigen Jahren Hochkonjunktur hat: Unter dem Namen »Nature Writing« erscheinen Bücher mit Naturbeschreibungen nach (subjektiven) Beobachtungen und Empfindungen eines Menschen, meist als Ich-Erzähler, im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen (objektiven) Sachbuch. Letzteres beherrscht Jasmin Schreiber allerdings auch: als Wissenschaftsjournalistin beim Rundfunk und in anderen Medien wie GEO oder Spektrum der Wissenschaft.
Sie erweist sich in diesem Buch wirklich mit jedem Satz als eine begeisterte Liebhaberin der Natur, im wahrsten Sinne des Wortes als eine »Wald-und-Wiesen-Biologin«, anerkennend gemeint in Bezug auf ihre Forschungsobjekte aus der nächsten Umgebung und ihre spezielle Vorliebe für das Leben der Insekten. Dabei hat sie so gewaltige Mengen an interessanten, erzählenswerten Beobachtungen zusammengetragen, dass eine Ordnung vonnöten wurde. Die Lösung dafür bot ihr der Jahreslauf. In zwölf Kapiteln und einem Nachschlag unter dem Titel »Winterschlaf« wird das Pensum bewältigt. Sogar einen eigenen Namen hat sie dafür erfunden: »Naturarium«.
Es beginnt mit dem Winterhimmel, den Moosen und Wintervögeln, dann kommen der Dachs und die Frühblüher im Wald, später, im Sommer, Schwalben und Schmetterlinge, und es endet weiter hinten bei Hornissen, Kranichen und Kegelrobben, um nur eine nur kleine Auswahl zu nennen. Der Text wird aufgelockert durch viele sehr schöne und geschmackvoll gestaltete Bilder, die die Autorin selbst geschaffen hat. Die Vielseitigkeit der aufgeworfenen Themen macht das Buch so auch zu einer Art Naturführer mit einem Schwerpunkt auf dem Text.
Um das Engagement der Leser für die Natur zu fördern, wird in jedem Monat zur Motivation eine interaktive Tätigkeit vorgeschlagen und zur Hilfe die Durchführung bis in alle Einzelheiten beschrieben: ein Naturtagebuch anlegen, einen (kleinen) Naturgarten auf dem Balkon gestalten, ein Herbarium aufbauen, eine Foto-Lovestory filmen oder fotografieren, eine Natur-Collage basteln, Blüten zum Leben erwecken, den Nachthimmel beobachten und Nature Writer werden! Das ist pädagogisch äußerst wertvoll, und so habe ich das noch in keinem anderen Buch gefunden. Dazu weitere klare Urteile etwa zur Überwinterung von Igeln oder zum Kauf bestimmter Blumen-Saatgutmischungen.
Eine Frage bleibt für mich offen: Für welchen Leser genau ist das Buch eigentlich gedacht? Die Autorin duzt ihn immer mal wieder auf den 350 Seiten. Und so kommt es, dass ein praktisch lehrbuchreifer Text über (Bates'sche) Mimikry im Unterschied zur Mimese – keine ganz leichte Kost – weiter hinten gefolgt wird von einem Kapitel über das Leben in einem Kuhfladen unter der Überschrift »Schöne Scheiße«. Beides, duzen und Wortwahl, halte ich für unangemessen. Eine ganze Reihe anderer Ausdrücke passt auch nicht recht zum Anspruch dieses Buches und wirkt irgendwie anbiedernd, zum Beispiel »Swingerclub im Schwalbennest«, »… was für Ameisen echt eine Hausnummer ist«, »Raupenhappening« und anderes mehr.
Das geht sicher nicht allein nur zu Lasten der Autorin, die sich selbstkritisch auch als »chaotisch« bezeichnet. Sie bedankt sich ausdrücklich bei ihrer Lektorin, die aber auch eine so liebevolle Widmung wie »Für meine Oma, die wichtigste Igelfreundin, die die Welt je gesehen hat« so stehen lässt.
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