»Sternenjahr auf Unsichtbar«: Ein Führer durch den unsichtbaren Himmel
Das »Kosmos Himmelsjahr« ist die Standardquelle für alles, was sich monatlich zeigen wird. Der Sternenfreund ist damit gut auf Himmelsereignisse wie Planetenkonstellationen oder Finsternisse vorbereitet. Er lässt sich aber auch gerne überraschen, etwa wenn ein neuer Komet erscheint. Ein »Himmelsjahr«, das nur auf Überraschungen setzt oder gar auf Phänomene, die nicht sichtbar sind, gab es bisher noch nicht. Die Idee ist aber gut – und Ruth Grützbauch hat sie professionell umgesetzt.
Die Astronomin hat in Wien studiert und über Zwerggalaxien promoviert. Sie betreibt auch Öffentlichkeitsarbeit für wissenschaftliche Themen, etwa als Mitglied der »Science Busters«. 2021 publizierte Grützbauch das Buch »Per Lastenrad durch die Galaxis«. Es beschreibt nicht nur kosmische Objekte, sondern auch das aufblasbare Planetarium der Autorin, das sie mit einem Lastenfahrrad zu Veranstaltungen transportiert.
Kurios ist auch »Sternenjahr auf Unsichtbar« (das handliche Buch umfasst 254 Seiten). In der Einleitung erfährt der Leser, was hier mit »unsichtbar« gemeint ist. Die Autorin stellt klar: Dinge, die es tatsächlich nicht gibt, werden hier weitgehend ausgeklammert. Es geht also nicht um Esoterisches, sondern um Existierendes. Hier gibt es zunächst zwei »harmlose» Kategorien: Dinge, die zu weit weg sind beziehungsweise eine »unsichtbare Farbe« haben (qua Wellenlänge im Spektrum). Der Härtefall sind die »wirklich unsichtbaren Dinge«. Die gesammelten Fälle füllen, dem »Sternenjahr« folgend, zwölf Kapitel, die den Monaten Januar bis Dezember zugeordnet sind. Der jeweilige Monat hat jedoch meist nur einen lockeren Bezug zum einzelnen Thema. Der locker, aber fundiert geschriebene Text enthält viel Interessantes. Er regt zum Nachdenken und zu weiterer Recherche an. Bis auf eine Schwarz-Weiß-Collage (mit etwas Pink) am Anfang eines Kapitels gibt es aber leider keine Abbildungen.
Von Exoplaneten bis zur Mondrückseite
Der Januar trägt etwa den Titel »Exoplaneten – Wie man Aliens findet«. Ausgangspunkt ist das James Webb Space Telescope. Am 8. Januar 2022 wurde der Spiegel erfolgreich entfaltet – ein kritischer Moment. Das revolutionäre Gerät arbeitet im Infrarotbereich und sieht »ausschließlich Dinge, die wir nicht sehen können«. Hierbei handelt es sich um sehr ferne Galaxien, deren Licht stark rotverschoben ist, um Sterne, die hinter Staub verborgen sind, sowie um Quellen, die kühler sind als Sterne. Hauptthema sind hier besagte Exoplaneten.
Im Februar werden dann »Dunkle Galaxien« behandelt. Etwas konstruiert wirkt der Bezug zur Andromedagalaxie: Sie verabschiedet sich in diesem Monat (eher unscheinbar) vom Nachthimmel. Denn primär widmet sich dieser Abschnitt der Dunklen Materie. Ausführlich wird dabei die Arbeit von Vera Rubin und Kent Ford vorgestellt, die erstmals die Rotationskurven von Galaxien gemessen haben und auf ein eklatantes Massendefizit gestoßen sind. Ihre Schlussfolgerung: Es muss im Universum eine unsichtbare, nur gravitativ wirkende Materie geben. Im März wird ein »Mysteriöser Sternenschwund« thematisiert. Hier nimmt die Autorin Sterne in den Blick, die vom Himmel verschwinden (mehr möchte ich hier nicht verraten). Schwarze Löcher dürfen natürlich auch nicht fehlen; sie sind Thema im April. 2017 entstand in diesem Monat das erste »Bild« eines Schwarzen Lochs, lokalisiert im Zentrum der Galaxie M87.
In den Monaten Mai bis November werden kosmische Galaxienstrukturen, Gammastrahlung, Magnetfelder, Röntgenstrahlen, Gravitationswellen, Dunkle Energie und Neutrinos behandelt. Im Dezember lernen wir »The Far Side of the Moon« kennen. Die Mondrückseite ist zweifellos ein Ort, der uns verborgen ist. Aber sollte man der (fälschlich) »dunklen Seite« ein eigenes Kapitel widmen? Gab es keine anderen unsichtbaren Dinge mehr? Wie auch immer, das Thema wird facettenreich präsentiert. Am 24. Dezember 1968 haben Menschen erstmals die Mondrückseite gesehen, und zwar waren dies die drei Astronauten von Apollo 8. Seitdem sind 21 dazugekommen, und in nicht allzu ferner Zukunft wird wohl der erste Mensch diesen Ort betreten. Für die Wissenschaft ist das eine gute Aussicht: Große Teleskope können hier nämlich ohne Störungen durch die Erde arbeiten.
Das Buch von Ruth Grützbauch ist ein toller Führer durch den unsichtbaren Himmel. Die Idee, die Phänomene den zwölf Monaten zuzuordnen, erscheint allerdings etwas konstruiert. Die Autorin schweift gerne vom jeweiligen Thema ab und liefert so ein weit gefächertes Bild der modernen Astrophysik. Die Informationen sind auf dem neuesten Stand, und das Lesen macht richtig Spaß. Spezielle Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Fehler habe ich keine gefunden. Ich bedaure allerdings den Verzicht auf Bilder oder erklärende Grafiken, es ist also etwas mehr Vorstellungskraft gefragt. Angesichts der vielen Fachbegriffe hätte ein Register dem Buch gutgetan. Von Vorteil ist: Man kann die einzelnen Kapitel unabhängig voneinander lesen – quasi bei jeder Gelegenheit (aber bitte nicht während der Fahrt mit dem Lastenrad).
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