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»Über Freiheit«: Die fünf Formen der Freiheit

Timothy Snyder plädiert für einen positiven Begriff von Freiheit. Dabei kritisiert er mit Blick auf die USA, dass die Entwicklung dort eine ganz andere Richtung zu nehmen scheint.

Spätestens seit Isaiah Berlins (1909–97) Aufsätzen von 1969 unterscheidet die politische Philosophie eine »negative« und eine »positive« Freiheit. Man spricht gemeinhin von einer »Freiheit von« und einer »Freiheit für«. Allerdings wird diese Unterscheidung Berlins auch kritisiert, nicht zuletzt vom prominenten kanadischen Philosophen Charles Taylor.

Auch Timothy Snyder, Osteuropahistoriker und Professor an der Yale University, bezieht sich in »Über Freiheit« auf Berlins Essays und auf die Kritik von Taylor, wenn er schreibt: »Jede Vorstellung einer negativen Freiheit ist leer ohne irgendeine Idee positiver Freiheit.« Und er fügt hinzu: »Freiheit ist in dreifachem Sinne positiv: Sie ist positiv, weil sie eine Präsenz in einer Person und zwischen Menschen und weniger eine Absenz in der Welt ist«, als »Bejahung von Tugenden« und »weil sie umsichtiges politisches Handeln erfordert.«

Damit ist die Richtung vorgezeichnet: Denn Snyders Buch widmet sich ausschließlich der positiven Freiheit. Es weist jegliche negative Freiheit zurück – und das in einer Ausschließlichkeit, die fast befremdet, als ob nicht schon die Befreiung vom Zwang einer Diktatur einen Wert an sich darstelle. In seinem Buch »Willensfreiheit« schrieb einst der Berliner Philosoph Geert Keil: »Offenbar drückt der Unterschied der Präpositionen eher eine Perspektivendifferenz aus als zwei wohlunterschiedene Arten von Freiheit.«

Für Freiheit benennt Snyder fünf Formen: »Souveränität oder die erlernte Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen; Unberechenbarkeit oder die Fähigkeit, physikalische Gesetzmäßigkeiten den persönlichen Zwecken anzupassen; Mobilität oder die Fähigkeit, sich wertegeleitet durch Raum und Zeit zu bewegen; Faktizität oder der Bezug zur Welt, der es uns ermöglicht, sie zu verändern; und Solidarität oder die Erkenntnis, dass Freiheit für alle da ist.«

Die USA und die »negative Freiheit«

Jeder dieser Formen widmet er ein großes Kapitel. Die ersten drei Formen bezieht Snyder auf die frühen Lebensalter Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter, die letzten beiden sind »reife Formen der Freiheit und ermöglichen die anderen.« Auch wenn Snyder sich auf die Philosophinnen Edith Stein und Simone Weil sowie auf Frantz Fanon, Václav Havel und Leszek Kolakowski beruft, dürfte man sein Buch kaum als philosophisch bezeichnen. Er selbst nennt seine Vorgehensweise eine »philosophische Methode, die sich für einen Historiker eignet.«

Im Grunde ist es das Buch eines großen Erzählers, der auch persönliche Erlebnisse in seine Darstellung einzuflechten weiß. Und er hat genug Stoff dazu: Seien es die wiederholten Erinnerungen an seine Kindheit, etwa daran, wie er als Sechsjähriger die Glocke der Freiheit auf der Farm der Eltern in Ohio erstmals läuten durfte; seien es seine persönlichen Begegnungen mit politischen Persönlichkeiten wie dem polnischen Publizisten Adam Michnik oder seine Gespräche mit dem gegenwärtigen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj; seien es seine Reisen und längeren Forschungsaufenthalte in Ost- und Mitteleuropa sowie nicht zuletzt die Philosophiekurse in US-Gefängnissen, in denen er schwarze Insassen unterrichtete, die er in seinem Buch häufig zu Wort kommen lässt.

Snyders Buch und seine persönlichen Erzählungen sind intensiv und erfahrungsgesättigt. Den Lesern wird eine Fülle von Details präsentiert, so zur Geschichte Osteuropas, insbesondere zur Historie der Ukraine, für deren Freiheitskampf sich Snyder vehement einsetzt.

Dennoch stehen letztlich die Verhältnisse in den USA im Zentrum des Buchs. Hier kritisiert Snyder das Vorherrschen der »negativen Freiheit« scharf. Superreiche Unternehmer wie Elon Musk, Peter Thiel oder Charles Koch und Verantwortliche anderer großer Konzerne könnten, so der Autor, walten, wie sie wollen, und durch ihren unermesslichen Reichtum machten sie die Möglichkeiten der breiten Masse zunichte. In besonderem Maße geißelt Snyder den kompletten Niedergang des Lokaljournalismus in den USA als Verlust von Freiheit und Demokratie. Er prangert die Ausweitung von Gefängnissen im Rahmen des »Gerrymandering« an, einer besonderen Form der Wahlmanipulation, die darauf abzielt, gerade Schwarze und Minderheiten von Wahlen fernzuhalten. Schließlich wendet er sich gegen den unmenschlichen Zustand des Gesundheits- und Bildungssystems und nicht zuletzt den »Sadopopulismus« eines Donald Trump. Das Schlusskapitel »Regierung« besteht ausschließlich aus einem politischen Programm für die US-Wahl 2024. Es kommt einem so vor, als habe Snyder seinem Land darin eine Sozialdemokratie nach europäisch-kontinentalen Mustern verpassen wollen. Inzwischen hat das Volk bekanntlich anders entschieden.

»Über Freiheit« ist sehr gut lesbar, kurzweilig und flüssig erzählt, gleichzeitig nicht frei von Wiederholungen und in seiner Detailfülle mitunter etwas herausfordernd. Man merkt dem Buch an, dass es für den amerikanischen Markt geschrieben ist und Snyder seinem Land eine politische Erziehung angedeihen lassen will. Für deutsche Leser hätte das Lektorat den Text gut von manchen Details und Wiederholungen befreien können.

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