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Kuhverschwörung

Seit der Hobbyfilmer Kip Andersen die Dokumentation "Eine unbequeme Wahrheit" von Al Gore gesehen hatte, ließ ihn die Sorge um die bedrohte Umwelt nicht mehr los. Daher beschloss er, alles zu tun, um zu helfen. Er fuhr fortan nur noch mit dem Fahrrad, trennte sorgsam den Müll, stieg auf energieeffiziente Beleuchtung um und duschte immer bloß kurz. Doch es quälten ihn Zweifel, ob das tatsächlich reiche, die ökologische Situation hinreichend zu verbessern – selbst, wenn alle Menschen so umweltbewusst leben würden wie er.

Andersen recherchierte weiter, um herauszufinden, was er noch tun könne. Dabei fand er heraus, dass die industrielle Tierhaltung laut einem Bericht der Vereinten Nationen mehr Treibhausgase erzeugt als der gesamte Verkehrssektor. Offizielle Stellen wie die Welternährungsorganisation (FAO) und die US-Umweltschutzbehörde (EPA) hielten in ihren Berichten unmissverständlich fest: Die Nutztierhaltung ist einer der Hauptgründe für den anthropogenen Treibhauseffekt. Manche Experten bezeichneten sie sogar als die wichtigste Ursache.

Selektive Wahrnehmung?

Der Hobbyfilmer war schockiert. Noch mehr verblüffte ihn allerdings, dass viele namhafte Umweltschutzorganisationen diese Tatsache weitgehend außer Acht zu lassen schienen. Weshalb, so fragte er sich, reden Klimaschützer ständig über Autos, Ölindustrie, Kohlekraftwerke, Fracking und so weiter, aber kaum je über den weltweiten Fleisch- und Milchkonsum? Dem wollte Andersen nachgehen. In einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Produzenten Keegan Kuhn suchte er Vertreter der Umweltschutzorganisationen Greenpeace, Sierra Club, Surfrider Foundation und Rainforest Action Network auf und stellte ihnen genau diese Frage.

Der Film zeigt, wie Andersen monatelang versucht, eine Antwort zu bekommen. In zahlreichen Gesprächen musste er verblüfft feststellen, dass kaum ein Vertreter über die Viehwirtschaft und ihre ökologischen Auswirkungen sprechen wollte. Seltsamerweise versuchten sie, dem Thema aus dem Weg zu gehen. Greenpeace lehnte ein Interview sogar rigoros ab. Als die renommierte Organisation auf Andersens Nachfragen nicht reagierte, stellte er sich persönlich dort vor. Er wurde sofort gebeten, die Kamera abzuschalten. Ein Gespräch fand nie statt, die Antwort auf seine Frage traf schließlich schriftlich ein: Man könne ihm leider nicht helfen. Spätestens an dieser Stelle ist das Interesse des Zuschauers geweckt.

Mehr und mehr hatte der Hobbyfilmer das Gefühl, einer regelrechten Kuhverschwörung auf der Spur zu sein – daher der Titel seines Werks "Cowspiracy", ein Wortspiel aus "Cow" und "Conspiracy". Als er die Vertreterin eines großen amerikanischen Nutztierverbands fragt, ob Greenpeace Geld von dem Verband erhalte, bricht die Frau das Gespräch ab. In Experteninterviews erfährt Andersen, dass Umweltschutzorganisationen – wie andere Wirtschaftsunternehmen auch – auf Spenden angewiesen sind und verlässliche Geldgeber deshalb nicht vergrämen wollen.

Verheerende Ökobilanz

Die Dokumentation ist gespickt mit Zahlen, die belegen: Die industrielle Nutztierhaltung ist eine der Hauptursachen für Todeszonen in den Ozeanen, für ökologische Zerstörungen und das derzeitige Artensterben. Sie fügt der Umwelt mehr Schaden zu als jede andere Industrie. "Wenn Umweltorganisationen das nicht thematisieren", meint Andersen, "dann ist es so, als möchte man Lungenkrebs bekämpfen, dabei aber nicht über das Zigarettenrauchen sprechen."

Andersen konstatiert, die Versorgungsprobleme der Menschheit lägen weniger in der wachsenden Bevölkerung begründet, wie viele behaupten, sondern vielmehr darin, dass die Menschen Tiere essen. Daher steht für den Filmemacher fest: Wir müssen unser Konsumverhalten tiefgreifend ändern. Um selbst einen Anfang zu machen, beschließt er, ab sofort auf Fleisch und Milchprodukte zu verzichten.

"Cowspiracy" bringt die zerstörerischen Folgen der Massentierhaltung zur Sprache und zeigt das irritierende Faktum auf, dass weder Regierungen noch Umweltschutzorganisationen engagiert dafür eintreten, an dem übermäßigen Fleischkonsum etwas zu ändern. Zugleich weist der Film einen möglichen Weg, wie wir trotz wachsender Bevölkerung in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken können – eine vegane Lebensweise. Die Dokumentation liefert gute Argumente dafür, warum es nicht möglich ist, Umweltschützer zu sein und zugleich reichlich Fleisch zu essen. Erfreulicherweise kommt sie ohne Schreckensbilder aus den Schlachthäusern aus.

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