Der Mathematische Monatskalender: Giovanni Ceva (1647–1734): Geometrisches Wunder
Die genauen Lebensdaten von Giovanni Benedetto Ceva waren über lange Zeit unbekannt; erst Anfang dieses Jahrhunderts wurden die oben angegebenen Eintragungen in alten Kirchenbüchern entdeckt. Bis heute ist auch noch kein Porträt des italienischen Mathematikers bekannt.
Giovanni wird als fünftes von acht Kindern (drei Mädchen, fünf Jungen) in der Ehe von Carlo Francesco Ceva und Paola Columbo geboren – fünf seiner Geschwister machen später »Karriere« im Kirchendienst, vier treten in den Jesuitenorden ein. Durch den Kauf und Verkauf von Grundstücken und Häusern hat der Vater ein Vermögen erworben; hinzu kommen regelmäßige Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Steuereintreiber im Dienst des Herzogs von Mailand. Nach dem Besuch des Jesuiten-Kollegs in Mailand, bei dem Giovanni bereits ein besonderes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften zeigt, arbeitet er zunächst für seinen Vater und übernimmt verschiedene Verwaltungsaufgaben in Mailand und in Genua; schließlich tritt er in den Dienst von Ferdinando Carlo Gonzaga ein, dem Herzog von Mantua und Montferrat.
Sein weiter bestehendes wissenschaftliches Interesse veranlasst Giovanni Ceva im Jahr 1670, sich an der Universität in Pisa einzuschreiben. Seine Professoren sind auch Mitglieder der Mathematisch-Physikalischen Akademie in Rom; somit hat Ceva die Möglichkeit, sich über aktuelle Entwicklungen in Mathematik und Physik zu informieren.
Als Erstes setzt sich Ceva das Ziel, das Problem der Quadratur des Kreises mit Hilfe der cavalierischen Indivisiblen zu lösen. Nachdem er aber feststellen muss, dass alle seine Ansätze unbrauchbar sind, gibt er die Beschäftigung mit diesem Thema auf.
Gleichwohl vertieft er sich weiter in Fragestellungen der klassischen euklidischen Geometrie, bis er 1678 sein erstes (und bekanntestes) Werk »De lineis rectis se invicem secantibus statica constructio« veröffentlichen kann. Das Buch widmet er seinem Dienstherrn, der ihn inzwischen zum Hauptverantwortlichen für Wirtschaft und Finanzen des Herzogtums ernannt hat.
Das Buch erscheint in nur einer Auflage und ist nicht weit verbreitet. So kommt es, dass die von ihm entdeckten Sätze von später lebenden Mathematikern noch einmal entwickelt werden. Erst auf Grund der Forschungen des 19. Jahrhunderts zur Geschichte der Mathematik wird die Bedeutung von Cevas Beiträgen erkannt. Der heute nach Giovanni Ceva benannte Satz beschäftigt sich mit Transversalen in Dreiecken.
Wie J. B. Hogendijk allerdings 1995 herausfand, war der Sachverhalt bereits im 11. Jahrhundert von Yusuf al-Mutaman, Emir von Zaragossa, beschrieben worden.
Satz von Ceva
Verbindet man die Eckpunkte A, B, C eines Dreiecks mit Punkten X, Y, Z, die jeweils auf den gegenüberliegenden Seiten a, b, c liegen, dann schneiden sich diese Transversalen genau dann in einem gemeinsamen inneren Punkt O des Dreiecks, wenn die folgende Beziehung für die Seitenverhältnisse erfüllt ist:
Ein einfacher Beweis ist mit Hilfe des folgenden Satzes möglich (vergleiche »Elemente«, I,37 folgende): Zwei Dreiecke mit gleicher Grundseite haben den gleichen Flächeninhalt, wenn sie die gleiche Höhe besitzen. Hieraus folgt, dass die Flächeninhalte zweier Dreiecke mit gleicher Höhe im selben Verhältnis stehen wie ihre Grundseiten. Dies bedeutet hier:
Durch Differenzbildung von Zähler und Nenner der jeweils außen stehenden Terme folgt hieraus
und somit schließlich für das Produkt
Ein Sonderfall des Satzes liegt vor, wenn die Punkte X, Y, Z jeweils in der Mitte der Seiten liegen (»Die Seitenhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt«). Auch lassen sich die Beweise der Sätze über die gemeinsamen Punkte der Winkelhalbierenden, der Höhen und der Mittelsenkrechten auf den Satz von Ceva zurückführen. Dass dieser Satz gültig ist, lässt sich – nach Ceva – auch wie folgt begründen:
Denkt man sich verschiedene Punktmassen in den drei Eckpunkten A, B, C des Dreiecks, dann liegen die Schwerpunkte von je zwei benachbarten Massen in den Punkten X, Y, Z. Die Verbindungslinien dieser Punkte mit dem jeweils gegenüberliegenden Eckpunkt sind Schwerlinien, die sich in einem Punkt schneiden, dem Schwerpunkt des Systems.
In seinem Werk geht Ceva auch auf eine zum oben angegebenen Satz äquivalente Eigenschaft ein, die ihm selbst bis dahin nicht bekannt war; heute wird diese als »Satz des Menelaos« bezeichnet.
Der aus Alexandria stammende Mathematiker Menelaos lebte um 100 n. Chr. in Rom; von ihm ist nur ein Buch überliefert (in arabischer Übersetzung). Claudius Ptolemäus und Pappos von Alexandria beziehen sich in ihren Schriften auf verschiedene Arbeiten von Menelaos, ebenso zahlreiche Mathematiker des islamischen Mittelalters, unter anderem Thabit ibn Qurra, Abu Arrayhan al-Biruni und Nasir al-Din al-Tusi.
Satz von Menelaos
Zeichnet man eine Gerade, die die Seiten a, b, c eines Dreiecks ABC oder deren Verlängerung(en) in den Punkten D, E, F schneidet, dann gilt:
Hierbei wird definiert: |FB|=–|BF| und so weiter.
Im Lauf der folgenden Jahre verfasste Giovanni Ceva noch weitere Werke zur Mathematik und zur Physik:
- »Opuscula mathematica« (1682, klassische Geometrie und mit Hydrodynamik, zum Beispiel Kräfteparallelogramm, Geschwindigkeitsmessung in/von Flüssigkeiten),
- »Geometria motus« (1692, Untersuchung von Kurven),
- »Tria problemata geometris proposita« (1710, Geometrie),
- »De re nummeraria quod fieri potuit, geometrice tractata« (1711, Anwendung von Mathematik bei wirtschaftlichen Fragestellungen, zum Beispiel Real- und Nominalwert von Währungen, Zusammenhang mit der Menge des zirkulierenden Geldes),
- »Opus hydrostaticum« (1728, Zusammenfassung seiner Schriften zur Hydrodynamik).
1685 heiratet Giovanni Ceva. Aus der Ehe mit Cecilia Vecchi gehen sieben Kinder hervor. 1686 ernennt ihn der Herzog zum Professor für Mathematik an der Universität von Mantua; dieses Amt hat er bis zu seinem Lebensende inne.
Als 1707 die Habsburger das Herzogtum Mantua annektieren und der Herzog vertrieben wird, leistet Ceva auch einen Treueeid auf den neuen Machthaber und wird von diesem unter anderem mit dem Bau neuer Befestigungsanlagen beauftragt. In den 1710er Jahren kann er durch mehrere Gutachten (und öffentliche Streitschriften) verhindern, dass die Stadt Bologna ihre Pläne umsetzt, den durch Bologna fließenden Fluss Reno umzuleiten und mit dem Fluss Po zu verbinden.
1734 erobern französische Truppen Mantua, und es bricht eine Epidemie aus. Ob diese Ereignisse ursächlich im Zusammenhang mit Cevas Tod stehen, ist nicht bekannt.
Hinweis: Die so genannte »Zykloide von Ceva« ist nicht nach Giovanni Ceva benannt, sondern nach seinem ein Jahr jüngeren Bruder Tommaso, der als Mathematik- und Rhetorikprofessor an einer Hochschule der Jesuiten bei Mailand tätig war.
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