Geschmacksverstärker : Ist Glutamat vielleicht sogar gesund?
Wer sich eine Tütensuppe zubereitet, Ravioli aus der Dose kocht oder sich eine Hand voll Flips einwirft, der nimmt dabei in den allermeisten Fällen Natriumglutamat zu sich. Denn Glutamat steckt als Zusatzstoff in zahlreichen Lebensmitteln, um sie schmackhafter zu machen.
Doch der Stoff ist seit Jahrzehnten umstritten. Übergewicht, Alzheimer, Parkinson und Diabetes sind nur einige Erkrankungen, die im Zusammenhang mit Glutamat diskutiert werden. Zu Recht? Oder ist die Sorge übertrieben? Und warum schmecken Produkte mit Glutamat vielen besser als andere? Lesen Sie hier die drängendsten Fragen und Antworten.
Was ist Glutamat überhaupt?
Glutamat ist ein Zusatzstoff, der in Lebensmitteln als Geschmacksverstärker zum Einsatz kommt. Dabei ist Glutamat aber kein vom Menschen erdachtes Kunstprodukt: Glutamate kommen in der Natur vor, sie sind Salze der natürlichen Aminosäure L-Glutaminsäure. In pflanzlichem Protein stecken bis zu 20 Prozent Glutaminsäure, in tierischem Eiweiß – also Eiern, Milch oder Fleisch – sind es bis zu 40 Prozent. Jedes proteinhaltige Lebensmittel liefert also auch Glutaminsäure. Besonders viel davon findet sich in Ei, Fisch, Soja, Hefe, Tomaten oder Käse. Roquefortkäse enthält beispielsweise 1280, Parmesan 1200 und Sojasoße 1090 Milligramm pro 100 Gramm. Gerade bei der Fermentation von Lebensmitteln wird – neben vielen anderen Stoffen – auch Glutamat freigesetzt. Die Salze entstehen sogar bei der Herstellung von Sauerkraut oder Bier, wenn auch in geringeren Mengen. Paul Breslin, Geschmacksforscher an der Rutgers University in New Jersey vermutet daher, dass die menschliche Vorliebe für glutamathaltige Lebensmittel gemeinsam mit einer Kost entstand, die auf fermentierte und damit länger haltbare Lebensmittel setzte.
Glutaminsäure dockt an die Geschmacksrezeptoren in der menschlichen Zunge an und löst dadurch die so genannte »umami«-Geschmacksempfindung aus: Sie wird als würzig oder fleischartig empfunden und als kernig, erdig oder raffiniert beschrieben. Und das seit 1908: Damals hat ein japanischer Chemiker namens Kikunae Ikeda die Idee des fünften Geschmackssinns »Umami« aufgebracht, als er auf der Suche nach dem würzigen Aroma von Kombu Dashi, einer Algenbrühe, war. Er fand heraus, dass Glutamat nicht nur in der von Justus Liebig damals erfolgreich verkauften Fleischbrühe steckte, sondern auch in den traditionell gebrühten japanischen Algen: Beide sind umami, was japanisch so viel wie wohlschmeckend bedeutet. Erst mit der Entdeckung der Umami-Rezeptoren auf der Zunge vor etwa 20 Jahren ist Ikenadas Theorie, dass umami eine eigene Geschmacksrichtung ist, endgültig belegt worden.
In welchen Lebensmitteln ist Glutamat enthalten?
Hersteller von Fertiglebensmitteln mixen allerdings schon seit mehr als 100 Jahren Glutamat als Geschmackverstärker in ihre Produkte. Die Industrie stellt die Salze meist aus Melasse mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien her. Verbraucher erkennen die Stoffe unter den E-Nummern E 620 bis E 625. Glutamate werden als Geschmacksverstärker etwa in Fertiggerichten, Tütensuppen und -soßen, Fleisch-, Fisch- und Gemüsekonserven sowie in Knabbereien wie Chips, in Würzmitteln und als Kochsalzersatz genutzt. Glutaminsäure und ihre Salze sind in fast allen Lebensmittelkategorien mit maximal 10 Gramm Zusatzstoff pro Kilogramm erlaubt. Das bekannteste Glutamat ist das Natriumsalz der Glutaminsäure: Mononatriumglutamat (E 621).
Was bewirkt es?
Der Körper bildet Glutamat selbst, etwa 50 Gramm pro Tag. Es ist in Muskeln, Gehirn, Nieren und Leber enthalten. Dieses wird endogenes Glutamat genannt – im Gegensatz zu dem exogenen Glutamat, das der Mensch sich über Lebensmittel zuführt. Chemisch sind beide identisch. Ein Mitteleuropäer führt sich im Schnitt 0,3 bis 0,5 Gramm Glutamat pro Tag aus Fertiggerichten zu, in Asien sind es sogar 1,5 Gramm. Aus natürlichen Lebensmitteln nehmen Europäer rund ein Gramm freies und 20 Gramm an Proteine gebundenes Glutamat auf. Nur das freie Glutamat hat einen würzigen Geschmack. Im Körper wird Glutamat erst mal im Dünndarm zerlegt und dient zur Energieversorgung von Darmzellen oder auch als Baustein für wichtige Moleküle im Darm. Nur ein kleiner Teil findet sich dann im Blut wieder. Glutamat bindet auch nicht nur an Geschmackszellen in der Zunge. Sowohl im Darm als auch auf Spermien hat man Umami-Rezeptoren gefunden.
Auch endogenes Glutamat hat viele Aufgaben. Es ist etwa der am häufigsten vorkommende Neurotransmitter im zentralen Nervensystem. Er ermöglicht die Signalübertragung zwischen den Zellen und damit unter anderem die Gedächtnisfunktionen. Ein Zuviel an Glutamat im Gehirn führt jedoch auch mit zum Absterben von Gehirnzellen. Krankheiten wie Alzheimer, Morbus Huntington, Parkinson oder multiple Sklerose gehen mit erhöhten Glutamatkonzentrationen im Gehirn einher.
Ist es gesundheitsschädlich – gerade für Babys?
Bereits im Jahr 1968 kam Skepsis gegenüber dem Zusatzstoff auf, nachdem der US-Mediziner Robert Ho Man Kwok einen Artikel im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht hatte. Unter dem Titel »Chinese-Restaurant Syndrome« berichtete er darin von sich selbst: Er sei nach dem Besuch eines chinesischen Restaurants stets von Taubheit, Schwäche und Herzrasen geplagt gewesen. Seine Medizinerkollegen diagnostizierten daraufhin eine Sojasoßenallergie. Er hielt dagegen, dass er am heimischen Herd auch reichlich Sojasoße nutze, diese aber vertrage.
Bald darauf war schließlich das künstlich zugesetzte Glutamat als Ursache ausgemacht, und es erschienen Fachartikel zur Gefahr durch Glutamate. Der öffentliche Druck wurde so groß, dass die Stoffe Fertignahrung für Babys nicht mehr zugesetzt werden durften. Bald wurde die so genannte »Glutamat-Intoleranz« als Erklärung für alle möglichen unspezifischen Symptome wie Kopfschmerzen, Hautkribbeln, Übelkeit, Völlegefühl, schmerzende Gelenke oder Säuglingskoliken herangezogen. Medizinisch ist das alles nicht erklärbar. Ian Mosby, Historiker an der York University in Toronto, glaubt gar, dass in der Debatte um das Chinarestaurant-Syndrom Ende der 1960er und 1970er Jahre auch Rassismus eine Rolle spielte: Das Essen chinesischer Einwanderer wurde als »exotisch, seltsam und übertrieben« angesehen.
Skepsis gegenüber Glutamat hält sich bis heute: Neben Unverträglichkeiten soll der Zusatzstoff Entzündungen, Schmerzsyndrome, Herzleiden und Krebs fördern und für Krankheiten des Gehirns und der Leber verantwortlich sein. Zwar konnte mancher Verdacht immer wieder widerlegt werden – derzeit aber prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA vorsichtshalber erneut die Studienlage. Zuletzt wurde klar, dass viele Menschen die als ungefährlich angesehenen Mengen von 30 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag überschreiten, vor allem wenn viel Fertignahrung auf dem Speiseplan steht. Manche Erwachsene essen das Doppelte der als ungefährlich angesehene Menge. Zudem zweifeln einige neuere Studien die Unbedenklichkeit von Glutamat recht grundlegend an. Ein aktueller Review – der unabhängig, also nicht etwa von der an einem Glutamatfreispruch interessierten Aromenindustrie initiiert wurde – kommt dagegen zu dem Schluss, dass diese fraglichen Studien wiederum von teils schlechter Qualität sind: Sie stützen sich auf sehr wenige Probanden und teils fehlten Kontrollgruppen; in einzelnen Tierstudien war die zugeführte Dosis extrem hoch oder wurde per Spritze ins Blut verabreicht.
Gründlich und fachgerecht untersucht ist dagegen die Rolle von Glutamat bei Unverträglichkeiten, im Gehirn, bei Krebs und bei Übergewicht. Überempfindlichkeiten können bei empfindlichen Personen nach dem Verzehr von glutamathaltigem Essen tatsächlich auftreten. Nötig sind dazu allerdings recht große Mengen, also mehr als drei Gramm freiem Glutamat auf nüchternen Magen. Ärzte raten auch Asthmatikern von zu vielen Fertigprodukten ab – unter anderem, weil sie auf den Zusatzstoff reagieren könnten. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 konnte hier allerdings keinen Zusammenhang nachweisen: In zwei Studien mit insgesamt allerdings nur 24 Probanden fand man keinen Beleg dafür, dass ein Weniger an Glutamat die Asthmasymptome verändert. Über Gesunde, die kleine Mengen Glutamat aufnehmen, gibt es dagegen mehr Daten aus viel mehr Untersuchungen. Und hier gilt: Keine Studie belegt, dass das Chinarestaurant-Syndrom real sein könnte.
Glutamat aus Tütensuppe und Co wird immer wieder auch für Krankheiten des Gehirns wie Alzheimer, Parkinson oder multiple Sklerose verantwortlich gemacht: Schließlich weiß man aus Studien, dass ein Zuviel an Glutamat im Gehirn diese Krankheiten mit verursacht. Hierbei handelt es sich jedoch um endogenes, also um im Gehirn gebildetes Glutamat. Über die Nahrung zugeführtes zusätzliches Glutamat kann laut einhelliger wissenschaftlicher Meinung bei gesunden Erwachsenen nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren – und ergo auch nicht die genannten Krankheiten verursachen. Allerdings ist nicht ganz geklärt, ob die Blut-Hirn-Schranke etwa bei Säuglingen oder auch bei Erkrankungen wie Hirnhautentzündung oder inneren Blutungen durchlässiger werden könnte.
Wenig Belege gibt es für die Rolle von Glutamat bei Krebs. Man weiß zwar um erhöhte Glutamatlevel im Blut und Tumorgewebe von Prostatakrebspatienten – und so wurde gemutmaßt, ob die Substanz bei der Entwicklung von Krebs eine Rolle spielen könnte. Endgültig geklärt und umfassend erforscht ist das aber nicht.
Häufiger beschäftigten sich Forscher in Studien mit der berüchtigten appetitanregenden Wirkung des Geschmacksverstärkers – der ja unter anderem deswegen in Tierfutter auch als Mastmittel eingesetzt wird. Kritiker schließen daraus, dass Glutamat auch Menschen »süchtig« machen und damit für Übergewicht verantwortlich sein könnte. Auch diese Befürchtung hat sich bisher allerdings nicht bestätigen lassen: Erst bei sehr hohen Dosen hat Glutamat eine appetitsteigernde Wirkung. Einige Arbeiten belegen bei üblichem Glutamatkonsum sogar einen gegenteiligen Effekt. Sättigungsgefühle traten dann früher ein, was auf die Schmackhaftigkeit zurückgeführt werden könnte.
Ist Glutamat vielleicht sogar gesund?
Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 haben Senioren allerdings doch mehr Appetit, wenn sie besonders würzige Suppen essen – und demnach mag Glutamat, vor allem für ältere Menschen, sogar gesundheitsförderlich sein. Denn der stimulierende Umami-Geschmack könnte dem Appetitverlust im Alter entgegenwirken, der zu einem Problem wird, wenn das Schwinden von Pfunden das Risiko für Krankheiten erhöht. Diese und weitere Studien zu positiven Effekten des Geschmacksverstärkers sind allerdings verdächtig, weil sie aus Kreisen von womöglich interessengeleiteter Industrie finanziert wurden. Das muss zwar nichts heißen, ein wirklich neutrales Bild ergibt sich aber wohl nur in der Folge von mehr gänzlich unabhängigen Studien.
Welche Alternativen gäbe es?
In Biolebensmitteln sowie in Babynahrung darf Glutamat gar nicht zugesetzt werden. Da die Industrie bemerkt hat, dass der Verbraucher ein »Clean Label«, also Lebensmittel ohne viele Zusatzstoffe wünscht, wurde nach entsprechenden Alternativen gesucht. Teilweise wird darum Hefeextrakt, der von Natur aus sehr glutamathaltig ist, in Fertigprodukten – auch in Biovarianten als Würzmittel – eingesetzt. Dieses muss nicht mit einer E-Nummer oder einem vielleicht auf den Inhaltsstoff hinweisenden Namen gekennzeichnet werden, was wiederholt Verbraucherschützer auf den Plan gerufen hat. Auch die Bezeichnung »Würze« findet man auf Lebensmitteln. Dahinter stecken gespaltene Proteine, die »den Geschmack und/oder Geruch von Suppen, Fleischbrühen und anderen Lebensmitteln beeinflussen«. Sie stammen beispielsweise aus Fleisch, Hefe oder Soja. Auch hier sind meist Glutamate enthalten, die nicht deklariert werden müssen. Im Grunde ist auch Sojasoße ein Würzmittel, das durch Glutamate seinen vollmundigen Geschmack erhält.
Generell sind stark gewürzte Fertigprodukte nicht in größeren Mengen empfehlenswert, da sie die Feinheiten des Geschmackssinns überwältigen und oft auch über minderwertige Ingredienzien hinwegtäuschen sollen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät schon lange, insbesondere im Essen für Kinder auf Geschmacksverstärker zu verzichten, »da durch den standardisierten Geschmack auch der Sinn für die Geschmacksvielfalt natürlicher Lebensmittel verloren geht«.
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