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Lexikon der Biochemie: Sehvorgang

Sehvorgang, der Prozess, bei dem Licht in einer photorezeptiven Zelle einen Nervenimpuls induziert. Das Licht wird durch ein Sehpigment – ein Chromoprotein, das aus einem Apoprotein (Opsin) und dem Chromophor 11-cis-Retinal (Neoretinal b) besteht – absorbiert. Die Aldehydgruppe des 11-cis-Retinals bildet mit der ε-Aminogruppe eines spezifischen Lysinrests von Opsin eine Schiffsche Base. In der Retina von Vertebraten kommen zwei Photorezeptorklassen vor, die Stäbchen und die Zapfen. Die Stäbchen, die für das Schwarz-Weiß-Sehen bei geringer Lichtintensität verantwortlich sind, besitzen ein äußeres Segment, in dem abgeflachte Membranscheiben stapelförmig angeordnet ist. Diese enthalten ebenso wie die Plasmamembran Rhodopsin (das Sehpurpur). Das Farbensehen in den Zapfen wird durch eng miteinander verwandte Opsine vermittelt. Im normalen menschlichen Auge sind drei Opsine vorhanden, deren Absorptionsmaxima bei 430 nm, 540 nm und 575nm liegen. Alle drei Pigmente (Iodopsine) enthalten 11-cis-Retinal. Andere Vertebraten besitzen unterschiedlich viele Opsine, die sich in ihrer Empfindlichkeit voneinander unterscheiden. Die Stäbchen und Zapfen enthalten immer nur einen Opsintyp. Die Aminosäuresequenzen der humanen Farbpigmente wurden mit Hilfe molekulargenetischer Methoden bestimmt. [J. Nathans et al. Science232 (1986) 193-202; ibid 203-210]

Während des ersten Schritts der Anregung durch Licht isomerisiert 11-cis-Retinal des Opsins zu all-trans-Retinal. Da all-trans-Retinal nicht an die Bindungsstelle von 11-cis-Retinal passt, wird das Opsinmolekül instabil und durchläuft eine Reihe von Konformationsänderungen, an die sich die Hydrolyse der Schiffschen-Basen-Bindung zwischen all-trans-Retinal und Opsin anschließt (Abb.). Die weiteren Schritte des Prozesses sind mit einiger Sicherheit nur für die Zapfenzellen bekannt, in denen das Rhodopsin zu Metarhodopsin I ausgebleicht wird. Metarhodopsin I tritt ungefähr 10-5sec und Metarhodopsin II 10-3sec nach der Belichtung von Rhodopsin auf. Auf diese Weise wird rotes Rhodopsin ausgebleicht, wobei das gebildete Gemisch aus Opsin und all-trans-Retinal gelb gefärbt ist (wurde früher "Sehgelb" genannt). Ausgebleichtes Rhodopsin diffundiert frei innerhalb der Membran, wo es mit einem G-Protein (Transducin) in Wechselwirkung tritt. Transducin besteht aus drei Untereinheiten, von denen eine (α) ein GDP-Molekül trägt. Aktiviertes Rhodopsin bindet an Transducin, dessen α-Untereinheit dann das GDP gegen ein GTP austauscht. Anschließend dissoziiert der gesamte Rhodopsin-Transducin-GTP-Komplex. Das Rhodopsin ist weiterhin katalytisch aktiv und tritt mit weiteren Transducin-Molekülen in Wechselwirkung (ungefähr 100 in 0,5sec). Die α-Transducin-Untereinheit und das GTP bleiben miteinander assoziiert und binden an ein Molekül cGMP-Phosphodiesterase (PDE), wobei der "G(α)-GTP-PDE-Komplex" entsteht. Die anschließende Hydrolyse von cGMP wird innerhalb von Millisekunden nach Belichtungsbeginn beobachtet.

Membrankanäle in den Zapfenzellen erlauben ein konstantes Einfließen von Na+-Ionen. Die Lichtabsorption durch Rhodopsin unterbricht diesen Fluss, wodurch in der Zellmembran ein Spannungsimpuls erzeugt wird. An diesem Vorgang sind sowohl Ca2+ als auch cGMP beteiligt. Durch lichtinduzierte cGMP-Hydrolyse werden die Kanäle geschlossen. Aus Experimenten ist bekannt, dass cGMP das Vermögen von Ca2+ oder Co2+, Na+-Kanäle zu blockieren, vermindert und ihr Vermögen, die Membran durchlässig zu machen, erhöht. Außerdem ist bekannt, dass einige äußere Zapfenproteine im Dunkeln durch eine zyklische-Nucleotid-abhängige Kinase phosphoryliert werden, und dass diese Phosphorylierung im Licht rückgängig gemacht wird. Ein Photon bewirkt, dass 100-300 Na+-Kanäle geschlossen werden.

Während der Regenerierung des Sehapparats wird der G(α)-GTP-PDE-Komplex durch spontane GTP-Spaltung inaktiviert. Aktiviertes Rhodopsin dient als Substrat einer Kinase, die eine Inaktivierung herbeiführt. Diese Kinase wird durch cGMP gehemmt, so dass die Menge an aktiviertem Rhodopsin der Gegenstand einer Rückkopplungssteuerung sein könnte. Das trans-Retinal kann enweder direkt zu 11-cis-Retinal isomerisiert werden, das sich wieder mit Opsin verbindet und Rhodopsin bildet. Oder es kann durch eine NADPH-abhängige Dehydrogenase zuerst zu Retinol reduziert werden, das anschließend isomerisiert und zu 11-cis-Retinal rückoxidiert wird (Abb.). Ein Teil des Retinals geht den Retinazellen kontinuierlich verloren, so dass die Fortführung des Sehzyklus von einem kontinuierlichen Ersatz auf dem Blutweg abhängt.

Land- und Seetiere besitzen Rhodopsin. Bestimmte Süßwasserfische und einige Amphibien haben stattdessen das Pigment Porphyropsin. Die Funktion des Porphyropsins entspricht der des Rhodopsins. Es enthält an Stelle von Retinal 3-Hydroretinal. Cyanopsin (Dehydroretinal + Opsin vom Zapfentyp) wird in der Retina der meisten Süßwasserfische vorgefunden.



Sehvorgang. Bildung des Sehpurpurs während des Sehvorgangs. AD = Alkohol-Dehydrogenase.

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