Lexikon der Neurowissenschaft: Prionen-Hypothese
Prionen-Hypothese, E prion hypothesis, protein only hypothesis, Hypothese, daß der infektiöse Erreger der spongiformen Encephalopathien (Prionen) nur aus Proteinen bestehen soll; wurde von Griffin formuliert und von S. Prusiner aufgegriffen. Mittlerweile hat sich eine Fülle von Argumenten angesammelt, welche die Richtigkeit dieser Annahme unterstützen, und Prusiner wurde dafür 1997 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet ( siehe Zusatzinfo ).
Prionen-Hypothese
1982 postulierte Prusiner, daß Prionen keine Nucleinsäuren enthalten, und daß sie identisch mit PrPSc seien, einem Protein, welches den Hauptbestandteil von Amyloid-Plaques ausmacht. Letztere sind in vielen Formen der spongiformen Encephalopathien nachweisbar. In den folgenden Jahren konnten C. Weissmann und Prusiner zeigen, daß PrPSc eine modifizierte Form des normalen zellulären Membranproteins PrPC darstellt. Überraschend war der Befund, daß sich keinerlei Sequenzunterschiede zwischen der infektiösen und der normalen, zellulären Form dieses Proteins feststellen ließen, obwohl dramatische Unterschiede im physikalischen und chemischen Verhalten der zwei Formen bestanden. Das Postulat eines ausschließlich aus Protein bestehenden infektiösen Partikels führt direkt zur Frage, wie der Erreger in Abwesenheit jeglicher Nucleinsäuren replizieren soll und eine übertragbare Erkrankung verursachen kann. Dieses Phänomen widerspricht allen bisherigen Erkenntnissen der molekularen Genetik infektiöser Erkrankungen. Prusiner argumentiert, daß das Einbringen von PrPSc in eine Zelle die Konversion von PrPC (oder eines PrPC-Vorläufers) in PrPSc katalysieren würde. PrPSc ist, im Gegensatz zum normalen PrPC-Protein, partiell Proteinase K-resistent. Mittlerweile ist es gelungen, unter in vitro Bedingungen PrPC in eine Proteinase K-resistente Isoform durch Zugabe von PrPSc zu konvertieren. Dieses Phänomen konnte in einer konformationsspezifischen Art erfolgen, welche einige Eigenschaften der Prionen-Stämme imitiert. In diesem experimentellen System ließ sich aber bislang die fundamentale Frage, ob das konvertierte Protein infektiöse Eigenschaften erlangt hat, nicht beantworten, denn die hohen Mengen an hinzugegebener Prion-Infektiosität, die für den Ablauf der Konversionsreaktion in vitro notwendig sind, verunmöglichen eine Detektion zusätzlich entstehenden infektiösen Materials. – Bei all den Argumenten, die für die Prionen-Hypothese sprechen, muß jedoch festgehalten werden, daß das molare Verhältnis zwischen infektiösem Agens und PrPSc in infektiösem Hirnextrakt mindestens 1:105 beträgt. Diese Tatsache bringt große analytische Probleme mit sich. Es könnte sehr schwierig werden, jemals das infektiöse Agens zu isolieren, falls dieses lediglich eine Subpopulation von PrPSc oder eine molekulare Modifikation von PrPC darstellen würde, die nicht mit PrPSc identisch ist. – Von einigen Wissenschaftlern wird immer noch eine Alternative zur Prionen-Hypothese propagiert, die sogenannte Virino-Hypothese. Dieses Modell setzt bei einem infektiösen Agens virale Nucleinsäuren voraus, welche mit wirtseigenem PrP-Protein Komplexe bilden. Das PrP würde so die Funktion einer Viruskapsel erlangen. Die Existenz vieler verschiedener Prionen-Stämme, die ihre phänotypischen Charakteristika selbst nach serieller Vermehrung in demselben Inzuchtstamm empfänglicher Tiere (Mäuse, Hamster, Nerz) beibehalten, ist ein gewichtiges Argument gegen die protein only-hypothesis und eventuell für die Virino-Hypothese. Tatsächlich ist die Existenz der Prion-Stämme im Rahmen der protein only-hypothesis nur schwer erklärbar. Die Suche nach PrPSc-spezifischen Nucleinsäuren in infiziertem Gehirngewebe ist allerdings bislang erfolglos geblieben, und das infektiöse Agens ist außerordentlich resistent gegenüber Verfahren, die Nucleinsäuren degradieren. Daher wird heute der Prionen-Hypothese der Vorzug gegeben.
A.A./G.H.
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