Herzinfarkte: Kein Leiden am Qualm der anderen
Gesetzliche Rauchverbote senken schon innerhalb von wenigen Monaten die Häufigkeit von Herzinfarkten. Das ist das Fazit einer Studie, die Bremer Ärzte auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im April in Mannheim vorstellten. Nach Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze in Bremen und Niedersachsen ging die Herzinfarktrate um 14 Prozent zurück [1]. Während vor den öffentlichen Rauchverboten in den Jahren 2006/2007 noch in jedem Monat 39 Nichtraucher wegen eines schweren Herzinfarkts in das Bremer "Klinikum Links der Weser" eingeliefert werden mussten, waren es in den zwei Folgejahren monatlich nur noch rund 30 Männer und Frauen. Bei den Rauchern änderten sich die entsprechenden Behandlungszahlen in dieser Zeitspanne allerdings nicht.
Selbst dem überzeugten Nichtraucher mögen die Zahlen und die beschriebenen Zusammenhänge ein wenig unglaubwürdig erscheinen. Kann man wirklich so schnell Effekte erwarten? Was sind zwei, drei Stunden in der Woche in einer verrauchten Kneipe im Vergleich zu anderen Faktoren, die einen großen Einfluss auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben wie ungesunde Ernährung oder mangelnde Bewegung? Könnte der Rückgang der Herzinfarktrate im beobachteten Zeitraum nicht auch ganz andere Ursachen haben?
Aber: "Die Bremer Studie liegt im Trend", sagt Joseph Kuhn, Gesundheitswissenschaftler vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. "International gibt es eine Reihe ähnlicher Untersuchungen, die kurzfristige Rückgänge von Herzinfarkten nach Rauchverboten beschreiben." In Schottland etwa sank die Herzinfarktrate zehn Monate nach den Verboten um 17 Prozent. In Italien, wo auf öffentlichen Plätzen, in Restaurants und Cafes bereits seit 2005 nicht mehr geraucht werden darf, werden die Rückgänge für Rom mit 11 Prozent, für 20 verschiedene italienische Regionen mit vier Prozent beziffert [2]. Ähnliche Zahlen gibt es zudem aus Spanien, Island, Kanada und den USA. "Inzwischen gibt es Metaanalysen, die verschiedene Einzelstudien zusammenfassen und auf einen deutlichen, schnellen Effekt des Nichtraucherschutzes hinweisen", betont Joseph Kuhn.
Breite Datenbasis
Bereits im März dieses Jahres wurde eine erste deutsche Untersuchung zu den Auswirkungen von Nichtraucherschutzgesetzen (NRSG) veröffentlicht [3]. Über fünf Jahre waren die Daten von mehr als drei Millionen Versicherten der DAK ausgewertet worden. Auch hier gab es ähnliche Resultate: acht Prozent weniger Klinkbehandlungen wegen Herzinfarkt, 13 Prozent weniger wegen Angina pectoris nach Einführung der NRSG. Damit hätten 1880 stationäre Behandlungen verhindert und Kosten von 7,7 Millionen Euro eingespart werden können, so die Studienbetreiber. Wegen der großen Anzahl der erfassten Patientendaten ist die Studie im Prinzip sehr aussagekräftig. Allerdings unterscheidet sie nicht nach Rauchern und Nichtrauchern, kann also aus den Daten nicht ableiten, ob die beobachteten Effekte auf einer Verminderung der Passivrauchexposition oder einer Abnahme der Rauchhäufigkeit bei Rauchern beruhen.
In Bremen nun hat man den Rauchstatus zusammen mit den Krankheitsdaten erhoben. So konnte man sehen, dass es eben die Nichtraucher waren, die seltener mit einem Infarkt eingeliefert wurden. Zusammen mit dem Bremer Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung seien die Klinikdaten auf andere "Störfaktoren" (Confounder) hin abgeklopft worden, die möglicherweise in der Gruppe der Nichtraucher zusätzlich oder anstelle des Passivrauches für den Rückgang der Herzinfarktrate verantwortlich gewesen sein könnten, erklären die Studienbetreiber aus Bremen. Hier gab es wohl grundsätzlich keine Unterscheidungsmerkmale – außer, dass die einen eben Raucher, die anderen Nichtraucher waren.
"Stellt man irgendwo Nichtrauchertischchen auf und glaubt, der Rauch würde sich von ihnen fernhalten, ist das in etwa so naiv, wie wenn man bei einem Swimmingpool erlauben würde, auf der einen Seite hineinzupinkeln und auf der anderen Seite nicht"
Jürg Barben
Susanne Moebus vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie am Universitätsklinikum Essen findet es nicht verwunderlich, dass ein Rückgang des Passivrauchens die Häufigkeit lebensbedrohlicher Herzerkrankungen senke, weil es ja auch zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten einen starken Zusammenhang gäbe. Allerdings könne aus der Bremer Studie und anderen dieser Art, die statistische Entwicklungen mit verschiedenen variablen Faktoren betrachten, kein kausaler Zusammenhang hergestellt werden. "Solche 'ökologischen Studien' liefern nur Hinweise oder lassen Trends erkennen, niemals kann jedoch gesagt werden, diese Maßnahme – zum Beispiel der Nichtraucherschutz – ist die Ursache für jene Beobachtung – etwa die Abnahme der Herzinfarktrate", so Moebus.
Allgemeiner Rückgang
In vielen Ländern geht die Rate schwerer und tödlicher Herzinfarkte ohnehin zurück; es gibt immer bessere Behandlungsmethoden, und in der ärztlichen Praxis wird mehr auf die Senkung möglicher Risikofaktoren wie Blutdruck oder Cholesterinspiegel geachtet. All diese Maßnahmen sind aber wohl eher für eine langsame, stetige Abnahme verantwortlich und nicht für das sprunghafte Absinken der Herzinfarktrate, wie es nach der Einführung der NRSG beobachtet wurde. Bei der Interpretation der Studien muss man zudem berücksichtigen, dass die Herzinfarktrate von Jahr zu Jahr natürlicherweise leicht nach oben oder unten schwanken kann. Diese Schwankungen schlagen sich besonders dann in den Resultaten nieder, wenn die Studie nur einen kurzen Zeitraum erfasst.
Eine Ursache für ein solches Auf und Ab können unter anderem die Wettereinflüsse sein. So hatten spanische Mediziner in ihrer Studie zur Auswirkung von NRSG auf die Herzgesundheit von vornherein das Jahr 2003 herausgelassen, weil im Sommer dieses Jahres eine außergewöhnliche Hitzewelle einen hohen Tribut bei den empfindlichen Herzpatienten forderte [4]. "Auf die Entstehung einer Herzkrankheit wirkt ein bunter Strauß an Faktoren ein, die man in einer Studie unter Kontrolle bringen muss", sagt der Gesundheitswissenschaftler Joseph Kuhn. Doch der Effekt dieser Faktoren kann nicht direkt gemessen werden. Und möglicherweise gibt es Einflüsse, die sich in der beobachteten Zeitspanne ebenfalls geändert haben, die man aber (noch) nicht kennt. Um trotzdem sichere Aussagen machen zu können, brauche es weitere große Studien zu dieser Fragestellung, meint Kuhn.
Zusätzlich zu den Hinweisen aus der Statistik, erklären aber auch die biologischen Vorgänge, warum das Herz-Kreislauf-System rasch vom fehlenden Passivrauch profitieren kann. Der Passivraucher bekommt die mindestens 250 giftigen Substanzen des Tabakrauchs zwar in geringeren Konzentrationen mit als sein qualmender Kollege. Doch das reicht aus, um den Körper zu belasten. Einige Symptome merkt man sofort: die Augen tränen, der Kopf schmerzt, Hustenreiz stellt sich ein. Viele Bestandteile des Tabakrauchs wirken direkt auf die Blutgefäße. Experimente zeigen: Schon 20 Minuten im Passivrauch schädigen die innere Gefäßhaut, das "Endothel", Thrombozyten werden aktiviert und verklumpen [5]. Passivrauch stimuliert Entzündungsprozesse, bewirkt eine Verengung der Blutgefäße, lässt den Blutdruck ansteigen, das Blut zähflüssiger werden, "gutes" Cholesterin in den Gefäßen weniger, "schlechtes" mehr werden. Jede Stunde weniger Passivrauchen kann daher bei empfindlichen Menschen mit bereits geschädigten Gefäßen das Risiko für einen Herzinfarkt verringern.
Verkalkte Passivraucher
Doch der Passivrauch löst nicht nur akute Effekte aus. Auch langfristig kann er das Risiko für koronare Herzerkrankungen um 25 bis 30 Prozent steigern. Forscher vom Universitätsklinikum Essen haben herausgefunden, dass nicht nur die Herzkranzgefäße von Rauchern stark verkalkt sind, ein Umstand, der den akuten Herzinfarkt sehr wahrscheinlich macht. Während die Essener bei Nichtrauchern deutlicher weniger Verkalkungen beobachteten, nahmen Passivraucher eine Art Mittelposition im Verkalkungsgrad ein [6]. "Um genauer abschätzen zu können, wie viel Passivrauch wie stark die Gefäßverkalkung fördert, führen wir gerade genauere Expositionsbestimmungen durch", sagt Moebus.
Diese und andere Befunde machen wahrscheinlich, dass sich zu den kurzzeitigen Effekten der NRSG bald auch längerfristig "Gewinne" abzeichnen werden. So errechneten Wissenschaftler mit Hilfe von Studiendaten aus fünf verschiedenen Ländern im ersten Jahr nach Inkrafttreten der Gesetze eine Reduzierung der Herzinfarktrate um 15 Prozent, nach drei Jahren schon um mehr als ein Drittel. Trotz der sich abzeichnenden deutlichen Effekte tauchen immer wieder Zweifel am tatsächlichen Schädigungspotenzial von Passivrauch auf. Hier muss gründlich hinterfragt werden, wer diese Zweifel streut. Vor sechs Jahren veröffentlichte Thilo Grüning von der London School of Hygiene and Tropical Medicine einen Artikel, in dem er zeigt, dass in Deutschland hochrangige Forscher jahrelang Gelder von der Tabakindustrie erhalten und so die Forschung in eine für die Branche günstige Richtung gelenkt haben [7].
Wenn man also liest, die Gefahren des Passivrauchens seien "ein unglaubwürdiges statistisches Konstrukt", sollte man kritisch prüfen, wie es zu einem solchen Statement kommen kann [8]. Nach der Selbsteinschätzung der Zigarettenindustrie verursacht die Passivrauchdebatte größere wirtschaftliche Schäden als etwa Werbeverbote. Da verwundert es nicht, dass es in Deutschland zwar seit wenigen Jahren NRSG gibt, diese aber zum Teil lückenhaft sind, Ausnahmenregelungen bestehen weiter. "Stellt man irgendwo Nichtrauchertischchen auf und glaubt, der Rauch würde sich von ihnen fernhalten, ist das in etwa so naiv", schreibt der schweizerische Kinderarzt Jürg Barben, "wie wenn man bei einem Swimmingpool erlauben würde, auf der einen Seite hineinzupinkeln und auf der anderen Seite nicht."
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