Meteorologie: Revolution in der Windmaschine
Amazonien oder der Kongo gelten als Lungen der Erde: Ihre riesigen Regenwälder sollen unsere Sauerstoffversorgung zumindest mit gewährleisten. Doch vielleicht sind sie auch eine Art Herz - indem sie Wind und Wasser rund um den Planeten pumpen. Müssen gängige Zirkulationsmodelle überdacht werden?
Noch um 1900 säumte ein breites grünes Band die westafrikanische Küste von Guinea bis Ghana: eine halbe Million Quadratkilometer artenreicher Regenwald, in denen Schimpansen, Leoparden und Zwergflusspferde lebten. Heute ist davon nur noch ein Flickenteppich übrig, und auf 80 Prozent der vormaligen Fläche bestimmen Plantagen, Felder oder Ödland die Szenerie: Westafrika gilt als einer der globalen Brennpunkte der Waldvernichtung – mit übler Fernwirkung.
Dieses Beispiel für den so genannten kleinen Wasserkreislauf scheint jedoch nur ein Ausschnitt eines viel größeren meteorologischen Phänomens zu sein, wenn sich die These der beiden russischen Klimatologen Victor Gorshkov und Anastassia Makarieva vom Institut für Nuklearphysik in Sankt Petersburg tatsächlich bewahrheitet [1]: Demnach gewährleisten Wälder nicht nur einen regelmäßigen regionalen Feuchtigkeitsnachschub, sie agieren sogar als kräftige Windmaschinen mit kontinentalem und vielleicht sogar globalen Einfluss – eine Idee, die ihnen schon nach der Erstveröffentlichung 2007 einigen Zweifel und Spott eintrug. Trotzdem legten sie nach [2].
Die frühen Siedler rodeten den Wald, wo sie als erstes Fuß an Land setzten und würgten damit den Motor ab, weshalb das Landesinnere nach und nach austrocknete: Nur 200 Millimeter Niederschlag fallen heute pro Jahr im australischen Kernland, verglichen mit 1600 Millimetern an der Nordküste. Die gleiche negative Rückkoppelung wirkt heute in Westafrika.
Zuspruch finden sie allerdings ebenso. Doug Sheil und Daniel Murdiyarso vom Institute of Tropical Forest Conservation im ugandischen Kabale haben sich der ursprünglichen These nochmals angenommen und sie überarbeitet [4]. Sie kommen zu einem ähnlichen Schluss: Bislang gebe es keine hinreichende Erklärung, warum das Innere der riesigen Flussbecken im Kongo oder des Amazonas genauso feucht sind wie ihre meeresnahen Regionen. Nach konventionellen Theorien müsste der Niederschlag eigentlich mit wachsender Entfernung zu den Küsten exponentiell zurückgehen. Die biotische Pumpe könnte dagegen das "fehlende Glied" in der Kette sein, das den Feuchtetransfer aufrecht erhält.
Denn die Abholzung verstärkte wohl die Trockenheit im angrenzenden Hinterland und verschärfte damit die Dürrekatastrophen im Sahel – ein ohnehin von geringen Niederschlägen und Wüstenbildung geplagter Landstrich südlich der Sahara. Sommerliche Monsunwinde schaufeln zwar weiterhin Feuchtigkeit aus dem Atlantik nach Westafrika, wo sie sich in einem mehrere hundert Kilometer breiten Küstengürtel niederschlägt. Dort fehlen heute jedoch die Wälder, die den Regen wieder ausdünsten, neue Wolken erzeugen und das kostbare Nass noch weiter landeinwärts schaffen.
Dieses Beispiel für den so genannten kleinen Wasserkreislauf scheint jedoch nur ein Ausschnitt eines viel größeren meteorologischen Phänomens zu sein, wenn sich die These der beiden russischen Klimatologen Victor Gorshkov und Anastassia Makarieva vom Institut für Nuklearphysik in Sankt Petersburg tatsächlich bewahrheitet [1]: Demnach gewährleisten Wälder nicht nur einen regelmäßigen regionalen Feuchtigkeitsnachschub, sie agieren sogar als kräftige Windmaschinen mit kontinentalem und vielleicht sogar globalen Einfluss – eine Idee, die ihnen schon nach der Erstveröffentlichung 2007 einigen Zweifel und Spott eintrug. Trotzdem legten sie nach [2].
Bislang galt es als gesichert, dass Temperatur- und Druckunterschiede die große atmosphärische Strömungen auslösen: Erhitzt sich eine Fläche stark – wie in der Sahara oder auch im Sommer das Tibetische Hochplateau –, steigt dort Luft auf, und es bildet sich in Bodennähe ein Massendefizit, das so genannte Hitzetief. Um dieses auszugleichen, fließt Luft aus Hochdruckgebieten zu. Kleinräumig macht sich dies beispielsweise an den Küsten mit dem Land-See-Windsystem bemerkbar, in dem tagsüber Wind vom kühlen Meer – dem "Hoch" – zum heißen Land – dem "Tief" bläst. Nachts kehren sich dann die Verhältnisse um, wenn über dem Land die Temperaturen stärker sinken als über dem relativ ausgeglichenen Meer. Ähnlich, wenngleich in planetarem Maßstab und längerfristig, funktionieren auch die Monsune.
Gorshkov und Makarieva setzen an anderer Stelle an: Wenn das von der baumreichen Vegetation ausgedünstete Wasser kondensiert, schrumpft das Volumen der lokalen Luftmasse, der Druck sinkt, und es entsteht ein Tief. Und da Wälder mehr Wasserdampf freisetzen als die Ozeane – allein über Amazonien gelangen täglich 20 Billionen Liter Flüssigkeit in die Atmosphäre –, entsteht ein Druckgefälle vom Wasser zum Land, das beständig Nachschub an Feuchtigkeit herankarrt. Nur dadurch ließe sich erklären, dass es im Inneren des Kongos oder in Westamazonien genauso viel oder sogar noch mehr regnet als in Küstennähe, so die Forscher. Zugleich könne man ihr Modell mit allen beobachteten Windgeschwindigkeiten in Einklang bringen – auch mit Hurrikanen oder Tornados. Alles zusammen mache die Evapotranspiration – die von Pflanzen gesteuerte Verdunstung – und nicht die Temperaturen zum Hauptmotor der planetaren Zirkulation.
Dieser Kreislauf bleibt so lange in Gang, bis ausnahmsweise trockene Luft einfließt – oder bis die Wälder abgeholzt werden und dadurch die Verdunstungsrate sinkt: Die "biotische Pumpe", wie die beiden Meteorologen ihr Modell tauften, gerät ins Stocken und erliegt im Extremfall völlig. Auch hierfür können sie ein Beispiel nennen: Australien. Der Fünfte Kontinent ist erst seit wenigen zehntausend Jahren so trocken wie heute – und seine Verwüstung setzte erst nach Ankunft der ersten Menschen ein.
Die frühen Siedler rodeten den Wald, wo sie als erstes Fuß an Land setzten und würgten damit den Motor ab, weshalb das Landesinnere nach und nach austrocknete: Nur 200 Millimeter Niederschlag fallen heute pro Jahr im australischen Kernland, verglichen mit 1600 Millimetern an der Nordküste. Die gleiche negative Rückkoppelung wirkt heute in Westafrika.
Wie schon 2007 müssen die Forscher auch beim zweiten Mal wieder viel Kritik einstecken. Von Aanton Meesters beispielsweise [3]: Der niederländische Geowissenschaftler und seine Kollegen von der Universität Amsterdam werfen den beiden Russen vor, von "unsauber und verwirrend angewandten physikalischen Grundprinzipien" auszugehen. Der Einfluss der Verdunstungskraft auf den globalen Wasserkreislauf sei folglich vernachlässigbar, die Theorie einer biotischen Pumpe "unhaltbar".
Zuspruch finden sie allerdings ebenso. Doug Sheil und Daniel Murdiyarso vom Institute of Tropical Forest Conservation im ugandischen Kabale haben sich der ursprünglichen These nochmals angenommen und sie überarbeitet [4]. Sie kommen zu einem ähnlichen Schluss: Bislang gebe es keine hinreichende Erklärung, warum das Innere der riesigen Flussbecken im Kongo oder des Amazonas genauso feucht sind wie ihre meeresnahen Regionen. Nach konventionellen Theorien müsste der Niederschlag eigentlich mit wachsender Entfernung zu den Küsten exponentiell zurückgehen. Die biotische Pumpe könnte dagegen das "fehlende Glied" in der Kette sein, das den Feuchtetransfer aufrecht erhält.
Sollten sich die Regenwälder tatsächlich nicht nur als Lunge, sondern auch als planetares Herz entpuppen, drohen bald noch mehr Rhythmusstörungen – schließlich schreitet die Abholzung weltweit rapide voran. Die heftige Dürre am Amazonas im Jahr 2005, eine der extremsten seit Menschengedenken, war vielleicht schon ein Vorzeichen. Und selbst das bislang noch feuchte östliche Nordamerika könnte bald austrocknen, wenn dort die Wälder weiterhin zerstückelt und degradiert werden, warnen Gorshkov und Makarieva mit neuen Berechnungen: Bis zu 95 Prozent weniger Regen könnten dann im Mittleren Westen der USA fallen.
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