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Globaler Wandel: In der Zange

Abholzung und Klimawandel gefährden den Regenwald am Amazonas von zwei Seiten - und verstärken sich gegenseitig. Was bedeutet das für die Erde, und wie könnte den Verlusten Einhalt geboten werden?
Kahlschlag am Amazonas
70 000 Feuer brannten im letzten September im Amazonasbecken: Zeichen, dass die diesjährige Brandrodungssaison zu einer der Schlimmeren wird und sich womöglich sogar dem Rekordjahr 2004 annähert, als mehr als 27 000 Quadratkilometer Regenwald zerstört wurden. Dabei hatte sich die brasilianische Regierung noch im letzten Jahr selbst auf die Schulter geklopft und sich für ihr Engagement zum Schutze Amazoniens gelobt, weil sich die Rodungsrate auf "nur" noch 14 000 Quadratkilometer halbiert hatte.

Abholzung in Mato Grosso | Eine der größten Gefahren für den Amazonas-Urwald ist die Ausweitung der industrialisierten Landwirtschaft: Sojafelder und Viehweiden dringen wie hier am Rio Xingu im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso immer stärker in bislang unberührte Gebiete vor. Reservate wie das für die Xingu-Indianer (große grüne Fläche im zentralen Bildbereich) können diesen Prozess allerdings verhindern oder zumindest reduzieren.
Tatsächlich bemühte sich Staatspräsident Lula da Silva mit seinem Kabinett verstärkt um den Schutz einer der letzten verbliebenen Waldwildnisse der Erde. Umweltpolitiker, Wissenschaftler und Naturschützer machen allerdings eher fallende Preise für Soja und einen wachsenden Wert der brasilianischen Währung, der Exporte verteuert, für den Rückgang der Rodungsaktivitäten verantwortlich als effektive Maßnahmen seitens der Regierung. 2007 nun stieg weltweit wieder die Nachfrage nach dem Kraftfutter Soja, untermauerten europäische und US-amerikanische Politiker ihre Bestrebungen, vermehrt Kfz-Kraftstoffe vom Acker einzusetzen, und setzte Brasilien seinen Kurs fort, zu einer der größten Exportnationen für landwirtschaftliche Produkte zu werden. All das löste eine neue Hausse in Amazonien aus, wo sich die so genannte Agrarfront aus Süden und Osten immer weiter zum großen Amazonas-Fluss vorfrisst.

Brandrodung macht Brasilien zum CO2-Giganten

Neun Länder teilen sich dieses Bonanza der Artenvielfalt, an dem Brasilien einen Anteil von weniger als zwei Dritteln hält, aber für vier Fünftel der Abholzung verantwortlich ist. Etwa 15 Prozent des ursprünglichen Regenwaldes gelten mittlerweile als völlig zerstört, weitere Areale sind großflächig auf verschiedene Art geschädigt. Kombiniert macht dies das Ökosystem zunehmend anfällig für die Folgen der Erderwärmung, wie nun Forscher um Yadvinder Malhi von der Universität Oxford mahnen.

Fischgrätenmuster der Entwaldung im Amazonasbecken | Ausgehend von Straßen frisst sich die Entwaldung rechts und links in das Ökosystem vor.
Dem Amazonasraum setzen im Falle fortgesetzter Aufheizung allerdings weniger steigende Temperaturen zu – in den letzten Jahrzehnten erwärmte sich die Region um etwa ein Grad Celsius, weitere 3,3 Grad Celsius werden prognostiziert –, gefährlich werden ihm eher veränderte Niederschlagsverhältnisse. Weniger Regen in der Trockenzeit, die im von Landumwandlung am stärksten betroffenen südlichen Bereich des Naturraumes von Juli bis etwa Dezember andauert, dürfte die kritischste Einflussgröße sein, so Malhi und seine Kollegen.

Geschichtsträchtig war beispielsweise die intensive Dürre 2005, die viele Zuflüsse des Amazonas wochenlang trockenfallen ließ und zahlreiche Dörfer von der Außenwelt abschnitt. Gleichzeitig war es eine der stärksten Rodungsphasen der letzten Jahre, da die ausgetrocknete Vegetation leicht zu entflammen war. Klimatologen machen dafür die starke Aufheizung des Atlantiks nördlich des Äquators verantwortlich, die im gleichen Jahr zu einer sehr heftigen Hurrikansaison in der Karibik führte. Wegen des zeitweiligen großen Temperaturunterschieds zwischen Nord- und Südatlantik verlagerte sich die Innertropische Konvergenzzone weiter nordwärts als üblich, was Karibik und Zentralamerika mehr Regenfälle brachte. Zugleich verdorrte das südliche Amazonien durch unüblich konstanten Hochdruckeinfluss. Unter wärmeren Klimaszenarien könnten sich derartige Anomalien häufen und die Regel werden, was letztlich Regenwald zu Savanne in Teilen Brasiliens wandeln dürfte.

Opfer und Verstärker zugleich

Der schlimmste Fall im Jahr 2050 | Geht die Entwaldung am Amazonas ungebremst weiter, dann ist bis zum Jahr 2050 fast die Hälfte des gesamten Regenwaldes zerstört. Auf Grund klimatischer Besonderheiten könnte dies zum Zusammenbruch des gesamten Ökosystems dort führen, da der Wald sich teilweise sein eigenes Klima schafft: Die Folge wäre eine grasige Savannenlandschaft. In die Simulation flossen allerdings keine weiteren Infrastrukturmaßnahmen ein als die bislang geplanten. Unberücksichtigt blieben deshalb auch Vorhaben wie die neu ins Gespräch gebrachte Gaspipeline von Venezuela nach Brasilien.
Doch die Hyläa – wie Alexander von Humboldt die südamerikanischen Regenwälder nannte – sind nicht nur potenzielles Opfer des Klimawandels, ihre Zerstörung trägt auch aktiv zu diesem Prozess bei. Allein während der Abholzungsorgie der 1990er Jahre entwichen etwa fünf Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre, die in der Biomasse gespeichert war, und Brasilien gilt vor allem wegen Brandrodungen heute als der dritt- oder viertgrößte Produzent von CO2 weltweit. Wissenschaftler sehen in Tropenwäldern zudem Kohlenstoffsenken, die der Atmosphäre mehr Kohlendioxid entziehen, als sie unter normalen Bedingungen während ihres Stoffwechsels ausatmen: Etwa 600 Millionen Tonnen Kohlenstoff verschwinden so Jahr für Jahr im Holz der Bäume.

Wichtiger aber noch ist die Rolle der Vegetation im Wasserkreislauf – wenn nicht im globalen Rahmen, so doch zumindest im kontinentalen: Ein Viertel bis die Hälfte der eingehenden Niederschläge erzeugt der Wald durch Verdunstung gleich wieder selbst, was vor allem im Süden und Osten Amazoniens wichtig ist, die stärker von lokalen Gewitterregen abhängen. Messungen und Satellitendaten zeigten bereits, dass großflächiger Waldverlust dies unterbindet, weshalb die Gesamtniederschläge sinken. Zusätzlich stören Aerosole aus Rodungsfeuern die Wolkenbildung und verringern damit ebenfalls die Regenmenge.

Monotonie statt Vielfalt | Der artenreiche Regenwald muss für eintönige Sojafelder und Viehweiden weichen – damit Europa billiges Fleisch konsumieren kann. Die neueste Gefahr droht durch Pläne der Europäischen Union den Klimawandel mit Agrartreibstoffen zu bekämpfen. Doch es ist die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub, denn mit dem Abbrennen des Urwaldes wird mehr Kohlendioxid freigesetzt, als durch den vermeintlichen Biodiesel je eingespart werden könnte.
Schätzungen gehen davon aus, dass die Reduzierung der Regenwaldfläche um 30 bis 40 Prozent große Teile Amazoniens dauerhaft in ein trockeneres Klimaregime verschieben dürfte. Es ist deshalb vielleicht eine böse Ironie des Schicksals, dass die brasilianische Regierung just in diesen Landesteilen neue Staudämme zur Stromerzeugung plant, die bei schwindenden Wasservorräten kaum mehr ihre Rolle erfüllen können. Die Austrocknung zu spüren bekommt weiterhin am ehesten der Osten der brasilianischen Hyläa, der in relativer Nähe zu den großen natürlichen Trockengebieten des Landes liegt und der gegenwärtig großräumig von Viehzucht und Sojaanbau erobert wird.

Dauerhafte Trendwende?

Umgekehrt erleichtert zunehmende Trockenheit die Landumwandlung, da die Vegetation anfälliger für Feuer wird. Pro Jahr wächst die unmittelbar an Waldränder grenzende Waldfläche um bis zu 50 000 Quadratkilometer allein in Brasilien: Diese Areale trocknen leichter aus, verlieren Tiere und Pflanzen des Waldinneren sowie lebende Biomasse, die tot hervorragendes Zündmaterial liefert. Abgelegene Urwälder überstanden die Dürre 2005 daher nahezu unbeschadet, während an der Entwaldungsfront Feuer oft völlig außer Kontrolle gerieten und weit größere Flächen einäscherten als ursprünglich geplant.

Brandrodung | Häufig werden die zur Umwandlung vorgesehenen Flächen einfach nur abgebrannt, ohne vorher wenigstens noch das Holz zu verwerten. Brandrodung macht Brasilien zu einem der größten Kohlendioxid-Emittenten weltweit.
Präsident Lula rühmt sich seitdem, eine Trendwende in Amazonien herbeigeführt zu haben, seine Regierung verfolgt aber weiterhin gewaltige Infrastrukturprojekte vor Ort: Straßen sollen durch zentrale Urwaldregionen geschlagen und asphaltiert werden, eine Anbindung Brasiliens an Pazifikhäfen und damit an die aufstrebenden asiatischen Märkte für Fleisch und Tierfutter erfolgen, neue Flusshäfen den Export nach Europa erleichtern. Europäisches und nordamerikanisches Interesse an Agrartreibstoffen soll ebenfalls mit brasilianischem Soja und Zuckerrohr bedient werden. Alles in allem könnte gewollt und ungewollt der Amazonasregenwald bis 2050 auf nur noch 3,2 Millionen Quadratkilometer Fläche zusammenschrumpfen. Das wäre knapp mehr als die Hälfte des ursrpünglichen Areals und läge damit jenseits des als kritisch angesehenen Schwellenwerts für den Erhalt des gesamtes Ökosystems – ganz abgesehen von weiteren 32 Milliarden Tonnen Kohlenstoff für die Atmosphäre. Und unberücksichtigt ist dabei noch die potenzielle Eignung des bislang unberührten amazonischen Nordwestens für Palmölplantagen, die bereits in Südostasien für immensen Kahlschlag gesorgt haben.

Kann es angesichts des ökonomischen Drucks eine Rettung Amazoniens überhaupt geben? Malhi und seine Kollegen meinen ja – und stützen sich auf Schutzanstrengungen der letzten Jahre, unter denen in vielen Teilen des brasilianischen Regenwalds riesige Reservate geschaffen wurden. Sie politisch und gesetzlich vor Ort durchzusetzen, ist der Schlüssel zum Erfolg, wie es Peru bereits gezeigt hat: Strikte Handhabung der Gesetze haben die Rodungen entlang von Straßen und in Schutzzonen weit gehend unterbunden. Die Parks gilt es außerdem durch bewaldete Korridore entlang von Flüssen und in besonders klimasensiblen Regionen zu verbinden. Ersteres hebt als Nebeneffekt die Wasserqualität und reduziert das Versanden vorhandener Stauseen. Gänzlich tabu sollte zudem der Nordwesten Amazoniens sein, in dem sich die höchste Artenvielfalt tummelt und den der Klimawandel am wenigsten schädigt.

Eine Herkulesaufgabe

Dürre und Abholzung | Die Regionen, die am stärksten von Dürre in Amazonien bedroht sein könnten (gelbe und rote Farbtöne), gelten auch als am stärksten von Abholzung bedroht (dunkelrote Punkte). Die linke Karte zeigt die schlimmste Entwicklung bis 2050 an, die rechte ein Szenario, bei dem viel Wald geschützt wird.
Diese Herkulesaufgabe kann und darf allerdings nicht allein von den lateinamerikanischen Ländern gestemmt werden. Vielmehr müssen auch die reichen Nationen Europas wie Nordamerikas – immer noch Hauptverursacher der Erderwärmung – sich an den Anstrengungen beteiligen. Eine Chance bietet die nächste Woche beginnende Konferenz zum Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll auf Bali. Der Schutz der tropischen Wälder soll und muss nach Ansicht der Forscher im neuen Vertragswerk effektiv verankert werden, sodass für die betroffenen Staaten der Schutz des Regenwaldes auf lange Sicht lukrativer ist als deren Vernichtung.

Immerhin, das zeigen neuere Forschungsergebnisse, reagiert der Amazonaswald weniger sensibel als bislang befürchtet auf Klimaextreme: Intakte Bestände treiben während einer Dürre sogar mehr Blätter aus als in normalen Jahren. Sie profitieren von stärkerem Sonnenschein und zapfen gleichzeitig mit ihren Wurzeln tiefer gelegene Wasserreserven an. Höhere CO2-Werte verbessern die Fotosynthese-Leistung und lässt die Pflanzen dabei Wasser sparen – sie arbeiten quasi effektiver. Nur länger als drei Jahre dürfen ausgeprägte Dürrephasen nicht ausdauern.

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