Energiewende: Zögert an einem anderen Tag!
Der Klimawandel wartet nicht. Er wartet nicht darauf, dass eine Partei regiert, die sich für ihn interessiert. Er wartet nicht darauf, dass Deutschland es schafft, eine Nord-Süd-Stromtrasse zu bauen oder sich zu einigen, wer die Netzausbaukosten trägt. Der Klimawandel ist hier und die Folgen sind bereits spürbar – man denke an die Flutkatastrophe in Spanien im Herbst 2024, die Dürre in Südeuropa 2022 oder die Hitze in Deutschland im Sommer 2018. Und weil die Menschheit durch Nichtstun an ihrem eigenen Ast sägt (und dem der allermeisten anderen Tiere und Pflanzen), können wir uns beim Umbau unserer Energiesysteme und der Erreichung der Klimaneutralität kein Zögern mehr leisten.
Themenwoche: Stromnetze der Zukunft
Unsere Stromversorgung ändert sich – und mit ihr die Anforderungen an das Netz. Wir beleuchten in dieser Themenwoche die spannendsten Aspekte zur Zukunft unserer Stromversorgung.
Energiewende: Damit das Netz nicht reißt
Netzausbau: Darf der Netzbetreiber meine Wärmepumpe abschalten?
Grafik: Das größte Stromnetz der Welt
Nutzen statt abregeln: Wohin mit dem überschüssigen Strom?
Hohe Strompreise: Günstig erzeugt, teuer verkauft
Fotovoltaik: Solarzellen werden effizienter, flexibler, ästhetisch
Energiewende: Zögert an einem anderen Tag!
Alle Artikel zur Themenwoche »Stromnetze der Zukunft« finden Sie auf unserer Themenseite »Energie«.
Manchmal scheint es so, als hätten die Wirtschaftsvertreter und Politiker dieses Landes bereits beschlossen, dass der Kampf gegen den Klimawandel doch gar nicht so drängend ist. Da stellt Christian Lindner von der FDP doch allen Ernstes in Frage, ob Deutschland überhaupt bis 2045 klimaneutral werden müsse – die Europäische Union strebe dieses Ziel doch auch erst für 2050 an. Der Bundesverband der deutschen Industrie beruft sich darauf, dass Deutschland das Klima nicht allein retten könne. In anderen Weltregionen sei schon die jährliche Zunahme an Emissionen stärker als die deutschen Gesamtemissionen. Und Vertreter von Energieversorgungsunternehmen fordern von der Politik mehr Planungssicherheit für ihre Investitionsvorhaben, anstatt sich selbstbewusst und innovativ für die Energiewende einzusetzen. Sie verlangen Geduld und warnen vor Schnellschüssen. In Anbetracht der Größe und Relevanz des Klimaproblems wirken all diese Äußerungen gefährlich desinteressiert und gleichen einem Offenbarungseid.
Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die deutsche Energiewende ihren Ursprung schon in den 1970er und 1980er Jahren hat. Von einem Schnellschuss kann man da nicht gerade sprechen. Worauf also warten alle?
Verzögerungstaktiken
Schauen wir mal auf die Parteien, die in den zurückliegenden 20 Jahren Regierungsverantwortung hatten:
Da ist zum einen die FDP. Das ehemalige Mitglied der Ampelregierung verfolgt in wirtschafts- und energiepolitischen Fragen längst Pläne, die einer erfolgreichen Energiewende eher entgegenlaufen. Das »geleakte« Grundsatzpapier für die Wirtschaftswende – das Recherchen der »Zeit« zufolge möglicherweise ein bewusst konstruiertes Papier für den Bruch der Ampelregierung war – torpediert beinahe sämtliche Bemühungen der vergangenen Jahre. Die Partei will den gesetzlich festgelegten Zeitpunkt für den Kohleausstieg streichen, klimapolitische Subventionen abschaffen und den Klima- und Transformationsfonds auflösen. Egal, ob das Papier nun als pure Provokation gedacht war oder ernst gemeint ist: Mit solchen Verzögerungstaktiken ist weder der Wirtschaft noch sonst irgendwem geholfen.
Die CDU, die zusammen mit ihrer Schwesterpartei CSU in aktuellen Wahlumfragen führt, bekennt sich in ihrer »Energie-Agenda für Deutschland« zwar weiterhin zu dem Ziel, die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral zu machen und will »Wirtschaft, Energie und Klimaschutz konsequent zusammendenken«. Doch sie stänkert darin auch immer wieder auf destruktive Weise gegen die Ampelregierung, nennt sie »engstirnig«, »zögerlich«, »ideologisch« und »regelungswütig«. Mit Sicherheit waren nicht alle Projekte der Ampel unkritisch (man denke nur an das in Teilen überambitionierte und vielfach kritisierte Heizungsgesetz). Doch viele Versäumnisse, Regelungen und Zögerlichkeiten fallen in die 16-jährige Regierungszeit der CDU.
Die SPD klopft sich in ihrem bereits 2021 veröffentlichten »Zukunftsprogramm« selbstbewusst für »historische Entscheidungen« auf die Schulter, die sie mitverantwortlich getroffen habe, und bezeichnet es als Menschheitsaufgabe, den Klimawandel zu stoppen. Sie malt darin ein rosiges Bild von der Bundesrepublik im Jahr 2045, wenn sie schreibt: »Die Energieversorgung Deutschlands basiert dann vollständig auf erneuerbaren Energien, unsere Gebäude werden effizient mit erneuerbaren Energien beheizt. Unsere Industrie ist auf den Weltmärkten weiterhin führend, gerade weil sie CO2-neutral produziert und Technologien exportiert, die die klimaneutrale Welt von morgen braucht.« Das allerdings klingt derzeit eher nach »Fiction« als nach »Science«. Die konkreten Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, bleiben schwammig.
»Es steht global mehr auf dem Spiel als innenpolitische Scharmützel im Wahlkampf«Robert Habeck, Wirtschaftsminister
Einzig die Grünen setzen auf den letzten Metern der Legislaturperiode noch zu einem klimapolitischen Sprint an. So bat Vizekanzler und Spitzenkandidat Robert Habeck die Opposition auf dem Energiewende-Kongress der Deutschen Energie-Agentur Mitte November 2024, sich doch konstruktiv zu zeigen. Sie solle die noch ausstehenden, klimapolitisch notwendigen Gesetzesänderungen im Sinne des Landes unterstützen, statt sich dafür zu beklatschen, was man alles verhindert habe. »Es steht global mehr auf dem Spiel als innenpolitische Scharmützel im Wahlkampf«, sagte er. Die Ampelregierung habe die Weichen dafür gestellt, dass der Strom sauber werde; jetzt müsse er in einem nächsten Schritt günstiger werden. Habeck plant, Steuern und Abgaben auf Strom zu senken. »Wenn nötig sogar die Mehrwertsteuer.« Für solche Vorhaben braucht die rot-grüne Minderheitsregierung jedoch Stimmen von den anderen Parteien. Ebenso für das Kraftwerkssicherheitsgesetz. Es soll die Grundlage dafür sein, dass in Deutschland in den kommenden Jahren wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut werden können. Viele Energieunternehmen scheuen bislang Investitionen in diese neuen Kraftwerke, da sie nicht sofort rentabel sind.
Dass der Umbau des Energiesystems komplex ist, bestreitet niemand. Deutschland ist ein wichtiger Industriestandort und will es bleiben. Damit die Unternehmen nicht ins Ausland abwandern, müssen die Strompreise für die energieintensiven Produktionsbetriebe dringend sinken. Doch ebenso wenig können wir uns ein instabiles, schlecht gewartetes Stromnetz leisten, das auf Stromimporte aus Nachbarländern angewiesen ist. Da beunruhigt es schon, wenn Forschende darauf hinweisen, dass wir im Jahr 2023 erstmals »von einer Stromexportnation zu einer Stromimportnation geworden sind«. Die Bruttostromproduktion sank von rund 645 Terawattstunden im Jahr 2017 auf 509 Terawattstunden im Jahr 2023 – insbesondere, weil die vom Netz genommenen Kohle- und Kernkraftwerke nicht gleichwertig ersetzt wurden. Dabei wird künftig für die zunehmende Anzahl von Elektroautos, Wärmepumpen und für die Produktion von grünem Wasserstoff noch viel mehr Strom benötigt als heute. Das wäre definitiv ein Argument für Habecks Gaskraftwerke, die nach derzeitigem Stand essenziell sind, um die Versorgungssicherheit künftig zu gewährleisten.
Der Netzausbau lässt sich nicht in einer einzigen Legislaturperiode bewerkstelligen, da müssen sämtliche künftigen Regierungen mitziehen
Wichtig ist darüber hinaus ein schneller Netzausbau, um den Strom aus dem windreichen Norden in den Süden zu transportieren, wo große Industrieunternehmen ihn brauchen. In den nächsten zwei Jahrzehnten sollen tausende Trassenkilometer hinzukommen. Außerdem wird das Netz insgesamt kleinteiliger, weil mit Windrädern, Fotovoltaikanlagen, Wasserkraftanlagen und Biomassereaktoren immer mehr dezentrale Stromerzeuger ins Netz integriert werden müssen. Das alles zu koordinieren und zu finanzieren, ist eine Mammutaufgabe. Dazu gesellen sich zahlreiche Fragen zur Verteilung von Erzeugungsüberschüssen, zur Grundlastversorgung und zur Speichertechnik. Das alles lässt sich ganz sicher nicht in einer einzigen Legislaturperiode bewerkstelligen, da müssen künftige Regierungen mitziehen.
Wie aber soll die klimaneutrale Zukunft Realität werden, wenn es fast überall an echtem Transformationswillen mangelt? Auf einen politischen Masterplan werden die Wirtschaftsakteure vergeblich warten. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Folgen eines so umfassenden Umbaus des Stromnetzes nicht vollständig absehbar sind. Wer hundertprozentige Planungssicherheit fordert, kommt vom gegenwärtigen Zustand nicht weg. Mut und Innovationswille sind daher entscheidend dafür, mit der Energiewende voranzukommen und den Erfolg des Industriestandorts Deutschland zu sichern.
Mut zum Risiko
Beispiel Stahlindustrie: Ohne Stahl sind keine der erneuerbaren Energiequellen denkbar. Jede Windkraftanlage, jedes Solarpanel, jeder Strommast benötigt Stahl. Hier könnte also eine Win-win-Situation entstehen. Allerdings fällt bei dessen Produktion sehr viel Kohlendioxid an. Ein Wechsel von der bislang verwendeten Kohle auf klimaneutral produzierten Wasserstoff und grünen Strom ist daher essenziell. Statt also Stellen abzubauen, sollte mutig in die Zukunft investiert werden. So wie es das schwedische Unternehmen H2 Green Steel macht: Nur wenige Kilometer südlich des Polarkreises in der Region Norrbotten entsteht gerade das erste grüne Stahlwerk der Welt.
Immerhin: Die Stromerzeugung in Deutschland ist bereits deutlich sauberer geworden
Beispiel Energieversorger: Laut der Stadtwerkestudie 2023 hat nur ein Drittel der Befragungsteilnehmer eine durchgängige Dekarbonisierungsstrategie. Statt ihr Fernwärmenetz auszubauen oder voll auf erneuerbare Energie zu setzen, warten viele lieber ab. Dabei sind es gerade die Stadtwerke, die als lokale Akteure die Energiewende voranbringen können. Die Stadtwerke Düsseldorf gründeten schon im Jahr 2010 eine »grüne Tochter«, die bundesweit Projekte in den Bereichen Windkraft, Fotovoltaik, Biomasse, Wasserkraft und Speicher realisiert und betreibt. Der Erfolg gibt ihnen Recht.
Beispiel Ladestationen: Für einen grüneren Verkehrssektor hat der Energiekonzern EnBW schon 2009 erste öffentliche Ladestationen errichtet. Damals war das eine riskante Wette, denn deutschlandweit gab es gerade einmal 162 Neuzulassungen von Elektroautos. Heute ist EnBW der größte Betreiber von Ladeinfrastruktur in Deutschland.
Immerhin: Die Stromerzeugung in Deutschland ist bereits deutlich sauberer geworden. Entstanden im Jahr 1990 mit jeder erzeugten Kilowattstunde noch durchschnittlich 860 Gramm Kohlendioxid, so waren es 2021 nur noch rund 473 Gramm. Das darf aber keinesfalls bedeuten, jetzt einen Gang runterzuschalten. Nur mit vereinten Kräften aller Beteiligten wird das Szenario, das die SPD sich ausmalt, im Jahr 2045 Realität sein. Oder wie Catiana Krapp in einem Kommentar fürs »Handelsblatt« schreibt: »Die Energiewende ist komplex, und Politiker werden immer um den richtigen Weg ringen. Statt sich also in einer Phase grundlegender Umbrüche mehr Beständigkeit zu wünschen, wäre es manchmal die pragmatischere Lösung, sich zu vergegenwärtigen, was das Wort ›Unternehmen‹ impliziert: dass man etwas unternimmt.«
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen