Langer Boxenstopp für LHC-Protonen
Wohl erst im Frühjahr 2009, so ließ es das CERN am 23. September verlauten, wird der LHC wieder in Betrieb genommen.
24. September 2008
Kaum mehr als eine knappe Fehlerbeschreibung ("eine fehlerhafte elektrische Verbindung zwischen zwei Magneten"), begleitet von mutmachenden Worten des CERN-Generaldirektors Robert Aymar, enthält die gestrige Pressemeldung des CERN. Weil die Reparaturen Zeit benötigen und außerdem die obligatorische Winterpause am CERN ansteht, die der Instandhaltung der technischen Instrumente dient, werden wohl erst im kommenden Frühjahr wieder Protonen durch den LHC rasen – ein langer Boxenstopp nach einem glänzenden Start.
Wer sich darüber hinwegtrösten will, kann dies zum Beispiel im Internet tun. In der ARD-Mediathek etwa findet sich ein SWR2-Interview zur Frage Was bringt das größte Physik-Experiment aller Zeiten?. Neues dürfen "Spektrum"-Leser zwar nicht erwarten – wenn doch, hätten wir unsere Arbeit nicht gut gemacht –, reizvoll ist aber natürlich der O-Ton. Zu den Gesprächspartnern gehören Gerhard Börner vom Garchinger Max-Planck-Institut für Astrophysik, der in unserem Jubiläumsheft über "Die Feinde der Dunklen Energie" berichten wird, und Rolf Landua, Antimaterieexperte am CERN (sein LHC-Buch "Am Rand der Dimensionen" ist in der Linkleiste auf dieser Seite genannt).
Denn live erfährt man von den Forschern doch etwas mehr, als sie schriftlich zu Protokoll geben würden. Demzufolge wäre beispielsweise die Entstehung eines Schwarzen Lochs im LHC "immerhin eine interessante Art", wie die Welt zugrunde gehen könnte – da spricht wohl der leidenschaftliche Entdecker. Jenseits solcher eher ironisch gemeinten Gedanken dreht sich das Gespräch aber auch um den Fall, dass der LHC "nur" das Higgs-Boson entdecken könnte. Mit diesem „Gottesteilchen“ als letztem noch aufzufindenden Bestandteil des Standardmodells der Teilchenphysik rechnen die Physiker aber ohnehin seit Jahrzehnten. Käme darüber hinaus nichts Neues dazu, blieben ihnen also selbst am LHC die (reichlich spekulativen) Extradimensionen oder die bislang ebenfalls nur hypothetische Supersymmetrie verborgen, verlöre die „goldene Ära“ der Physik deutlich an Glanz.
Doch auch für diese Eventualität haben die Wissenschaftler bereits einen treffenden Ausdruck gefunden: die „große Wüste“. Ganz ausschließen lässt sie sich tatsächlich nicht, wie in der Jubiläums-Novemberausgabe von „Spektrum“ auch Hermann Nicolai, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, schreibt: Möglicherweise wartet bis hinauf zur Planck-Energie von rund 1028 Elektronvolt keinerlei "neue Physik" auf die Experimentatoren. Das würde die Teilchenphysiker zwar nicht unmittelbar arbeitslos machen. Das folgende Warten auf einen LHC-Nachfolger, der auch die Planck-Skala knackt, zöge sich aber merklich in die Länge. Entsprechende Beschleuniger nämlich müssten wahrhaft astronomische Ausmaße besitzen.
22. September 2008
"Schon ein einziger der acht gekühlten Sektoren würde, falls er für Reparaturarbeiten wieder auf Umgebungstemperatur gebracht werden müsste, für zwei bis drei Monate Verzug sorgen." So stand es auf S. 39 unseres Beitrags "Entdeckungsmaschine der Superlative" in unserem aktuellen Dossier (hier kostenfrei nachzulesen).
Nun ist es schon soweit: Ein "Vorfall im LHC-Sektor 34", so ließ das CERN verlauten, legt den LHC "mindestens zwei Monate" lahm (und nicht nur, wie ursprünglich erhofft, bis Ende der Woche). Offenbar ist es zu einem Quench gekommen, also zur plötzlichen Überhitzung eines der supraleitenden Magneten (siehe im selben Artikel auf S. 35). Außerdem trat "eine Menge Helium" in den Tunnel aus.
19. September 2008
Das Bundesforschungsministerium hat guten Grund, auf www.weltmaschine.de für den LHC zu werben. (Auch wenn er derzeit wegen eines Problems am Kühlsystem erst einmal abgeschaltet ist.) Immerhin überweist das BMBF als größter Beitragszahler unter den zwanzig Mitgliedsländern jährlich rund 130 Millionen Euro an das europäische Teilchenforschungszentrum CERN, das den Riesenbeschleuniger beherbergt.
Nun kündigt das Ministerium sogar den "Tag der Weltmaschine" an. Am Dienstag, dem 23. September, laden Planetarien in Berlin, Bochum, Freiburg, Hamburg, Mannheim sowie das Max-Planck-Institut für Physik in München ein, sich von CERN-Forschern den LHC erklären zu lassen. Von Gregor Herten beispielsweise. Der Professor an der Universität Freiburg ist mitverantwortlich für die Datennahme am größten LHC-Experiment ATLAS. Gemeinsam mit einer weiteren Forschergruppe stellten seine Mitarbeiter unter anderem neuartige Sensoren für die Vermessung der Teilchenreaktionen her. LHC-Interessierte wird Herten nun buchstäblich "in die Materie" einführen.
Auch in München wird der LHC von einem ausgewiesenen Experten vorgestellt. Siegfried Bethke, einer der Direktoren am dortigen Max-Planck-Institut für Physik, ist ebenfalls Mitglied der ATLAS-Kollaboration, forschte aber auch schon am LEP-Speicherring des CERN. (Vorsicht: Auf weltmaschine.de ist als Veranstaltungsort noch das Münchner Planetarium genannt, die korrekten Informationen finden Sie hier).
Innenansichten des LHC gewährt darüber hinaus eine Ausstellung in Berlin: "Weltmaschine" soll ab 15. Oktober (allerdings nur bis zum 16. November) die "Aufbruchstimmung vermitteln, die derzeit Teilchenphysiker aus aller Welt erfasst". Für den Blick in die Röhre des LHC fand sich sogar eine passende "location": der U-Bahnhof Bundestag.
12. September 2008
Medial ist die von Frank Wilczek beschworene "goldene Ära" der Physik bereits in dieser Woche angebrochen. So finden selbst die "Tagesthemen", die sonst nur selten die Neugier der Physiker befriedigen, Antworten auf schwierige Fragen ("Warum ist der LHC so groß?"). Die Titelseite der FAZ schmückt gar ein Schwarzes Miniloch ("nicht echt", dafür in Über-Lebensgröße). Nicht einmal die "Bild" verpasste das Ereignis: "Jetzt geht's los" (lohoos?) hieß es dort, und Ha-Ha Schack kommentierte "Nun forscht mal schön".
Was aber erhoffen sich die CERN-Forscher von der Goldenen Ära wirklich? Worum genau geht es, wenn Physiker über das Higgs-Boson, über neue Fundamentalkräfte und Symmetrien, über das Rätsel der Dunklen Materie und Extradimensionen reden? Hier veröffentlichen wir vorab den Artikel "Teilchenphysik vor dem Umbruch" von Chris Quigg.
Der US-Physiker weiß, wovon er redet. Zehn Jahre lang war er Leiter der Abteilung für theoretische Physik am Beschleunigerzentrum Fermilab in Illinois, das am Bau des LHC wesentlich beteiligt war. Sein Spezialgebiet sind die Physik der Superbeschleuniger und jene Energiebereiche, in die der LHC nun vorstößt. Und natürlich: Quigg ist regelmäßig zu Gast am CERN.
Sein Beitrag erscheint, ergänzt um zahlreiche Grafiken, übrigens auch in unserer Novemberausgabe, mit der Spektrum der Wissenschaft sein dreißigjähriges Jubiläum feiert (ab 27. Oktober im Fachbuch- oder Bahnhofsbuchhandel).
Viel Spaß beim Lesen!
10. September 2008
Um 10 Uhr 28 am heutigen Mittwoch war es soweit: Der erste Protonenstrahl raste durch den Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) am europäischen Teilchenforschungszentrum CERN bei Genf. Segment für Segment der 27 Kilometer langen Röhre hatten die Forscher getestet und den Strahl dabei jedesmal neu justiert – unter den gespannten Blicken von CERN-Mitarbeitern im Kontrollraum und Journalisten, die jeden Teilerfolg mit Applaus würdigten.
CERN-Generaldirektor Robert Aymar sprach von einer "Entdeckungsmaschine", von Physikern weltweit trafen Gratulationen ein: von Pier Oddone etwa, dem Direktor des US-amerikanischen Beschleunigerzentrums Fermilab, und von Atsuto Suzuki, dem Chef des japanischen KEK-Laboratoriums. Kurz vor dem Start war sogar UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon vor Ort gewesen und hatte das "leuchtende Beispiel" gelobt, das die internationale Wissenschaftlergemeinde mit diesem gigantischen Projekt gibt.
Eine Energie von maximal sieben Teraelektronvolt pro Protonenstrahl streben die LHC-Forscher an, fünf TeV sollen offenbar noch in diesem Jahr erreicht werden. Noch ein paar Wochen wird es auch dauern, bis die Wissenschaftler erstmals zwei gegenläufige Strahlen kollidieren lassen. Dann erst geschieht im LHC das, worauf es den Physikern ankommt: dass die unzähligen, bei den Kollisionen entstehenden Partikel von den tonnenschweren Detektoren des Beschleunigers registriert werden.
Elektronische "Spamfilter" werden jene Ereignisse aussortieren, deren physikalische Erklärung längst bekannt ist. Stattdessen werden sie die nachgelagerten Computersysteme – unter anderem ein "Grid", dessen Rechner über mehrere Kontinente verteilt sind – nur mit denjenigen Daten füttern, die Neues verheißen. Etwa ein Jahr lang muss die Wissenschaftswelt aber warten, so vermuten die CERN-Verantwortlichen, bis tatsächlich neue Resultate auf dem Tisch liegen.
8. September 2008
Am 10. September soll der erste Partikelstrahl durch den Large Hadron Collider geschickt werden. Zwar fand schon am 22. August eine Vorabpremiere statt, als die ersten Protonenbündel durch einen Teil des ringförmigen Teilchenbeschleunigers mit seinen über acht Kilometer Durchmesser rasten. Erst jetzt aber feiert das europäische Teilchenforschungszentrum CERN bei Genf mit einem Komplettdurchlauf auch offiziell seine große Premiere.
Wer "dabei" sein will: Ab 9 Uhr unserer Zeit lassen sich per Webcast (siehe Linkleiste) neun Stunden lang Liveübetragungen empfangen. LHC-Projektleiter Lyn Evans und CERN-Direktor Robert Aymar berichten über das aktuelle Geschehen, außerdem sind zahlreiche dokumentarische Beiträge geplant, etwa über das ALICE- und das Atlas-Experiment oder die Arbeit der "accelerator operators". Selbst zur "LHC-Pyjama-Party" im US-amerikanischen Fermilab bei Chicago soll eine Videokonferenz geschaltet werden. Das Beschleunigerlabor steuerte wichtige Beiträge zum LHC bei und will – mitten in der US-Nacht – natürlich ebenfalls mitfeiern.
Nur auf Ergebnisse sollte noch niemand hoffen. Bis zum Erreichen der "design performance" von 14 Teraelektronvolt werden die Forscher noch Monate benötigen, die Auswertung der Daten wird ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen. Der Premierenfeier werden also weder das Higgs-Teilchen noch die ersten supersymmetrischen Partikel ihren Besuch abstatten. Doch wie oft hat man schon Gelegenheit, den Anbruch einer "goldenen Ära der Physik" (Frank Wilczek) live mitzuverfolgen?
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