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Googles Quantencomputer: Bedenkliche Überlegenheit

Die Leistung der Google-Forscher ist beachtlich - keine Frage. Doch wer glaubt, dass der Quantencomputer bald alltagstauglich wird, irrt. Überzogene Hoffnungen waren noch nie gut, kommentiert die Redaktion des Fachmagazins »Nature« im Editorial ihrer aktuellen Ausgabe.
Quantenüberlegenheit - alles eine Zahlenspielerei?

Hinweis: Wie Googles Quantencomputer funktioniert und was Experten von ihm halten beschreiben wir auch in einem ausführlichen Hintergrund-Artikel.

Forscher unter der Führung von Googles Quantenteam haben erstmals die »Quantenüberlegenheit« demonstriert. Das heißt, sie haben einen Quantenchip entwickelt, der eine Aufgabe schneller erledigte als ein klassischer Computer. Wie sie in »Nature« berichten, soll ihr System für einen Rechenvorgang, für den der schnellste Supercomputer 10 000 Jahre brauchen würde, nur rund drei Minuten benötigen.

Noch verdaut die Welt diese Neuigkeiten – zu der auch die Aussage gehört, dass bei manchen Aufgaben aus der Quanteninformatik nicht einmal Supercomputer mithalten können. Ob die »Quantenüberlegenheit« aber auch ein neues Zeitalter der Informationstechnologie einläutet, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. Gut möglich, dass wir erst eine Art »Kitty-Hawk-Moment« des Quantencomputers erlebt haben – nach dem ersten Flug der Brüder Wright im Jahr 1903 dauerte es noch Jahrzehnte, bis die Welt ins Jet-Zeitalter eintrat. Zumindest bis Quantencomputer Teil unseres Alltagslebens werden, dürften wohl ebenfalls noch viele Jahrzehnte vergehen.

Die wissenschaftliche und ingenieurmäßige Leistung dahinter sollte man dennoch nicht kleinreden. Weltweit arbeiten Forscherteams daran, die Rechenpower nutzbar zu machen, die man erhält, wenn man bestimmte Quantenphänomene zu Hilfe nimmt. Dazu zählt etwa die Überlagerung, bei der Teilchen mehrere Zustände gleichzeitig einzunehmen scheinen, solange sie unbeobachtet sind, oder das Konzept der Verschränkung, mit dem sich die Eigenschaften mehrerer Quantensysteme miteinander verknüpfen lassen. Wem es gelingt, diese Verhaltensweisen präzise unter seine Kontrolle zu bringen, erhält einen exponentiellen Zuwachs an Rechenleistung verglichen mit dem, wozu herkömmliche Supercomputer in der Lage sind. Und genau das ist es, was das Google-Team geschafft hat.

53 Qubits statt Billiarden Transistoren

Ihr Chip mit dem Namen Sycamore enthält gerade einmal 53 individuell ansteuerbare, supraleitende Quantenbits oder Qubits, wie man die Grundbausteine eines Quantencomputers auch nennt. Die Aufgabe, die sich die Wissenschaftler vornahmen, ähnelt einem Zufallsgenerator auf Quantenbasis. Sie besteht darin, die Ausgabewerte eines komplexen Quantenschaltkreises zu berechnen, der eine Reihe zufällig gewählter Rechenoperationen ausführt. Was kein leichtes Problem ist, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der leistungsfähigste Supercomputer seiner Klasse, der Summit am Oak Ridge National Laboratory in Tennessee, laut den Forschern zehn Jahrtausende dafür gebraucht hätte; Sycamore hingegen nur 200 Sekunden.

Summit gebietet über mehr als 9000 der aktuell leistungsfähigsten Prozessoren mit jeweils acht Milliarden Transistoren und annähernd 28 000 Grafikkartenprozessoren mit je 21 Milliarden Transistoren. Wenn man bedenkt, dass es gerade einmal 53 Qubits waren, die dieser geballten Rechenpower den Rang abliefen, wird deutlich, warum Quantencomputer derzeit so viel Begeisterung und Optimismus auslösen. Gleichzeitig ist der Ansatz, mit dem das Team Quantenüberlegenheit demonstrierte, extrem begrenzt. Es klafft noch eine gewaltige Lücke zu Quantencomputern, die auch tatsächlich nützliche Ergebnisse produzieren, etwa bei der Simulation von Materialeigenschaften und chemischen Reaktionen oder bei der Entwicklung neuer Medikamente.

Unter Investoren hat sich Goldgräberstimmung breitgemacht

Beispielsweise reagieren Quantencomputer extrem empfindlich auf Störungen aus der Umgebung, selbst auf so etwas Alltägliches wie eine Schwankung der Temperatur oder elektromagnetische Felder. Und bis es den Forscherteams gelingt, diese und andere Schwachstellen auszumerzen, wird noch viel Zeit vergehen.

Doch statt dass mit Bedacht vorgegangen wird, hat sich unter Investoren Goldgräberstimmung breitgemacht. Gemeinsam mit Regierungen und Unternehmen stecken sie Unmengen an Geld in die Entwicklung von Quantentechnologien. Dabei wird die unrealistische Erwartungshaltung geweckt, der erste leistungsfähige Multifunktionsquantencomputer zeichne sich quasi schon am Horizont ab. Ein derart überzogener Optimismus könnte sich allerdings als fatal für ein Forschungsfeld erweisen, das in Wahrheit noch in den Kinderschuhen steckt. Wegen der günstigen Rahmenbedingungen schießen zwar allerorten neue Quantentechnologien aus dem Boden, doch die Geldgeber werden mit Sicherheit eines Tages den Ertrag ihrer Investitionen sehen wollen. Schon jetzt gibt es Befürchtungen, dass manche Firmen zu viel versprochen haben. Ein Hype um den Meilenstein aus dem Google-Labor könnte die Erwartungen noch weiter anheizen. Die Angst der Forscher: Sollten ihre Quantencomputer in absehbarer Zeit nichts Brauchbares liefern, drohe dem gesamten Feld ein »Quantenwinter«, in dem sich Ernüchterung ausbreitet und Forschungserfolge ebenso ausbleiben wie Fördergelder.

Die leistungsfähigen Chips, denen wir unsere Smartphones verdanken, wurden in einem Jahrzehnte dauernden Prozess entwickelt, bei dem Investoren – oftmals die öffentliche Hand – einen langen Atem brauchten. Nicht anders wird dies bei Quantencomputern sein. Auch sie verlangen nach dem, was Innovationsökonomen als »geduldiges Kapital« bezeichnen. Allzu oft schon wurden in Wissenschaft und Technik überzogene Erwartungen geweckt, denen dann die Realität in die Quere kam. Quantencomputer stehen noch am Anfang einer langen Reise ins Ungewisse. Auch wenn sich einmal Hindernisse auftun oder die Kosten steigen, müssen Forscher darauf vertrauen können, dass ihr Ziel erreichbar bleibt.

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