Warkus’ Welt: Bröckelige Trias
»DEM WAHREN SCHOENEN GUTEN.« – diese Inschrift trägt die Alte Oper in Frankfurt. Und nicht nur sie: In das etwas heruntergekommene 60er-Jahre-Gebäude in Marburg, in dem ich studiert habe, trat man früher unter einem ähnlichen (wenn auch weniger dekorativen) Schriftzug, und sicher findet man noch andere Beispiele. Populär wurde der Dreiklang unter anderem durch Goethes »Epilog zu Schillers Glocke« von 1805, einen Nachruf auf den am 9. Mai desselben Jahres verstorbenen Dichterkollegen und Freund Friedrich Schiller: »Indessen schritt sein Geist gewaltig fort / In’s Ewige des Wahren, Guten, Schönen.«
Was hat es damit auf sich, dass diese drei Vokabeln oft in einem Atemzug genannt werden? Man könnte sie als knappe Überschriften für drei Hauptfelder der Philosophie sehen: »wahr« als Rubrum der theoretischen Philosophie, die sich mit gesicherter Erkenntnis und schlüssigem Denken beschäftigt; »gut« als Überschrift für die Ethik, in der es um Gut und Böse geht; und »schön« für die Ästhetik, die sich damit beschäftigt, was eben schön ist und was nicht.
Die Trias »wahr, gut, schön« taucht aber nicht nur als griffige Zusammenfassung verschiedener Bereiche des Denkens auf, sondern auch mit einem inhaltlichen Anspruch: Irgendwie seien Wahres, Gutes und Schönes doch das Gleiche oder zumindest eng miteinander verknüpft.
Diese beliebte Vorstellung hat auch außerhalb der Geisteswissenschaften Fuß gefasst. Wir finden sie etwa dort wieder, wo man Kunstwerken geradezu routinemäßig eine »tiefe Wahrheit« oder Ähnliches attestiert. Ebenso wenn mathematischen Beweisen – die ja durchaus etwas mit Wahrheit zu tun haben – »Schönheit« oder »Eleganz« zugesprochen wird. Oder wenn jemand feststellt, ein gutes Werkzeug wie etwa ein Drehmomentschlüssel, ein Zimmermannshammer oder ein Kochmesser hätte eine ganz eigene Ästhetik.
Aber so leicht all das dahingesagt ist, die Gleichsetzung ist nicht intuitiv. Sätze, die schlimme Nachrichten ausdrücken, oder Bilder, die Gräueltaten zeigen, können wahr sein, ohne zugleich schön zu sein. Unsympathische, hässliche Menschen können die schönste Kunst produzieren oder die größten Wohltaten vollbringen. Umgekehrt können schöne Sätze, schöne Kunst oder schöne Menschen im Dienst größter Lügen und der allerbösesten Absichten stehen, wie verschiedene totalitäre Regime im 20. Jahrhundert zur Genüge demonstriert haben.
Das Original: schneidig und wacker
Geht man der Herkunft der Formel auf den Grund, stößt man auf das altgriechische »kalos k’agathos«, das wörtlich übersetzt »schön und gut« zu heißen scheint. Diese Worte waren jedoch ein fester Ausdruck für etwas anderes: eine gängige Beschreibung des Ideals der griechischen Oberschicht, das auch durch deren Selbstverständnis als Kriegerkaste geprägt war; der amerikanische Philosoph Nickolas Pappas hat in diesem Zusammenhang »splendid and upright« als treffendere Übersetzung vorgeschlagen. Berücksichtigt man den soldatischen Aspekt, könnte man auf Deutsch wohl am ehesten von »schneidig und wacker« sprechen. Im Lauf der Entwicklung der antiken Gesellschaften und ihres Denkens erweiterte und verallgemeinerte sich der Begriff.
Dass im Ideal von »Offizier und Gentleman« bis heute Bildung, Klugheit, Tapferkeit, Rechtschaffenheit, Körperkraft und gutes Aussehen (sowie tadelloser Schuhputz und messerscharfe Bügelfalten) zusammengedacht werden, ist aber eine wesentlich weniger starke Aussage als die, dass Wahres, Schönes und Gutes irgendwie zusammengehören oder gar das Gleiche seien. Nebenbei liefert diese Erklärung auch einen Einblick in die europäische Kulturtradition, die über Jahrhunderte vor allem durch das Selbstverständnis schmaler aristokratischer Machteliten geprägt war und weniger durch jenes der machtlosen Massen.
Platon, auf den die Gleichsetzung von Gutem und Schönem gerne zurückgeführt wird, wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. in die Athener Oberschicht hineingeboren. Er war also ganz wörtlich einer der »Guten und Schönen«. In seinen Werken finden sich jedoch unterschiedliche, nicht immer ganz miteinander vereinbare Positionen zum Thema; eine harte Gleichsetzung gibt es eher nicht, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Schönheit (kalon) für Platon etwas zu sein scheint, das vor allem Menschen und Naturgegenständen zukommt, durchaus auch manchen Kunstwerken, nicht jedoch etwa Gedichten. Möglicherweise würde er unseren heutigen Alltagsgebrauch von »schön« sogar ablehnen.
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