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Lobes Digitalfabrik: Deine Gedanken? Facebook gefällt das

Facebook ist nicht allein mit seinen Visionen zum Gedankenlesen. Wäre ja auch praktisch: Nie mehr tippen! Doch leider übersehen die Tech-Konzerne, was auf dem Spiel steht.
Vernetzter Mensch

Facebook will Gedanken lesen: Der Internetkonzern arbeitet an einer Technik, die Gedanken in Schrift auf dem Computer umwandeln. Es gehe darum, einem Freund eine Textnachricht zu schicken, ohne das Smartphone herauszuholen, sagte Facebook-Managerin Regina Dugan auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz F8 im kalifornischen San José. Geht es nach Facebook, ist bald Schluss mit dem lästigen Tippen, künftig soll es genügen, sich die richtigen Gedanken zu machen.

Dugan verwies auf Forschungen an der Stanford University, in denen eine gelähmte Frau mit Hilfe von implantierten Elektroden im Gehirn acht Wörter pro Minute in den Computer schreiben könne. Solche Implantate seien für den Massengebrauch nicht geeignet, stattdessen sollen empfindliche Sensoren an den Schädel angeschlossen werden. "Eine solche Technologie existiert heute nicht. Wir werden sie erfinden müssen", sagte Dugan. Die Facebook-Managerin, die 2012 von der DARPA, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, ins Silicon Valley wechselte, arbeitet mit einer 80-köpfigen Abteilung an dieser Utopie.

Man muss diese Meldung, die von der DPA verbreitet und über diverse Nachrichtenticker lief, sich setzen lassen und in den Kontext einordnen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg träumt schon länger von einer Zukunft, in der wir unsere Gedanken per Telepathie teilen. Bereits 2015 skizzierte er seine Vision: "Meiner Überzeugung nach werden wir uns eines Tages mit einer entsprechenden Technologie umfangreiche Gedanken direkt einander zuschicken können." Zuckerberg bezeichnete Telepathie damals als "ultimative Kommunikationstechnologie". Im vergangenen Jahr konkretisierte der Facebook-Chef in einer live übertragenen Fragestunde seine Pläne. "Man wird einen Gedanken oder ein Gefühl einfangen, in seinem Kopf verändern und dann mit der Welt in einem dann verbreiteten Format teilen." Man kann das als Fantasterei eines Internetmilliardärs abtun, doch den Beteiligten ist es ernst.

Es lohnt sich, das Gesprächsprotokoll genauer durchzulesen, weil darin nicht nur die Entwicklungsstufen deutlich werden, sondern auch das Weltbild im Silicon Valley zum Ausdruck kommt. "Wenn man zehn Jahre zurückgeht, war das meiste, was wir online teilten, Text", konstatierte Zuckerberg. "Seitdem haben wir alle, oder zumindest fast alle, Smartphones mit Kameras. Deshalb können wir Fotos machen. Und wo das Internet und die Netzwerke besser werden, können wir mehr Videos abspielen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist Video das Ende der Entwicklungslinie?" Das war freilich eine rhetorische Frage, weil Facebook von dem Glauben beseelt ist, dass die Technologie immer besser wird. "Ich glaube, jenseits der virtuellen Realität liegt eine Welt, in der wir nicht einfach nur aufzeichnen, was gerade in einer Szene passiert, sondern in der man auch dazu in der Lage ist, die Gedanken zu erfassen." Frank Schirrmachers Diktum, dass der Informationskapitalismus eine Welt des In-den-Kopf-Eindringens geworden ist, bekommt in diesem Licht eine ganz neue Bedeutung.

Die Menschlichkeit endet, wenn der Mensch nicht mehr denken darf

Facebook-Managerin Dugan sagte, das Ziel sei es, die Grenzen zwischen physischer und virtueller Realität aufzuheben und eine Technik zu entwickeln, die sie "Brain Click" nennt – in der Augmented Reality, der technisch angereicherten Realität, sollen Aufgaben künftig ausschließlich mit Hilfe des Gehirns vollendet werden. Zuckerberg ist mit seinen Zukunftsplänen nicht allein. Der Google-Futurist Ray Kurzweil sagt voraus, dass wir Menschen bis 2030 dank Nanobots im Gehirn in der Lage sein werden, E-Mails, Fotos, Gedanken und Erinnerungen in einer Cloud zu teilen. Und Elon Musk will den Menschen gleich ganz zum Cyborg aufrüsten, damit er unter all der künstlichen Intelligenz in seiner Umwelt nicht überflüssig wird. Der Tesla-Gründer und Investor hat kürzlich ein Start-up aufgekauft, das an Implantaten forscht, mit denen es möglich sein soll, das Gehirn mit Computern zu vernetzen.

Anderen Menschen in den Kopf zu schauen und ihre Gedanken zu lesen, ist ein alter Menschheitstraum. Doch geht es hier nicht nur um die Implementierung und Machbarkeitsgrenzen, sondern um die Implikationen dieser Technik. Die Frage ist, was das für die Gesellschaft bedeuten würde, wenn Facebook Gedanken wie Rohdaten ausliest. Wären die Gedanken dann noch frei? Könnte man noch so etwas wie geistiges Eigentum für sich reklamieren, wenn Ideen quasi mit ihrer Genese öffentlich werden? Kann Facebook Einfluss auf kognitive Prozesse nehmen? Das Online-Netzwerk hat bereits 2014 in einem gigantischen sozialen Experiment die Emotionen von hunderttausenden Nutzern manipuliert. Wo Gedanken nur noch Datenströme sind, wo Kommunikation nur noch Informationsübertragung ist, degeneriert das Individuum zum Prozessor einer riesigen Datenmaschinerie.

George Orwell schreibt in seinem Klassiker "1984": "Wie oft und nach welchem System die Gedankenpolizei sich in einen Privatapparat einschaltete, blieb der Mutmaßung überlassen." Das Ziel des von der Partei etablierten Neusprechs ist die totale Veränderung des menschlichen Sprachbewusstseins. Effizienz und Euphemismen in Vokabular und Grammatik sollen das Denken der Menschen systematisch vereinfachen und reduzieren. In letzter Konsequenz bedeutet dies eine vollständige Ideologisierung, die oppositionelles Denken unmöglich macht. Die Parallelen zur Gegenwart sind augenfällig. Tech-Konzerne arbeiten mit Emojis an der Abschaffung textbasierter Sprache und werten unsere Kommunikation aus. Und nun will sich Facebook auch noch in den "Privatapparat" seiner Nutzer einschalten.

Der Titel "Denken statt tippen", mit dem "tagesschau.de" Facebooks Pläne überschrieb, zeugt denn auch von einer gewissen Gedankenlosigkeit, zum einen weil er einen nicht vorhandenen Gegensatz konstruiert, als wäre Tippen frei von Denken, zum anderen aber, weil gelesene Gedanken nicht mehr unter Denken im herkömmlichen Sinn fallen: Die Übertragung und Auslesung von Gedanken schafft die Bedingungen freien und kritischen Denkens ab. Der BGH hat 2011 in einem wegweisenden Urteil zu Selbstgesprächen entschieden, dass die Gedanken sogar beim laut Denken frei sind. Der Staat darf auf sie nicht Zugriff nehmen, denn wenn jemand Angst haben muss, der Staat könne  – und sei es auch nur sehr begrenzt – in seine Denkvorgänge eindringen, dann stört das diese Denkvorgänge. Das negiert die Subjektstellung und Personalität des Einzelnen. Der Schutz gründe in der Menschenwürde, befand der BGH. Oder anders zusammengefasst: Man dürfte nicht in die verlautbarten Gedanken eines Menschen eindringen, weil es die Existenzberechtigung des Menschen ist, dass er denken darf. Und die Menschlichkeit endet, wenn er nicht mehr denken darf. Mark Zuckerberg, der immer in großen humanistischen Dimensionen redet, sollte sich diesen Satz ins Stammbuch schreiben.

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