Erdöl: Der Peak liegt hinter uns
In vielen Teilen der Welt – insbesondere in den USA – hält die Debatte über die Qualität der Klimaforschung an. Es bestehen weiterhin öffentliche Zweifel, ob menschengemachte Klimaänderungen existieren und wie groß die negativen Folgen für die Umwelt ausfallen. Dadurch kommt es in den Vereinigten Staaten und andernorts nicht zu politischen Entscheidungen, die Emission von Treibhausgasen einzuschränken. Doch es gibt ein potenziell überzeugenderes Argument, die Verwendung fossiler Brennstoffe einzuschränken: die ökonomischen Folgen abnehmender Ölfördermengen.
Die gegenwärtig verfügbare Menge an Erdöl oder Erdgas fällt geringer aus, als viele Leute denken. Seit 2005 stieg die konventionelle Rohölförderung weniger an als die Nachfrage. Unserer Meinung nach ist der Ölmarkt bereits in einen neuen Zustand umgekippt, ähnlich einem Phasenübergang in der Physik: Die Produktion verläuft nun nicht mehr "elastisch", sondern "starr". Sie ist nicht mehr in der Lage, auf eine steigende Nachfrage zu reagieren – und das führt zu wilden Preisschwankungen. Andere fossile Rohstoffe sind offenbar nicht in der Lage, die Differenz von Angebot und Nachfrage aufzufangen.
Solche starken Preisausschläge können zu wirtschaftlichen Krisen führen. Tatsächlich waren sie eine der Ursachen der ökonomischen Verwerfungen, von denen sich die Welt gerade erholt. Und zukünftig ist die Wirtschaft wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, die auftretenden Preisschwankungen des Öls zu ertragen. Nur eine Abkehr von fossilen Brennstoffen kann sowohl eine stabile Wirtschaftsentwicklung garantieren, als auch die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen. Dabei handelt es sich um einen Jahrzehnte dauernden Übergang, der sofort beginnen muss.
Von 1988 bis 2005 hat die Rohölförderung mit der Nachfrage Schritt gehalten. Doch dann hat sich etwas verändert. In den vergangenen sieben Jahren ist die Fördermenge in etwa konstant geblieben, obwohl der Preis für Rohöl der Standardsorte Brent pro Jahr um rund 15 Prozent anstieg: insgesamt von 15 US-Dollar pro Barrel im Jahr 1998 auf über 140 US-Dollar pro Barrel 2008. Der Preis spiegelt dabei immer noch die Nachfrage wider: 2009 sank er durch die Rezession 2008/2009 auf 35 US-Dollar pro Barrel, um sich mit dem Wiederanspringen der Weltwirtschaft auf teilweise mehr als 120 US-Dollar pro Barrel zu verteuern. Die Versorgungskette ist nicht in der Lage, diesem Anstieg von Nachfrage und Preis zu folgen.
Über "Peak Oil", das Ölfördermaximums mit anschließender Verknappung, diskutieren Wirtschaftswissenschaftler wie Geologen seit Jahrzehnten – wobei sie darüber streiten, ob dieser Peak bereits hinter uns oder noch vor uns liegt. Die Industrie reagiert auf diese Vorstellung typischerweise mit dem Hinweis auf die Erschließung weiterer globaler Reserven: Die Menge an unterirdischen Lagerstätten, die sich kommerziell ausbeuten lassen, nehme zu. Doch dieses Argument führt in die Irre. Der wahre Umfang der nachgewiesenen globalen Ölreserven ist hinter einem Schleier der Geheimniskrämerei verborgen. Vorhersagen der Erdölunternehmen werden nicht unabhängig überprüft und scheinen übertrieben zu sein.
Wichtiger noch: Es dauert oftmals sechs bis zehn Jahre, bis ein neues Reservoir erschlossen ist – in dieser Zeit sind ältere Quellen längst erschöpft. Es ist deshalb viel sinnvoller, auf die aktuellen Fördermengen zu schauen, und diese sind sehr viel weniger ermutigend. Denn obwohl die verfügbaren Reserven scheinbar zunehmen, nimmt der da-von für die Ölgewinnung verfügbare Anteil ab. In den USA beispielsweise hat die Fördermenge im Verhältnis zu den verfügbaren Reserven von neun Prozent im Jahr 1980 auf heute sechs Prozent abgenommen. Bei den existierenden Ölfeldern rund um den Globus gehen die Fördermengen um 4,5 bis 6,7 Prozent im Jahr zurück; nur neu hinzu kommende Ölquellen halten die globale Produktion überhaupt konstant.
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2005 erreichte die globale Förderung von herkömmlichem Rohöl einen Wert von 72 Millionen Barrel pro Tag. Danach ging es nur noch leicht aufwärts, denn anschließend scheint die Fördermenge bei 75 Millionen Barrel pro Tag an ihre Obergrenze gestoßen zu sein. Die Abhängigkeit des Preises von der Fördermenge von 1998 bis heute zeigt diesen dramatischen Übergang von einer Zeit, in der die Ölförderung elastisch auf steigende Preise reagieren konnte zu einer Situation, wo dies nicht mehr funktioniert. Dadurch schwanken die Preise wild hin und her, wenn die Nachfrage sich ändert. Auf diese Veränderung in der Ölwirtschaft um das Jahr 2005 herum haben auch schon andere hingewiesen, aber es wird Zeit, dass dieser wichtige Punkt auch in die Köpfe der Politiker eindringt.
Uns geht das Öl nicht aus, uns steht jedoch weniger Öl zur Verfügung, das leicht und billig gefördert werden kann. Die für offizielle Informationen zum Thema Energie zuständige US-Behörde EIA (US Energy Information Agency) sagt für den Zeitraum von heute bis 2030 optimistisch eine Zunahme der Ölfördermenge um 30 Prozent voraus. Der gesamte Zuwachs basiert auf nicht näher identifizierten Projekten – mit anderen Worten: auf noch unentdeckten Ölquellen. Selbst wenn das Absinken der Produktion bei den existierenden Ölfeldern wie durch ein Wunder plötzlich anhalten würde, würde der prognostizierte Anstieg im Jahr 2030 eine tägliche Förderung von 22 Millionen Barrel allein aus neuen Quellen erfordern. Nimmt man aber eine realistische Abnahme in den alten Feldern um fünf Prozent pro Jahr an, so sind bis dahin sogar 64 Millionen Barrel pro Tag zusätzlich nötig – das entspricht etwa der gesamten gegenwärtigen Fördermenge. Eine solche Entwicklung halten wir für sehr unwahrscheinlich.
Auch die Berücksichtigung von Öl aus unkonventionellen Quellen macht da keinen Unterschied. So ist zu erwarten, dass die Gewinnung von Öl aus kanadischen Teersanden – mitunter als "letzter Schuss eines Öl-Junkies" bespöttelt – bis 2035 maximal 4,7 Millionen Barrel pro Tag erreicht. Teersande aus Venezuela wiederum erbringen derzeit weniger als zwei Millionen Barrel pro Tag. Und es gibt keinerlei Aussichten auf eine dramatische Zunahme dieser Mengen.
Droht auch der Kohle-Peak?
Viele Leute glauben, Kohle sei die Lösung für unseren Energiehunger – und dass Kohle noch für Jahrzehnte billig bleiben werde. Doch mehrere neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass es auch weniger verfügbare Kohle gibt, als bislang angenommen. Die Förderung in den USA beispielsweise hat im Jahr 2002 ein Maximum erreicht. Für die globale Kohleförderung erwartet man dies bis 2025. Immer wenn die Daten über die Kohlereserven aktualisiert werden, korrigiert man die Schätzungen nach unten: Angaben über die weltweiten Reserven (von denen 79 Prozent in den USA, in Russland, Indien, China, Australien und Südafrika lagern) wurden 2005 um über die Hälfte auf 861 Milliarden Tonnen verringert. Die Summe aus bereits geförderter und noch verfügbarer Kohle im Erdboden beträgt maximal 1163 Milliarden Tonnen, so wurde damals weiter geschätzt.
Eine unabhängige Überprüfung dieser "ultimativen Fördermenge" kam 2011 auf gerade einmal 680 Milliarden Tonnen, das sind etwa 40 Prozent weniger als 2005, und es ist nur noch ein Fünftel der noch älteren Szenarios des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Ein US-Komitee zur Kohleproduktion stellte 2007 fest, dass die "gegenwärtigen Abschätzungen der Kohlereserven auf Methoden basieren, die seit ihrer Einführung im Jahr 1974 nicht mehr überprüft wurden (...) verbesserte Verfahren deuten darauf hin, dass nur ein kleiner Teil der zuvor prognostizierten Reserven tatsächlich abbaubar sind."
Erdgas hingegen liegt noch in großen Mengen vor: Erst in jüngster Zeit wurden neue große Erdgaslager entdeckt, so im vergangenen Jahr in Israel und Mosambik. Erdgaskraftwerke liefern gegenwärtig ein Viertel des Stroms in den USA, und der Anteil steigt. In Nordamerika hat die Förderung von konventionellem Erdgas im Jahr 2001 ihr Maximum durchlaufen. Doch die Energieunternehmen haben die Idee propagiert, dass das so genannte "hydraulic fracturing" von Tonstein – umgangssprachlich Tonschiefer genannt – zu einem "Zeitalter des Erdgases" führen wird. Es gibt keine Zweifel daran, dass es in den USA immense Vorräte an Schiefergas gibt.
Doch neuere Berichte deuten an, dass auch sowohl diese Reserven wie die künftigen Fördermengen maßlos überschätzt worden sind. Bei Abbaugebieten wie Barnett und Fayetteville, die auf eine lange Fördergeschichte zurückblicken, lässt sich ein starker jährlicher Rückgang der Fördermengen beobachten. Arthur Berman, Direktor des Beratungsunternehmens Labyrinth Consulting Services in Sugar Land im US-Bundesstaat Texas, ein weltweit renommierter Experte für Schiefergas, setzt für diesen Rückgang einen Wert von 60 bis 90 Prozent an. Von den Schiefergasquellen, die älter als fünf Jahre sind, wurden ein Drittel durch den schnellen Fall der Fördermengen und den niedrigen Preis von Erdgas unrentabel.
Gehemmtes Wachstum
Was bedeutet das für die Weltwirtschaft, die doch so eng an die Rohstoffreserven gekoppelt ist? Von den elf Rezessionen in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg ging bei zehn, einschließlich der jüngsten, ein Maximum des Erdölpreises voraus. Die Rezession von 2008 wurde nicht allein durch die Kreditblase ausgelöst, sondern auch durch eine – allerdings in dem Zusammenhang kaum erwähnte – "Ölpreis-Blase". Hohe Energiepreise verknappen den finanziellen Spielraum von Familien und wirken einer wirtschaftlichen Erholung entgegen.
Die USA und Europa geben jeweils eine Milliarde Dollar pro Tag für Ölimporte aus. Der mittlere Preis für Benzin ist in den USA von 75 Cent pro Liter im Jahr 2010 auf 95 Cent pro Liter 2011 angestiegen. Pro Tag werden in den USA 1,4 Milliarden Liter Benzin verbraucht. Das bedeutet, dass 2011 pro Tag rund 280 Millionen Dollar mehr ausgegeben wurden als im Jahr zuvor – und dieses Geld stand damit nicht mehr für den restlichen Konsum zur Verfügung.
Ein weiteres Beispiel für die Folgen steigender Ölpreise ist Italien. Als Italien 1999 den Euro als Währung übernahm, lag der jährliche Handelsüberschuss des Landes bei 22 Milliarden US-Dollar. Seither ist Italiens Handelsbilanz dramatisch eingebrochen: Gegenwärtig leidet das Land unter einem Handelsdefizit von 36 Milliarden Euro. Natürlich hatte dieser Einbruch eine Reihe von Gründen wie beispielsweise die zunehmenden Importe aus China. Doch auch der Anstieg der Ölpreise war ein Hauptgrund. Obwohl die Ölimporte verglichen zu 1999 um 388 000 Barrel pro Tag abgenommen haben, muss Italien nun 55 Milliarden US-Dollar jährlich für die Einfuhr von Öl aufwenden – 1999 waren es dagegen nur 12 Milliarden. Die Differenz kommt dem gegenwärtigen Handelsdefizit sehr nahe. Der Ölpreis leistet vermutlich einen großen Beitrag zur Euro-Krise in Südeuropa, wo die Länder vollkommen von ausländischem Öl abhängen.
Die Internationale Energieagentur hat sehr deutlich klar gemacht, dass die Weltwirtschaft in Gefahr ist, wenn der Ölpreis über 100 US-Dollar pro Barrel steigt. Das ist in den vergangenen Jahren wiederholt geschehen – und es wird immer wieder passieren, da die globale Fördermenge nicht mehr elastisch auf Veränderungen reagiert.
Historisch gesehen, gab es immer eine enge Verbindung zwischen der Ölförderung und dem Wachstum der Weltwirtschaft. Wenn die Ölförderung nicht zunehmen kann, dann kann auch die Wirtschaft nicht mehr wachsen. Das ist eine so beängstigende Aussicht, dass viele einfach vermeiden, sie auch nur in Betracht zu ziehen. Der Internationale Währungsfond IWF beispielsweise geht immer noch von einem Wachstum des weltweiten Bruttoinlandsprodukts um vier Prozent für die nächsten fünf Jahre aus – nahe am maximalen Wert der Zeit seit 1980. Um dieses Wachstum zu erreichen, muss entweder die Ölförderung um drei Prozent pro Jahr steigen, dessen Nutzung effizienter oder das Wachstum allgemein energieeffizienter werden beziehungsweise andere Energiequellen in großem Umfang Öl ersetzen. Wirtschaftsforscher und Politiker debattieren über Mittel, das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Doch sie haben bislang nicht eingesehen, dass die hohen Energiepreise das zentrale Problem sind – und deshalb kommen sie nicht auf die Lösung: Die Gesellschaft muss unabhängig vom Öl werden.
Die britische Industry Taskforce on Peak Oil and Energy Security und das britische Ministerium für Energie und Klimawandel sind sich des Risikos bewusst. Sie haben sich daher verpflichtet, Großbritannien und seine Wirtschaft vor den Folgen steigender Ölpreise zu schützen. Die 2008 gegründete Arbeitsgruppe warnte davor, dass Großbritannien von einer platzenden "Ölblase" überrascht werden könnte und forderte die Politiker dazu auf, sich vorrangig mit "Peak Oil" auseinanderzusetzen. Der Vorsitzende der Gruppe, John Miles vom Architekten- und Ingenieurbüro Arup in London sagte: "Wir müssen die Risiken identifizieren und sinnvolle Notfallpläne entwickeln. Das bedeutet, wir müssen kritisch darüber nachdenken, was wir jetzt machen müssen, wenn der Ölpreis in den nächsten fünf Jahren ansteigt." Ein solches Bewusstsein für das Problem auf Regierungs- und Industrieebene existiert in den USA nicht. Dort gibt es lediglich auf der Ebene der Bundesstaaten und Städte Aktivitäten. Das britische Parlament hat eine von der Regierung eingebrachte Selbstverpflichtung zur Reduzierung der Kohlendioxidemission um 80 Prozent bis 2050 angenommen – der US-Kongress hat eine solche Verpflichtung abgelehnt.
Schnelle Aktion
Klimawandel und sinkende Fördermengen fossiler Rohstoffe werden gewöhnlich als zwei separate Phänomene betrachtet. Doch sie hängen eng zusammen. Das Risiko einer Verknappung fossiler Brennstoffe sollte berücksichtigt werden, wenn es um die Unsicherheiten des künftigen Klimawandels geht. Die Maßnahmen zur Reaktion auf die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels und einer Ressourcenverknappung sind die gleichen: verringerte Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Die möglichen Folgen des Klimawandels haben nur langsame politische Reaktionen hervorgerufen. Wirtschaftliche Probleme führen üblicherweise zu schnellerem Handeln. Aus den historischen Daten wissen wir, dass die Wirtschaft innerhalb eines Jahres auf Spitzen im Ölpreis reagiert. Regierungen, die sich nicht auf abnehmende Fördermengen fossiler Brennstoffe einstellen, werden sich mit massiven Folgen für die Wirtschaft ihres Landes konfrontiert sehen – lange bevor ein steigender Meeresspiegel die Küsten überflutet oder es zu katastrophalen Missernten kommt.
Die Lösungen sind weder geheim, noch mysteriös. Weltweit erzeugen wir 55 mal 1018 Joule an nutzbarer Energie aus 475 mal 1018 Joule primärer Energie, die aus fossilen Brennstoffen, Biomasse und Kernkraftwerken stammt. Die Differenz ergibt sich aus Energieverlusten und Ineffizienzen bei Erzeugung und Transport der Energie. Durch verbesserte Wirkungsgrade könnten wir die gleiche Energiemenge mit weniger fossilen Brennstoffen erhalten. Um dies zu erreichen, benötigen wir Regeln. Dazu zählt eine Besteuerung von Öl, um den Preis hoch zu halten und zu geringerem Energieverbrauch anzuregen. Wir benötigen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen und müssen den öffentlichen Verkehr fördern. Generell gilt es infrage zu stellen, ob die Wirtschaft ohne steigende Nutzung fossiler Energieträger wachsen kann. Dieser Übergangsprozess wird Jahrzehnte dauern. Eine Betonung der kurzfristigen, sich aus den Ölpreisen ergebenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten muss ausreichen, die Regierungen endlich zum Handeln zu bewegen.
Der Artikel erschien unter dem Titel "Oil’s tipping point has passed" in Nature 481, S. 433-435.
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