Eine Prise Chemie: Wie vermeidet man Acrylamid in Weihnachtsplätzchen?
Unser Essen steckt voller chemischer Details: Hier tummeln sich leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe, die faszinierende Reaktionen vollführen, wenn wir ein Gericht zubereiten oder verspeisen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« stellen wir die spannendsten davon vor und räumen mit Mythen über Chemie in unserer Nahrung auf.
Zugegeben, bis Weihnachten ist noch eine Weile hin: Ab dem Erscheinen dieses Artikels sind es noch vier Wochen und fünf Tage bis Heiligabend. Trotzdem wurden in unserem Haushalt schon vergangenes Wochenende die ersten Plätzchen gebacken, verzehrt und für gut befunden. Ob die Gebäckstücke allerdings eine kritische Überprüfung auf schädliche Inhaltsstoffe bestehen würden, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Denn auch, wenn diesmal keins der Teile sichtlich verbrannt aus dem Ofen kam, ist bei den hohen Temperaturen möglicherweise eine unliebsame Substanz entstanden: Acrylamid.
Es ist noch gar nicht so lange bekannt, dass die Chemikalie unser Essen belastet. Erst 2002 wiesen schwedische Forscher hohe Gehalte davon in Kartoffelchips, Pommes Frites und anderen gebratenen oder frittierten kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln nach. Bis dahin kannte man den Stoff als Bestandteil von Zigarettenrauch sowie aus der Industrie, wo er zur Herstellung von Kunststoffen, Papier oder Klebstoffen dient. Diese Quellen konnten aber nicht erklären, warum Teile der Bevölkerung regelmäßig Reaktionsprodukte von Acrylamid im Körper trugen. Die Forscher vermuteten, dass es entsteht, wenn man bestimmte Lebensmittel stark erhitzt.
Damit lagen sie richtig. Acrylamid bildet sich beim Braten, Backen, Rösten, Frittieren und Grillen – also immer dann, wenn Lebensmittel ohne Wasserzufuhr bei hohen Temperaturen zubereitet werden. Damit ist es ein unerwünschtes Nebenprodukt der bekannten Maillard-Reaktion, die für Bräunung und Röstaromen sorgt.
Ganz grundsätzlich verbindet sich bei dieser Kaskade an chemischen Reaktionen ein reduzierender Zucker, etwa Glukose oder Fruktose, mit einer Aminosäure unter Wasserabspaltung zu einem Molekül, das sich Amadori-Produkt nennt. Aus diesem können je nach Temperatur, Zuckeranteil, Wassergehalt und der Art der beteiligten Aminosäuren die unterschiedlichsten Moleküle hervorgehen. Acrylamid bildet sich, wenn die Aminosäure Asparagin an der Reaktion beteiligt ist. Dann kann das Molekül aus dem entsprechenden Amadori-Produkt gleich auf mehreren Wegen entstehen.
Daher sind nicht alle Lebensmittel gleich ergiebige Quellen für die Chemikalie: Besonders »anfällig« sind kohlenhydratreiche Produkte mit einem hohen Gehalt an Asparagin – etwa Kartoffeln und Getreide. Vor allem Kartoffelchips und Pommes Frites sind deshalb für ihren hohen Acrylamidgehalt berüchtigt, doch auch Röstkaffee, Toastbrot, Zwieback oder die beliebten Weihnachtsplätzchen können viel davon in sich tragen.
Mit den beliebten Nahrungsmitteln gelangt der Stoff in den Körper, verteilt sich auf die Organe und wird in der Leber zu Glycidamid verstoffwechselt. Dieses Molekül wiederum kann leicht an die DNA binden und dadurch das Erbgut verändern. Tierversuche haben belegt, dass Acrylamid erbgutverändernd und krebserregend wirkt. Aus diesem Grund wird es auch beim Menschen als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft. Bei derartigen Substanzen gibt es keinen Grenzwert, unter dem die Aufnahme als sicher gilt. Man sollte also, so gut es geht, vermeiden, sie zu verzehren. Seit 2018 sind Hersteller von Lebensmitteln EU-weit verpflichtet, den Acrylamidgehalt in ihren Produkten durch entsprechende Maßnahmen möglichst gering zu halten. Für verkaufte Produkte gelten seither Richtwerte – werden sie überschritten, muss der Hersteller gegensteuern. Gesetzlich festgeschriebene Obergrenzen, ab denen ein Lebensmittel nicht mehr verkauft werden darf, gibt es allerdings nicht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schätzte in einer 2015 veröffentlichten Studie, dass Erwachsene pro Kilogramm Körpergewicht täglich durchschnittlich zwischen 0,4 und 0,9 Mikrogramm Acrylamid zu sich nehmen, Kinder zwischen 0,5 und 1,9 Mikrogramm.
Ein kritischer Blick ins Rezept kann sich lohnen
Die gute Nachricht: Um nicht aufs Plätzchenessen verzichten zu müssen, kann man einfache Maßnahmen in der eigenen Küche umsetzen. Die Bildung von Acrylamid setzt zwar schon bei rund 120 Grad Celsius ein, steigt aber erst ab einer Temperatur von 170 bis 180 Grad Celsius sprunghaft an. Wer den Ofen auf eine niedrigere Temperatur einstellt, hat also schon einmal gute Chancen, den Gehalt niedrig zu halten. Das gilt allerdings nur, wenn man das Backblech anschließend früh genug herausholt: Läuft die Maillard-Reaktion zu lange, bildet sich mehr Acrylamid. Braun gebrannte oder gar leicht schwarze Plätzchen sind ein guter Indikator dafür, dass man es übertrieben hat.
Abgesehen davon lohnt sich ein kritischer Blick auf das Rezept. In manchen traditionellen Backanleitungen, vor allem für Lebkuchen, findet sich Hirschhornsalz (Ammoniumhydrogencarbonat, E 503) auf der Zutatenliste. Aus dem daraus freigesetzten Ammoniak (NH3) entsteht ebenfalls Acrylamid. Am besten ersetzt man es daher durch ein anderes Backtriebmittel, beispielsweise Natriumhydrogencarbonat, was man entweder pur unter der Bezeichnung »Natron« oder gemischt mit Säuerungsmitteln in Form von Backpulver kaufen kann. Auch geröstete Mandeln im Teig können den Acrylamidgehalt erhöhen, da sie wiederum reich an Asparagin sind.
Vorteilhaft ist es außerdem, die Plätzchen vor dem Backen mit Ei zu bestreichen. Das legt eine Studie von 2009 nahe, laut welcher der Gehalt an Acrylamid in kohlenhydrathaltigen Backwaren sank, nachdem sie auf diese Weise behandelt wurden. Davon könnten die Plätzchen ganz allgemein profitieren: Sie trocknen nach dem Backen nicht so schnell aus und glänzen verlockend.
Wer die süßen Weihnachtskekse lieber kauft, statt selbst zu backen, kann sich bei der Auswahl an unabhängigen Tests orientieren. Im November 2024 etwa prüfte Stiftung Warentest den Acrylamidgehalt von 49 Weihnachtsgebäcken verschiedener Hersteller, darunter Lebkuchen, Spekulatius und Vanillekipferl. 39 der getesteten Produkte enthielten nur »sehr geringe Mengen« an Acrylamid, das heißt weniger als 25 Prozent des europäischen Richtwerts. Der wiederum unterscheidet sich je nach Produkt: Für Lebkuchen liegt er bei 800 Mikrogramm pro Kilogramm, während Spekulatius und Vanillekipferl nur 350 Mikrogramm pro Kilogramm enthalten sollten. Vier getestete Süßigkeiten lagen mit ihrem Acrylamidgehalt über dem halben Richtwert, eine Lebkuchensorte lag über dem Richtwert.
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