Eine Prise Chemie: Steak-Genuss ohne Schlachten
Unser Essen steckt voller chemischer Details: Hier tummeln sich leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe, die faszinierende Reaktionen vollführen, wenn wir ein Gericht zubereiten oder verspeisen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« stellen wir die spannendsten davon vor und räumen mit Mythen über Chemie in unserer Nahrung auf.
Im Juli 2024 verkündete ein Forschungsteam von der Yonsei University im koreanischen Seoul im Fachmagazin »Nature Communications« einen großen Durchbruch: Die Fachleute hatten im Labor Fleisch aus tierischen Muskelzellen in einer Petrischale kultiviert, das gebraten auch riechen und schmecken soll wie Fleisch!
Bevor Sie sich jetzt fragen, was daran besonders sein soll: Bislang hat sich die Fachwelt vorrangig um andere Aspekte von so genanntem In-vitro-Fleisch gekümmert, etwa darum, welche Konsistenz es hat, ob die Textur authentisch erscheint und ob der Verzehr unbedenklich ist. Nur die Frage, wie all die Fleischbällchen und Schnitzel aus dem 3-D-Drucker schmecken und riechen sollen, wenn man sie in die Pfanne haut, wurde vernachlässigt. Dabei ist das charakteristische Brataroma eine der entscheidenden Eigenschaften dieser Lebensmittel. Allerdings ist es ausgesprochen schwer nachzuahmen.
Das Geheimnis hinter den Aromen, die uns aus der Küche in die Nase steigen, wenn dort jemand Fleisch oder Pfannkuchen brät, Brot backt oder Kaffee röstet, trägt einen berühmten Namen: Maillard-Reaktion. Wobei »Reaktion« eigentlich eine ungeheure Untertreibung ist, denn unter diesem Begriff versammelt sich ein ganzes Netzwerk von Reaktionen, aus dem schlussendlich verschiedenste Moleküle hervorgehen – je nachdem, wie die Ausgangsstoffe aussehen und welche Bedingungen in der Pfanne oder im Ofen herrschen. Back-, Brat- und Röstaromen aller Art sind Maillard-Produkte, aber auch die Knusprigkeit der Brotrinde oder die braune Schicht, die beim Braten entsteht, verdanken wir der Reaktion. Heute kennt man mehrere hundert Maillard-Produkte – und das sind vermutlich längst noch nicht alle. Auch die Reaktionswege selbst sind bisher nicht komplett verstanden. Ganz grob gilt aber: Protein + Zucker + Hitze → Maillard-Produkte.
Die Maillard-Reaktion verläuft in drei Schritten. Proteine, die Hauptbestandteile von Muskelfasern, bestehen aus langen Ketten miteinander verknüpfter Aminosäuren. Erhitzt man Proteine und Zucker zusammen, reagieren im ersten Schritt die Aminogruppen (NH2) der Aminosäuren mit dem Zucker. Dabei wird Wasser (H2O) abgespalten. Die Stoffe, die entstehen, nennt man Glucosylamine. Die sind allerdings recht instabil, weshalb sich ihre Atome im zweiten Schritt der Maillard-Reaktion rasch umsortieren. Das Ergebnis dieser Umlagerung bezeichnet man nach ihrem Entdecker Mario Amadori als Amadori-Produkt.
Erst im dritten Schritt wird das ganze Feuerwerk aus chemischen Reaktionen gezündet: Bei den hohen Temperaturen, die beim Backen, Braten und Rösten herrschen, reagieren die Amadori-Produkte auf vielfältige Weise weiter: Sie können etwa Wassermoleküle abspalten und zu hochreaktiven Substanzen werden, die im weiteren Verlauf Aromastoffe oder langkettige Polymere bilden. All diese Stoffe reagieren wiederum miteinander sowie mit weiteren Komponenten in der Pfanne, so dass am Ende ein Cocktail aus unterschiedlichsten Aromen, Bräunungsstoffen und anderen Substanzen entsteht: süßlich duftende Alkohole, säuerliche Aldehyde, schwefelhaltige Moleküle mit fleischigem Aroma, klebrige, braune Polycarbonyle und vielerlei mehr.
Entscheidend für Röst- und Brataromen sind die flüchtigen Komponenten darunter, also jene kleinen Moleküle, die rasch in die Luft und dann in die Nase steigen, dort an den entsprechenden Rezeptoren haften bleiben und so den Duft hervorrufen. Welche Aromastoffe genau entstehen, hängt zum einen von den Reaktionsbedingungen ab – von der Temperatur, dem Wassergehalt sowie dem pH-Wert der Mischung –, zum anderen davon, welche Zucker und Proteine genau vorhanden sind und in welchem Verhältnis. Deshalb schmecken gebratenes Rind, gebackenes Hühnchen, Pfannkuchen oder Toast so unterschiedlich.
Warum aber schmeckt In-vitro-Fleisch überhaupt anders als konventionelles, das einst zu einem echten Tier gehörte? Schließlich sind sich die Endprodukte rein chemisch sehr ähnlich. Künstlich hergestelltes Fleisch besteht wie das vom geschlachteten Tier aus Muskelfasern. Um diese zu einem Steak zu züchten, entnimmt man einem lebenden Tier eine kleine Anzahl Stammzellen und lässt diese anschließend im Bioreaktor in einer Nährlösung wachsen – dort entwickeln sie sich zu Muskelzellen, welche letztlich die Muskelfasern bilden. Außerdem werden sie »trainiert«, also auf einem Trägergerüst rhythmisch gestreckt und zusammengezogen. Zusätzlich werden in ähnlicher Weise Fettzellen gezüchtet, um zusammen mit dem Muskelgewebe dem Geschmack von echtem Fleisch möglichst nahezukommen. Eigentlich nichts anderes also, als wenn die Zellen im Tier heranreifen. Trotzdem unterscheiden sich »echtes« Fleisch und dessen Nachbau: Unter anderem ist die Zusammensetzung der Aminosäuren eine andere.
Damit das Ergebnis trotzdem authentisch nach Fleisch duftet, könnte man die ausschlaggebenden Aromasubstanzen einfach zusetzen. Für den typischen Rindfleisch-Bratduft ist ein Stoff namens Furfurylmercaptan besonders wichtig: Er sorgt für ein fleischiges, herzhaftes Aroma. Aus diesem Grund haben die anfangs erwähnten Forscher die Substanz in ihr Fleischimitat eingebaut – allerdings gebunden an einen Molekülrest, damit sich der flüchtige Geruchsstoff nicht bereits während des wochenlangen Wachstums im Bioreaktor verabschiedet. Erst beim Erhitzen auf 150 Grad Celsius (die so genannte Maillard-Temperatur, bei der die besagte Reaktion richtig in Gang kommt) wird Furfurylmercaptan frei und steigt in die Nase – genau wie beim Braten eines Steaks.
Es wäre jedoch zu einfach, wenn ein einziges Molekül ausreichen würde, den bei der Maillard-Reaktion entstehenden Strauß aus unterschiedlichen Düften und Geschmacksstoffen nachzuahmen. Deshalb haben die Forscher ihrem Fleischimitat zwei weitere Maillard-Produkte hinzugefügt: 3-Mercapto-2-pentanon für Zwiebelaromen und 2-Methyl-3-furanthiol für nussig-fleischige Brataromen.
Reichen also drei Stoffe aus? Grundsätzlich ist das nicht so abwegig, denn um den charakteristischen, oft komplexen Duft von Lebensmitteln nachzuahmen, kommt es hauptsächlich darauf an, die wichtigsten »Schlüsselaromen« zu finden. Doch hier geschah etwas Spannendes: Beim Erhitzen des Fleischimitats wurden nicht nur die drei gewünschten Moleküle freigesetzt. Ähnlich wie beim Vorbild reagierten verschiedene Bestandteile aus der Mischung und aktivierten andere, so dass unterschiedlichste Produkte entstanden.
Die schmackhafteste Reaktion der Welt
Erhitzt man Aminosäuren und Zucker zusammen auf mehr als 150 Grad Celsius, setzt man damit eine folgenreiche Reaktion in Gang: Die beiden Komponenten vereinigen sich zu einem Zwischenprodukt, aus dem anschließend Brat- und Röstaromen sowie nussige, fleischige oder fruchtige Geschmacksstoffe entstehen und sich knusprige braune Überzüge auf den Lebensmitteln bilden. Der französische Chemiker Louis Camille Maillard beschrieb die später nach ihm benannte Reaktion erstmals 1912 im Fachblatt »Comptes rendus de l'Académie des Sciences«.
Im Jahr 1953 hat sich der US-amerikanische Chemiker John Edward Hodge die Mühe gemacht, die komplizierten Reaktionswege in einem Schema festzuhalten. Heute sind mehrere hundert Maillard-Produkte bekannt, doch mit Sicherheit werden künftig noch einige dazukommen. Denn die verschlungenen Reaktionspfade der Maillard-Reaktion werden weiterhin intensiv erforscht – vor allem, um Möglichkeiten zu finden, die Bildung gewünschter Produkte gezielt zu steuern. Den aktuellen Wissensstand haben Fachleute 2023 in einem erweiterten Reaktionsschema in der Fachzeitschrift »Trends in Food Science & Technology« zusammengefasst.
Vielleicht haben die Autoren mit ihren Experimenten demnach einen Weg gefunden, die berühmte Maillard-Reaktion zumindest teilweise zu imitieren. In ähnlicher Weise könnte man den einzigartigen Bratgeschmack anderer Fleischsorten nachbilden. Dass die Küchenaromen erst beim Erhitzen freigesetzt werden, ist dabei kein Manko, sondern im Gegenteil höchst authentisch: Bekanntlich besticht rohes Fleisch eher weniger durch seinen verlockenden Duft oder Geschmack. Damit künftige Burger und Schnitzel aus Kunstfleisch genussfähig werden, ist solche Forschung also überaus wichtig – für kultivierte Salami, Lyoner oder Mettwurst reicht es hingegen, sich ausreichend Gedanken über die Konsistenz und die richtigen Gewürze zu machen.
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