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Eulbergs tönende Tierwelt: Klein wie eine Maus, laut wie ein Lkw

Laut Arbeitsschutzgesetz müssten wir Gehörschutz tragen, wenn wir seinem Konzert in der ersten Reihe lauschten. Seine gewaltige Stimme verdankt der Zaunkönig (Troglodytes troglodytes) reiner Muskelkraft, den royalen Namen einer Fabel. Was es mit seinem einzigartigen »Jizz« auf sich hat, verrät unser Kolumnist.
Buntstiftzeichnung eines männlichen Zaunkönigs, der aufmerksam nach links guckt
Zaunkönige werden nur rund zehn Zentimeter groß und wiegen höchstens 13 Gramm. Umso bemerkenswerter ist ihre laute Stimme.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Der Zaunkönig (Troglodytes troglodytes) ist einer meiner absoluten Lieblinge. Bei jeder Sichtung zaubert mir seine kecke Art ein Lächeln ins Gesicht. Nach den beiden Goldhähnchenarten, dem Sommergoldhähnchen und dem Wintergoldhähnchen, ist er mit rund zehn Zentimeter Körperlänge die drittkleinste heimische Vogelart. Dennoch besitzt er eine unserer lautesten Vogelstimmen. Noch in einem Meter Entfernung gemessen erreicht sein Gesang Werte von mehr als 90 Dezibel und ist damit in etwa so laut wie ein vorbeifahrender Lastwagen! Laut Arbeitsschutzgesetz müssten wir eigentlich Gehörschutz tragen, wenn wir seinem Konzert in der ersten Reihe lauschen.

Sein schmetterndes Lied mit dem markanten »Ich,-ich,-ich-bin-derrrrrr-König«-Triller ist bis zu 500 Meter weit zu hören – und dies bei nur rund zehn Gramm Körpergewicht. Ich habe das einmal proportional auf mein Gewicht umgerechnet: Man müsste mich bei einem Vortrag noch in Bagdad hören! Sein lauter Gesang ist also eine unglaubliche Leistung. Möglich wird sie dank enormer Muskelkraft, mit der der winzige Musikant die Luft durch seinen Stimmapparat presst. Dabei vibriert sein ganzer kleiner Körper bis in die Schwanzspitze. Weibchen singen ebenfalls, wenn auch weniger laut. Zur Brutzeit kann man beide Geschlechter häufig beim Austragen eines »flirtenden« Duetts bewundern.

Der frohlockende Zaunköniggesang ist auch im tiefsten Winter zu hören, selbst bei geschlossener Schneedecke. Daher stammt die Redewendung »sich wie ein Schneekönig freuen«. In besonders kalten Winternächten kuscheln sich die kleinen Vögel gerne aneinander und bilden Schlafgemeinschaften von bis zu 20 Tieren, die sich gegenseitig wärmen. Durch dieses Gruppenkuscheln minimieren sie Wärmeverluste und steigern die individuellen Überlebenschancen enorm.

Der Zaunkönig ernährt sich von Spinnentieren und Insekten, die er vor allem in Bodennähe sucht. Wie eine Maus huscht er dazu flink durchs Dickicht. Sein spitzer, pinzettenartiger Schnabel erlaubt es ihm, selbst in kleinsten Ritzen noch Nahrung zu finden. Mit seiner rundlichen Gestalt, dem aufgestellten Schwanz und seiner »mausartigen« Verhaltensweise besitzt er in der heimischen Vogelwelt einen einzigartigen »Jizz«. So bezeichnet man in der Ornithologie den Gesamteindruck eines Vogels, also das Erscheinungsbild oder den Habitus.

Der Zaunkönig | Mit seiner rundlichen Gestalt, dem aufgestellten Schwanz und seiner »mausartigen« Verhaltensweise ist der Zaunkönig in der bei uns heimischen Vogelwelt einzigartig.

»Unser« Zaunkönig sticht wohl auch deshalb unter den heimischen Vögeln heraus, weil er als einziger Vertreter aus der Familie der Zaunkönige (Troglodytidae) außerhalb der Neuen Welt vorkommt. Alle anderen 87 Arten dieser Vogelfamilie leben ausschließlich in Nord- und Südamerika. Nur die eine Art dehnte ihre Brutgebiete über die während der Eiszeit trockengefallene Beringstraße nach Westen auf weite Teile Asiens, Europas und Nordafrika aus.

Der männliche Zaunkönig baut gleich mehrere kunstvoll verwobene, kugelförmige Nester mit seitlichem Eingang, so genannte Backofennester. Emsige Individuen fertigen bis zu zehn davon an. Das Weibchen sucht sich einen dieser Rohbauten aus; erst dann wird es mit Moos ausgepolstert. Manch properes Männchen lockt mehrere Weibchen in sein Revier und beherbergt so zahlreiche Bruten gleichzeitig. Parallel bis zu fünf Gelege in einer Brutzeit wurden beobachtet. Die Jungenaufzucht überlässt das Männchen größtenteils dem Weibchen, es hilft nur sporadisch und unregelmäßig.

Sein wissenschaftlicher Name Troglodytes bedeutet so viel wie »Höhlenbewohner«. Denn Zaunkönige bauen ihre Kugelnester mit Vorliebe in Höhlungen und Nischen: etwa in Wurzeltellern umgefallener Bäume, in frei gespültem Wurzelwerk an Gewässern, in Mauerlöchern, in Holzstapeln, aber auch in unbewohnten Mauselöchern oder mitunter gar in Türkränzen.

  • Der Zaunkönig
    Hier erfahren Sie alles Wissenswerte über den kleinen Winzling mit der gewaltigen Stimme.
  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Sperlingsvögel

    Unterordnung: Singvögel

    Familie: Zaunkönige

    Größe: 9 bis 11 Zentimeter

    Gewicht: 8 bis 13 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 2

    Nachkommen pro Periode: 4 bis 8

    Höchstalter: 7 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Zaunschlüpfer, Schneekönig

  • Beobachtungstipps

    Der Zaunkönig huscht hier zu Lande ganzjährig durchs Gebüsch und Dickicht.

    Zaunkönige im Nest | Männliche Zaunkönige fertigen gleich mehrere Nester an. In welchem der Nachwuchs aufwächst, entscheidet dann das Weibchen.

Eine 2500 Jahre alte Fabel hat dem Zaunkönig seinen deutschen Namen eingebracht. Nach der Erzählung sollte derjenige Vogel König werden, der am höchsten fliegen könne. Der Zaunkönig ließ sich auf den Schultern des Adlers tragen, flog aber erst selbst los, als dieser müde wurde, und übertraf ihn so an Höhe. Doch der betrügerische König fürchtet bis heute das Misstrauen der anderen Vögel und schlüpft daher heimlich durch die dichten Hecken, die damals als Zäune dienten.

Auf Grund seiner bodennahen Nahrungssuche gehört der Zaunkönig zu den Arten, die unter der Bejagung durch Hauskatzen besonders leiden. In Deutschland werden pro Jahr viele Millionen Vögel durch Katzen getötet. Mit einem Bestand von bis zu drei Millionen Brutpaaren ist der Zaunkönig dennoch unsere elfthäufigste Brutvogelart.

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