Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das große Rätsel um die Potenzen von Pi
Pi ist die wahrscheinlich berühmteste Zahl der Mathematik. Nicht nur Fachleute haben sich schon ausgiebig mit ihr beschäftigt, sie zieht auch Laien in ihren Bann: Der Zahl wurden schon Bücher, Filme und Lieder gewidmet. Ein Teil der Faszination geht wohl darauf zurück, dass sie einerseits den Kreis, eines der einfachsten und symmetrischsten geometrischen Objekte, beschreibt, andererseits in ihrer Dezimaldarstellung keinerlei Symmetrie aufweist. Die Nachkommastellen der Kreiszahl nehmen kein Ende und wiederholen sich niemals.
Über Tausende von Jahren haben sich Menschen mit der Zahl Pi beschäftigt. Daher sollte man meinen, dass so gut wie alles über sie bekannt ist. Doch weit gefehlt: Die Kreiszahl birgt immer noch viele Rätsel. Eines davon dreht sich um die Frage, was dabei herauskommt, wenn man Pi immer wieder mit sich selbst potenziert: Könnte es sein, dass π hoch π hoch π hoch π eine natürliche Zahl ergibt?
Die Idee, dass das Ergebnis einer vielfach potenzierten irrationalen Zahl ganzzahlig sein könnte, scheint auf den ersten Blick weit hergeholt. Tatsächlich gibt es aber Beispiele für solche Fälle, etwa: (√2 hoch √2) hoch √2, was sich zu √2√2·√2 vereinfachen lässt und daher √22 = 2 ergibt. Wie sich solche Berechnungen aber mit Pi gestalten, ist nicht so leicht ersichtlich.
Ein Tweet fordert die Mathe-Community heraus
»((Sehr) schweres) Problem des Tages: Beweise, dass Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi keine ganze Zahl ist.« Diesen Post veröffentlichte der theoretische Informatiker Conor McBride von der University of Strathclyde in Glasgow am 3. Mai 2013 auf Twitter (heute X). Darunter sammelten sich einige wenige Kommentare, allzu viel Aufmerksamkeit erregte er damit nicht. Der Informatiker Daniel Spiewak durchschaute McBride schnell: »Im Grunde bittest du also deine Twitter-Follower, eine der wichtigsten unbeantworteten Fragen zur Tetration zu lösen?« (Tetration bezeichnet eine wiederholt ausgeführte Potenzierung). Und tatsächlich wissen nicht einmal Mathematikerinnen und Mathematiker, was für eine Art von Zahl herauskommt, wenn man Pi viermal hintereinander mit sich selbst potenziert.
One of my favourite "I can't believe we don't know how to prove that" questions:
— Thomas Bloom (@thomasfbloom) January 4, 2021
Is pi^pi^pi^pi an integer?
Kaum zu glauben? Das findet auch der Mathematiker Thomas Bloom von der University of Oxford, der die Frage im Jahr 2021 auf Twitter wieder aufleben ließ. Bei ihm erregte das Thema mehr Interesse: Der Beitrag wurde 90-mal geteilt und mehr als 500-mal geliked. »Wahnsinn! Mein erster Gedanke war: ›Warum können wir nicht einfach ein paar Dezimalstellen ausrechnen?‹ – doch dann wurde es mir klar«, kommentierte der Mathematiker und Fields-Medaillist Timothy Gowers.
Das war ehrlich gesagt auch mein erster Gedanke. Warum so viel darüber diskutieren, statt das Ergebnis einfach auszurechnen? Dabei müsste ich es eigentlich besser wissen – schließlich habe ich sogar schon einmal einen Artikel zu großen Zahlen geschrieben. Selbst wenn Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi harmlos aussieht, handelt es sich dabei um eine unvorstellbar riesige Zahl.
Lasst uns losrechnen!
Zunächst einmal muss man wissen, dass eine mehrfache Potenzierung von rechts nach links ausgeführt wird. Das heißt: Man berechnet zunächst Pi hoch Pi (was ungefähr 36,46 entspricht), dann potenziert man Pi mit 36,46… und erhält damit das Ergebnis 1,34… ·1018 – also eine 18-stellige Zahl. Und das war bisher nur das Resultat der dreifach ausgeführten Potenzierung. Eine weitere Ausführung fehlt also noch: Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi ist gleich π hoch 1,34… ·1018. Also Pi potenziert mit einer 18-stelligen Zahl. Das Ergebnis wird gigantisch. Sogar unfassbar gigantisch: Es ist eine Zahl mit 1018 (einer Milliarde Milliarden) Ziffern.
Zum Vergleich: 2022 betrug der Rekord an berechneten Ziffern von Pi 62·1012. Um das ganzzahlige Ergebnis von Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi auszurechnen, müsste man eine Million mal mehr Ziffern bestimmen. Und das sind nur die Zahlen vor dem Komma.
Was uns aber eigentlich interessiert, sind die Zahlen hinter dem Komma. Denn die zu prüfende Behauptung lautet ja, dass Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi ganzzahlig ist – also keine Zahlen hinter dem Komma aufweist. Demnach können uns bei der Berechnung die 1018 Ziffern vor dem Komma egal sein. Das könnte die Berechnung vereinfachen.
Dafür kann man mit einem einfacheren Beispiel starten: Angenommen, man wollte die wiederholte Potenzierung einer ganzen Zahl, etwa 4 hoch 4 hoch 4, berechnen und wäre bloß an den letzten beiden Ziffern interessiert. Schnell stellt man fest, dass 4 hoch 4 hoch 4 dasselbe ist wie 4256. Letzteres exakt zu berechnen ist allerdings ziemlich aufwändig, und da wir nur an den letzten beiden Ziffern des Ergebnisses interessiert sind, kann man eine Abkürzung nehmen: Zunächst berechnet man 41 = 4 und multipliziert das mit vier, um 42 = 16 zu erhalten. Das multipliziert man wieder mit vier und bekommt 43 = 64. Das wiederholt man und kommt zum Ergebnis: 44 = 256. Und nun kommt die Vereinfachung: Statt das gesamte dreistellige Ergebnis im nächsten Schritt mit vier zu multiplizieren, genügt es, bloß die letzten beiden Ziffern (also 56) zu betrachten. Denn wir sind ja nur an den letzten beiden Ziffern des Ergebnisses interessiert. Damit folgt: 45 = …56·4 = …224. Im nächsten Schritt ignoriert man wieder die Hunderterzahl und verfährt weiter: 46 = …24·4 = …96 und so weiter. Wenn man das Ganze 256-mal durchführt, ergeben sich am Ende die letzten Ziffern der gesuchten Zahl.
»Kurzum, es gibt keine Möglichkeit, das in einer denkbaren Zukunft zu berechnen«Matt Parker, Mathematiker
Sie ahnen vermutlich schon, warum das mit Pi nicht funktionieren kann: Die Kreiszahl ist irrational, besitzt also unendlich viele Nachkommastellen. Es gibt also keine »kleinste Ziffer«, die man bei der Potenzierung berücksichtigen kann. Klar: Man könnte untersuchen, wie viele Nachkommastellen von Pi in einer Berechnung mitgenommen werden müssen, um nach einer Potenzierung ein möglichst präzises Ergebnis zu erhalten. Auf diese Weise ließe sich vielleicht näherungsweise erkennen, ob Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi einen ganzzahligen Wert annehmen könnte.
Der australische Mathematiker Matt Parker hat sich für ein Youtube-Video tatsächlich die Mühe gemacht. Bricht man Pi nach fünf Nachkommastellen ab und potenziert diese Zahl mit sechs, sind nur die ersten beiden Nachkommastellen des Ergebnisses korrekt. Parker konnte nicht exakt berechnen, wie viele Ziffern man berücksichtigen muss, um zumindest ein paar korrekte Nachkommastellen von π hoch 1,34…·1018 (was Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi entspricht) zu erhalten. Doch anhand seiner Berechnungen vermutet er, dass man mindestens den doppelten Exponenten (also 2 · 1,34…·1018) an Nachkommastellen braucht, um am Ende zumindest eine korrekte Ziffer hinter dem Komma zu erhalten. »Kurzum, es gibt keine Möglichkeit, das in einer denkbaren Zukunft zu berechnen«, schließt Parker seine Argumentation.
Mit abstrakter Mathematik zum Ziel
Glücklicherweise bietet die Mathematik auch ganz andere Mittel und Wege, um herauszufinden, ob eine Zahl ganzzahlig, irrational oder gar transzendent ist. Letzteres bezeichnet Zahlen, die sich nicht als Lösung einer simplen Gleichung ausdrücken lassen. Somit ist √2 nicht transzendent, weil Wurzel zwei die Lösung von x2 = 2 ist. Pi hingegen ist transzendent. Das herauszufinden, ist oft kompliziert. Doch der US-Mathematiker Stephen Hoel Schanuel äußerte in den 1960er Jahren eine Vermutung, mit der sich beurteilen lässt, ob ein Wert transzendent ist (und somit irrational). Die Vermutung an sich ist ziemlich abstrakt und verlangt höhere Mathematikkenntnisse.
Einige Fachleute haben die Vermutung von Schanuel genutzt, um Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi zu untersuchen. Wie sie herausfanden, müsste das Ergebnis transzendent sein – und könnte somit unmöglich eine ganze Zahl sein. Doch die Vermutung von Schanuel ist eben nur eine Vermutung; beweisen konnte sie bisher niemand. Ob die Folgerung, Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi sei transzendent, richtig ist, steht daher noch aus.
Um das Rätsel über die vierfache Potenzierung von Pi zu lösen, gibt es also nur zwei Möglichkeiten. »Wir müssen entweder viel besser in Mathematik werden und die Vermutung von Schanuel beweisen«, sagte Parker in seinem Youtube-Video. »Oder wir müssen die Rechengeschwindigkeiten deutlich erhöhen. Bis dahin haben wir keine Ahnung, ob Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi ganzzahlig ist oder nicht.«
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