Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die Zahl, die ihr eigenes Quadrat ist
In der Mathematik geht es oft darum, Muster aufzudecken. So drehen sich bestimmte Bereiche der Topologie darum, Knoten oder geometrische Formen zu kategorisieren, und die Zahlentheorie erforscht die Verteilung von Primzahlen. Beschränkt man sich auf etwas einfachere Zusammenhänge, so lässt sich bei den Zahlen 5 und 6 ein interessantes Muster erkennen, das bereits die Babylonier erkannten: Das Quadrat von 5 ist 25, endet also mit einer Fünf; das Quadrat von 25 ist 625, was mit 25 endet; und das Quadrat von 625 ist 390 625, was mit 625 endet. Was wie eine lustige Spielerei wirkt, die der Mathematiker Maurice Kraitchik im Jahr 1942 populär machte, führt zu einem der wichtigsten Zahlensysteme der Mathematik – und einem der seltsamsten.
Führt man die genannte Spielerei mit der Zahl sechs durch, ist das Ergebnis zwar nicht ganz so beeindruckend, aber auch hier zeichnet sich ein Muster ab: 6 zum Quadrat gibt 36; 36 quadriert ergibt 1296. Die 36 taucht nicht mehr in der Ziffernfolge auf, aber das Ergebnis endet stets mit einer Sechs. Generell werden Zahlen, deren Quadrat am Ende der Ziffernfolge wieder sie selbst enthält, automorph genannt. Von diesen gibt es unendlich viele: 0, 1, 5, 6, 25, 76 (76·76 = 5776), 376 (376·376 = 141 376), … Wie sich herausstellt, enden alle automorphen Zahlen abseits von 0 und 1 stets mit 5 oder 6.
Die Fünf ist aber besonders spannend, weil nicht nur sie automorph ist, sondern auch ihr Quadrat und ebenso das Quadrat des Quadrats. Damit stellt sich natürlicherweise die Frage, ob sich diese Folge von automorphen Zahlen unendlich lang fortsetzt. Sprich: Liefert die wiederholte Quadrierung von 5 stets eine automorphe Zahl? Wie sich herausstellt, ist das nicht der Fall:
Anzahl Quadrierungen | 1 | 2 | 3 | 4 |
---|---|---|---|---|
Ergebnisse | 25 | 625 | 390 625 | 152 587 890 625 |
Das Muster scheint also nach dem dritten Mal Quadrieren zusammenzubrechen: 390 6252 ergibt nämlich 152 587 890 625, somit kann 390 625 nicht automorph sein, weil die Zahl nicht vollständig in ihrem Quadrat enthalten ist. Aber wenn man aufmerksam hinsieht, lässt sich erkennen, dass zumindest die ersten fünf Ziffern in der Quadratzahl auftauchen, nämlich: 90 625. Und wenn man diese Zahl quadriert, ergibt sich: 90 6252 = 8 212 890 625. Damit ist 90 625 eine automorphe Zahl!
Also kann man weitermachen und das Quadrat von 8 212 890 625 berechnen. Das Ergebnis ist riesig, aber wie sich herausstellt, ist auch 8 212 890 625 automorph, denn das Quadrat davon beträgt 67 451 572 418 212 890 625. Diese Prozedur kann man fortsetzen: Man quadriert sukzessive alle Zahlen und falls sie nicht automorph sind, setzt man die Berechnungen mit den letzten Ziffern, die sich wiederholt hatten, fort. Dadurch ergibt sich die Zahlenfolge:
5
25
625
90 625
8 212 890 625
918 212 890 625
Wie sich unschwer erkennen lässt, entsteht auf diese Art eine immer größere automorphe Zahl. Tatsächlich lässt sich dieses Vorgehen bis ins Unendliche fortführen – am Ende ergibt sich eine unendlich große Zahl, die vollkommen automorph ist, deren Quadrat also wieder ihr selbst entspricht: n2 = n. Auch wenn man keine unendlich große Zahl aufschreiben kann, sind ihre letzten Ziffern doch bekannt, nämlich: …918212890625.
Dass es in der Unendlichkeit einen solchen »Fixpunkt« gibt, also eine Zahl abseits von 0 und 1, die quadriert wieder sich selbst ergibt, ist an sich schon erstaunlich. Dass sich zumindest die letzten Ziffern dieser Zahl präzise angeben lassen, ist noch erstaunlicher. Es ist nicht direkt ersichtlich, dass sich die genannte Prozedur unendlich oft fortsetzen lässt. Man könnte ja irgendwann auf eine Zahl stoßen, die nicht mehr automorph ist. Und überhaupt – was soll eine unendliche Zahl wie …918212890625 darstellen? Inwiefern unterscheidet sie sich von einem Wert wie ….111111111? Schließlich sind beide Zahlen unendlich groß.
Ein neues Zahlensystem wird geboren
Tatsächlich hat der Mathematiker Kurt Hensel im späten 19. Jahrhundert das Konzept der so genannten p-adischen Zahlen entworfen: Dabei handelt es sich um Zahlen, die unendlich viele Ziffern vor dem Komma haben – im Gegensatz zu den gewöhnlichen reellen Zahlen, die sich unendlich lang hinter dem Komma fortsetzen, wie π = 3,14159…. Auch wenn das zunächst äußerst ungewöhnlich klingt, lässt sich mit den p-adischen Zahlen ebenso rechnen wie mit gewöhnlichen reellen Zahlen.
Das kann man erkennen, wenn man eine etwas ungewohnte Darstellung der reellen Zahlen betrachtet. Jede reelle Zahl lässt sich nämlich als unendliche Summe ausdrücken. So ist π = 3·100 + 1·10-1 + 4·10-2 + 1·10-3 + 5·10-4 + 9·10-5 + … Das lässt sich für jede reelle Zahl machen. p-adische Zahlen kann man ebenso als unendliche Reihe darstellen, allerdings mit positiven Exponenten. So ist …890625 = 5·100 + 2·101 + 6·102 + 0·103 + 9·104 + 8·105 + … Auf diese Weise wird klar, wie man mit den seltsamen Zahlen rechnen kann. So ergibt …111111 + …22222 = …33333. Die p-adischen Zahlen lassen sich zudem auch dividieren und multiplizieren.
Die letzten beiden Operationen können in manchen Fällen allerdings zu Problemen führen. Grund dafür sind automorphe Zahlen wie …890625. Wie bereits erwähnt, entspricht diese Zahl ihrem Quadrat, also gilt für sie: n2 = n. Stellt man diese quadratische Gleichung um, ergibt sich: n2 − n = n · (n − 1) = 0. Wenn ein Produkt aus zwei Faktoren (hier n und n − 1) null ergibt, dann muss mindestens einer der Faktoren null sein. Das ist aber nur der Fall, falls n = 0 oder n = 1 ist. Bei den p-adischen Zahlen kann n aber auch einen Wert abseits von null und eins annehmen und trotzdem die genannte Gleichung erfüllen, zum Beispiel wenn n = …890625. Das heißt: Mit p-adischen Zahlen kann das Produkt zweier Zahlen, die beide ungleich null sind, trotzdem null ergeben.
Division durch null
Solche »Nullteiler« stellen bereits bei einfachen Berechnungen ein Problem dar. Plötzlich muss man bei der Division höllisch aufpassen, um nicht versehentlich eine Zahl durch null zu dividieren. Das sieht man an folgendem Beispiel: Angenommen, a ≠ 0 und b ≠ 0 sind p-adische Zahlen und a·b = 0. Wenn man die Gleichung 2⁄a = b · (1 + x) nach x auflösen möchte, würde man für gewöhnlich zunächst beide Seiten der Gleichung durch b dividieren. Da aber das Produkt aus a und b null ergibt, würde man so den linken Term durch null teilen. Die Gleichung lässt sich also ohne Weiteres nicht lösen.
»Inzwischen bin ich p-adische Zahlen so gewohnt, dass mir die reellen Zahlen komisch vorkommen«Peter Scholze, Zahlentheoretiker
Wie sich herausstellt, lassen sich solche problematischen Nullteiler umgehen. Falls Sie sich über den Namen des Zahlensystems gewundert haben: Das p steht für eine Primzahl. Die p-adischen Zahlen, die ich vorgestellt habe, sind aber eigentlich »10-adische« Zahlen, die also zur Basis 10 definiert sind. Weil 10 keine Primzahl ist, kommt es zu solchen unliebsamen Nullteilern. Würde man jedoch zum Beispiel die 3-adischen Zahlen betrachten, die durch eine Summe der Form x0·30 + x1·31 + x2·32 + x3·33 + x4·34 + x5·35 + … (wobei die Koeffizienten xi = 0, 1 oder 2 sind) dargestellt werden, findet man keine Nullteiler. Und damit enthalten p-adische Zahlen, bei denen p wirklich eine Primzahl ist, keine vollkommen automorphen Werte, die n2 = n erfüllen, abseits von …0000 und ….00001 (null und eins).
Auch wenn die p-adischen Zahlen auf den ersten Blick extrem kompliziert wirken, finden sie viel Anwendung. Tatsächlich verwenden Zahlentheoretiker und Zahlentheoretikerinnen die seltsamen Werte für den Großteil ihrer Arbeit. »p-adische Zahlen sind weit weg von unserer gewohnten Vorstellungswelt«, sagte zum Beispiel der Mathematiker Peter Scholze. »Inzwischen bin ich sie so gewohnt, dass mir die reellen Zahlen komisch vorkommen.«
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