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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Bluttransfusion und warum Tierblut nicht taugt

Blut bedenkenlos auf einen Menschen zu übertragen, kann tödlich enden. Vor allem wenn man dazu Tierblut verwendet, wie unsere Kolumnisten berichten.
Blutransfusion vom Lamm zum Menschen. Holzschnitt aus Josef Friedrich Eckerts Buch von 1876 »Objective Studie von der Transfusion des Blutes und deren Verwerthbarkeit auf dem Schlachtfelde«.

Im Mai 1873 wurde ein Arzt zu einem Viehhändler bei Schwenda im Harz gerufen. Die Tochter des Viehhändlers, die 13-jährige Hermine Krüger, litt an Diphtherie. Die Infektionskrankheit kommt heute dank Impfungen in Deutschland kaum noch vor, war damals jedoch sehr verbreitet. »Würgeengel der Kinder« hieß sie auch. Der Zustand der jungen Patientin war äußerst schlecht. Sie war schwach, das Atmen fiel ihr schwer, und die Eltern befürchteten, dass sie nicht mehr lange leben würde.

Der Arzt, Oscar Hasse (1837–1898), kam aus der 40 Kilometer entfernten Stadt Nordhausen und schlug eine ungewöhnliche Maßnahme vor: eine Bluttransfusion. Blutkonserven, wie sie heute zur Verfügung stehen, gab es noch nicht. Woher also die Körperflüssigkeit nehmen?

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Hasse entnahm nicht etwa dem Vater oder der Mutter Blut. Nein, er ließ ein Lamm holen. Und das sollte stark und nicht älter als sechs Monate sein. Hasse band das Lamm an ein Brett, legte die Halsschlagader des Tieres frei und leitete über eine Konstruktion aus Schläuchen und Gefäßen das Blut in die »Vena mediana« der Patientin. Diesen Namen besaß die Vene in der Ellenbeuge seit dem Mittelalter. Laut Oscar Hasses Bericht war die Transfusion für das Mädchen äußerst schmerzhaft. Doch nach kurzer Zeit kam sie wieder zu Kräften, und nach einigen Wochen war sie vollständig genesen.

Geheilt durch Tierblut?

Was ist von dieser Geschichte zu halten? Heute wissen wir, dass Hermine Krüger Glück hatte, die Transfusion zu überleben. Vermutlich floss nur sehr wenig oder gar kein Lammblut in den Kreislauf der Patientin. Sie hat die Diphtherie nicht wegen, sondern trotz des Eingreifens von Hasse überwunden. Diese Episode von Tierblutübertragung ist nicht die einzige aus der vormodernen Medizingeschichte. Schon für die erste dokumentierte Transfusion hatte man ein Lamm genutzt. Jean-Baptiste Denis, einer der Ärzte von Ludwig XIV. (1638–1715), behandelte so 1667 einen 15-Jährigen. Aus den Quellen geht hervor, dass der Junge die Prozedur überlebt hat. Wie war das möglich?

Wie heute bekannt ist, können nur wenige Milliliter einer Fehltransfusion eine Immunreaktion auslösen, die dann zu einem allergischen und womöglich tödlichen Schock führt. Das Blut verklumpt, und die Blutkörperchen platzen. Vermutlich wurde also wenig bis gar kein Lammblut übertragen. Die weiteren Transfusionen von Denis endeten nämlich tödlich, weshalb er die Therapieform wieder aufgab – ebenso wie Hasse 200 Jahre später. Bis sich die Bluttransfusion als medizinisches Verfahren etablierte, verging noch einige Zeit, da wichtiges Wissen fehlte, etwa über die Existenz der Blutgruppen.

Die Körpersäfte in Einklang bringen

Blut spielte in der Medizingeschichte immer eine zentrale Rolle. Goethe hat es nicht umsonst als »besondren Saft« bezeichnet. Und Saft ist das Stichwort. Die Vorstellung von Gesundheit und Krankheit war von der Antike bis ins 18. Jahrhundert maßgeblich von der Viersäftelehre (Humoralpathologie) geprägt. Blut galt als einer der vier Säfte und stand für Vitalität, Kraft und Verjüngung. Die Herausforderung für vormoderne Mediziner war es nun, die Säfte in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, etwa durch Aderlass. Auf die Idee, Blut intravenös zu verabreichen, kamen Menschen aber erst im 17. Jahrhundert. Denn es gab bis 1628 keine Kenntnis vom Blutkreislauf. Der Arzt William Harvey (1578–1657) war der Erste, der herausfand, dass der rote Stoff im menschlichen Körper zirkuliert.

Die erste erfolgreiche Transfusion zwischen zwei Menschen gelang dann 1825 einem Nachfolger von Harvey: dem Physiologen James Blundell (1790–1878). Doch auch danach entschieden sich Ärzte nur selten für eine Transfusion, und wenn, dann bei Patienten, für die keinerlei Hoffnung mehr bestand.

Kurze Zeit erhielten die Befürworter von Lammblutübertragungen große Aufmerksamkeit. Vor allem nachdem Oscar Hasse über seinen Therapieerfolg 1873 berichtet hatte und die Hoffnung auf eine neue Ära in der Medizin schürte. Die Idee war allerdings wenige Jahre später Geschichte, als Mediziner die Therapie als Alchemie entlarvten, wie Boel Berner in seinem Buch »Strange Blood. The Rise and Fall of Lamb Blood Transfusion in 19th Century Medicine and Beyond« erklärt.

Einer dieser Mediziner war Leonard Landois (1837–1902). Er gilt als Pionier für die Erforschung von Bluteigenschaften. Landois riet dringend davon ab, Tierblut zu verwenden, also eine so genannte Xeno-Transfusion durchzuführen. Schon 1875 hatte er das Phänomen der Agglutination beschrieben, des Verklumpens roter Blutkörperchen. Seine Erkenntnisse führten zu einer Welle von neuen Studien. So entdeckte unter anderem der Wiener Arzt Karl Landsteiner (1868–1943) um 1900 die Blutgruppen, das AB0-System.

Der Beginn von Blutkonserven und Blutspenden

Dann, in den 1920er Jahren, spendeten immer mehr Menschen Blut. Aber nicht als direkte Transfusion von Mensch zu Mensch, sondern in Form von Blutkonserven, in denen die Gerinnung durch Natriumzitrat unterbunden wurde.

Mit Oscar Hasses Transfusionen war Tierblut freilich nicht vollkommen aus der medizinischen Forschung verbannt. Nur wenig später sorgte es nämlich wirklich für einen Durchbruch: So gelang es Emil von Behring (1854–1917), mit dem Blutserum von Schafen eine Impfung gegen Diphtherie zu entwickeln.

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