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Krebs verstehen: Kann man überall im Körper Krebs bekommen?

Nicht alle Körperregionen sind gleichermaßen von Krebs betroffen. Doch gibt es auch Gewebe, die nie Tumoren entwickeln? Warum und in welchen Zellen Krebs entsteht, erklärt die Ärztin Marisa Kurz.
Scans eines Gehirns
Hirntumoren können primär im Gehirn beispielsweise aus Gliazellen entstehen, doch meist bilden sie sich sekundär durch Metastasen aus anderen Körperregionen. (Symbolbild)

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Brustkrebs. Prostatakrebs. Lungenkrebs. Darmkrebs. Diese vier Krebsarten sind für rund 78 Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich. Sie sind jedem ein Begriff. Doch haben Sie schon einmal von Herzkrebs gehört? Nein? Kein Wunder. Tatsächlich gibt es Körperstellen, an denen sich Tumoren äußerst selten entwickeln – so auch am Herzen. Doch woran liegt das?

Im Körper gibt es hunderte Arten verschiedener Zellen, die sich zu Geweben wie etwa Muskeln zusammensetzen und unterschiedliche Aufgaben übernehmen. In den meisten Geweben herrscht ein Gleichgewicht: Neue Zellen bilden sich, indem sich bestehende teilen, während alte oder kaputte Zellen abgebaut werden. Bei der Zellteilung können Erbgutschäden entstehen und an Tochterzellen weitergegeben werden. Sie führen zu Krebs.

Je öfter sich Zellen teilen, desto anfälliger sind sie. In bestimmten Körperbereichen findet ein besonders hoher Zellumsatz statt. Dazu gehört etwa die Schleimhaut des Dickdarms, die besonders beansprucht wird, da immer wieder Stuhl hindurchwandert. Hier werden ständig neue Schleimhautzellen gebildet – und deshalb entsteht im Dickdarm häufig Krebs.

Im Gegensatz dazu teilen sich bestimmte Zellen wie Herzmuskelzellen oder Nervenzellen fast gar nicht. Das ist einerseits ein Vorteil, denn dort entsteht deshalb praktisch kein Krebs. Andererseits bedeutet die geringe Teilungsfähigkeit aber auch, dass sich das Gewebe kaum erneuern kann. Wenn einmal ein Schaden da ist – zum Beispiel durch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall – bleibt er.

Auch äußere Faktoren wie Zigarettenrauch, Alkohol oder UV-Licht beeinflussen die Tumorbildung. Je mehr schädlichen Einflüssen ein Gewebe ausgesetzt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dort Krebs entsteht.

Wieso ist Dünndarmkrebs so selten?

Dickdarmkrebs gehört zu den drei häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen und Männern. Der Verdauungstrakt des Menschen ist ungefähr 8,5 Meter lang und bildet die größte Schleimhautoberfläche im Körper. Rund 80 Prozent davon macht der Dünndarm aus. Man könnte also annehmen, dass Krebs auch hier häufig vorkommt. Interessanterweise tut er das aber nicht.

Während im Jahr 2020 rund 55 000 Menschen in Deutschland an Dickdarm- bzw. Mastdarmkrebs erkrankten, wurden im selben Jahr nur rund 2700 Fälle von Dünndarmkrebs diagnostiziert. Der größte Teil davon entstand aus neuroendokrinen Zellen und Stromazellen. Obwohl derselbe Nahrungsbrei mit denselben potenziellen Schadstoffen den Dünndarm passiert und er eine viel größere Fläche als der restliche Verdauungstrakt hat, entsteht also im Dünndarm nur selten Krebs. Wie ist das zu erklären?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen an, dass vor allem die kurze Verweildauer des Nahrungsbreis im Dünndarm eine wichtige Rolle spielt. Während im Dickdarm die Nahrung sogar mehrere Tage verbleiben kann, sind es im Dünndarm nur wenige Stunden. Schadstoffe, die wir mit dem Essen zu uns nehmen, können also viel länger auf die Dickdarm- als auf die Dünndarmzellen einwirken.

Darüber hinaus kommen im Dünndarm deutlich mehr Immunzellen vor, die den Krebs abwehren können, und auch das Mikrobiom unterscheidet sich deutlich. Zudem variieren Zellen aus verschiedenen Geweben stark in ihrer Molekularbiologie. Wie so oft in der Biologie stecken also viele Faktoren hinter dem Phänomen, dass manche Krebsarten seltener als andere sind.

Woher kommen Hirntumoren?

Wenn sich Nervenzellen praktisch nicht teilen, aber die Teilungsfähigkeit eine Voraussetzung für die Krebsentstehung ist – wieso gibt es dann eigentlich Hirntumoren? Tatsächlich entstehen diese in aller Regel gar nicht aus den Nervenzellen. Bei Tumoren im Gehirn handelt es sich meist um Krebszellen, die aus anderen Körperregionen stammen: Metastasen. Wenn Krebs direkt im Gehirn entsteht, dann häufig aus Gliazellen, den Stützzellen des Gehirns, aber auch aus anderen Zellen wie Lymphozyten. Krebs kann also theoretisch überall im Körper vorkommen, innere und äußere Faktoren führen jedoch dazu, dass manche Krebsarten viel häufiger als andere sind.

Hilfe bei seltenen Krebserkrankungen

Von seltenen Krebserkrankungen sprechen Medizinerinnen und Mediziner, wenn weniger als 6 von 100 000 Menschen pro Jahr neu erkranken, also weniger als 5000 Menschen pro Jahr in Deutschland. Meiner Meinung nach ist es bei diesen Krebserkrankungen ganz besonders sinnvoll, sich in spezialisierten Zentren behandeln zu lassen, die in der Regel an Universitätskliniken angegliedert sind. Auch wenn eine Erkrankung auf die gesamte Bevölkerung gerechnet selten ist, können solche Zentren viel Erfahrung haben, die raren Krebserkrankungen zu behandeln. Betroffene können sich bei ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten nach den Zentren erkundigen oder über nationale und internationale Datenbanken passende Spezialisten finden.

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