Krebs verstehen: Wird Krebs durch den Gemütszustand beeinflusst?
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
In der Klinik spreche ich jeden Tag mit Krebspatientinnen und -patienten. Was mich in Gesprächen besonders betroffen macht: wenn sie sich selbst Vorwürfe machen, dass sie an Krebs erkrankt sind, oder wenn ihr Umfeld es tut. Zu den schlimmsten Mythen rund um das Thema Krebs gehört in meinen Augen die so genannte »Krebspersönlichkeit«. Manche Menschen sind überzeugt, dass Personen mit bestimmten Charaktereigenschaften eher an Krebs erkranken und dass die Erkrankung mit positiven Gedanken vermieden oder bekämpft werden kann. Sie denken, dass beispielsweise eine Depression und die dazugehörige Antriebsminderung ursächlich für eine Krebserkrankung sind. Um es ganz klar zu sagen: Wissenschaftlich betrachtet sind diese Annahmen nicht haltbar.
Krebs ist oft einfach Pech
Krebs entsteht, wenn verschiedene innere und äußere Faktoren zusammenkommen. Eine einzelne Ursache für Krebs gibt es nicht. Richtig ist, dass Menschen bestimmte Risikofaktoren wie Zigaretten- oder übermäßigen Alkoholkonsum meiden sollten und so ihr Krebsrisiko mindern. Doch selbst damit lässt es sich nicht auf null reduzieren. Wenn jemand an Krebs erkrankt, ist das vor allem eins: Pech.
Mit der Frage, ob auch psychische Zustände die Entstehung von Krebs beeinflussen können, beschäftigen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schon lange. Sie zu beantworten ist methodisch jedoch sehr schwierig: Werden bereits Erkrankte zu ihren Gefühlen befragt, geben sie negativere Antworten als Gesunde. Doch daraus lässt sich nicht ableiten, ob die gedrückte Stimmung Ursache oder Ergebnis der Krebserkrankung ist. Schwer ist zudem zu ergründen, ob manche psychischen Belastungen zu einem weniger gesundheitsbewussten Verhalten führen. Wer auf Grund einer psychischen Erkrankung weniger zum Arzt geht, weniger Sport macht, sich ungesünder ernährt und vor allem mehr raucht und Alkohol trinkt, kann ein erhöhtes Krebsrisiko haben – der Einfluss der Psyche ist hier aber nur indirekt.
Forschende der Reichsuniversität Groningen gingen der Frage nach, ob Depressionen und Angststörungen mit einem vermehrten Auftreten von Krebserkrankungen einhergehen. Dafür haben sie Gesundheitsdaten von rund 320 000 Personen aus den Niederlanden, Norwegen, Kanada und dem Vereinigten Königreich analysiert; bei diesen traten im Beobachtungszeitraum etwa 25 000 Krebsfälle auf. Besonders achteten sie darauf, ob eine Diagnose einer psychischen Erkrankung vor der Krebsdiagnose gestellt wurde und ob Risikofaktoren für Krebs vorlagen.
Ihr eindeutiges Fazit: Nur diejenigen, die wegen einer psychischen Erkrankung mehr rauchen, Alkohol trinken und übergewichtig sind, haben ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs und andere Krebsarten, für die Rauchen ein Risikofaktor ist. Darüber hinaus hat das niederländische Forschungsteam keinen Zusammenhang zwischen den psychischen Erkrankungen und dem Auftreten von Krebserkrankungen gefunden.
Aufruf zum »positiven Denken« kann schaden
Leider begegnen mir dennoch immer wieder »Tipps« für Krebserkrankte, wie sie mit der richtigen Einstellung die Krankheit besiegen können. Meine Patientinnen und Patienten sind mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert, sie erhalten Therapien, die bei ihnen zum Teil schwere Nebenwirkungen verursachen und ihren Alltag erschweren, und lassen immer wieder medizinische Untersuchungen über sich ergehen. Nebenbei kümmern sie sich um ihre Familie, Ausbildung oder Arbeit oder haben finanzielle Sorgen, weil sie nicht arbeitsfähig sind.
Betroffenen in dieser schweren Zeit zu suggerieren, sie wären für den Verlauf ihrer Erkrankung selbst verantwortlich, führt nur zu unnötigem weiterem Druck und kann unangebrachte Schuldgefühle auslösen. Die »Krebspersönlichkeit« ist lediglich ein Mythos. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass eine positive Einstellung Krebserkrankungen verhindert oder deren Verlauf verbessert. Wie positiv und optimistisch Krebserkrankte in dieser Situation sein können und wollen, hat in meinen Augen niemand anderes zu beurteilen. Denn: Es gibt nicht den einen »richtigen« Weg, mit einer Krebserkrankung umzugehen. Das müssen alle Patienten selbst für sich herausfinden. Und ich als Ärztin, ihre Familie und ihre Freunde sind dazu da, sie bestmöglich auf diesem Weg zu unterstützen.
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