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Krebs verstehen : Eignet sich ein Ganzkörper-MRT zur Krebsfrüherkennung?

Prominente wie Kim Kardashian werben dafür, Ganzkörper-Screenings zu machen, weil sie Leben retten können. Ob sie wirklich sinnvoll sind, um Krebs so früh wie möglich zu entdecken, erklärt die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Ein Patient in einem MRT
Bei einem Ganzkörper-MRT werden ein starkes magnetisches Feld und elektromagnetische Strahlung verwendet, um detaillierte Bilder von inneren Strukturen des Körpers zu erstellen.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Als ich ungefähr 20 Jahre alt war, habe ich mich gefragt, warum man nicht einfach regelmäßige Ganzkörperaufnahmen bei allen Menschen macht, um Krebs möglichst früh zu entdecken. Schließlich sind die meisten Krebserkrankungen umso besser behandelbar, je eher sie gefunden werden. Warum, fragte ich mich damals, sind solche Untersuchungen dann nicht etabliert als Krebsfrüherkennung?

Heute bin ich Ärztin in der Onkologie und wünsche mir immer noch, dass Krebserkrankungen früher entdeckt werden. Der Idee, dass Ganzkörperuntersuchungen bei Menschen ohne Beschwerden und egal welchen Alters die Lösung hierfür sein könnten, bin ich erst kürzlich wieder begegnet. Und zwar, als ich gelesen habe, dass Prominente wie Kim Kardashian Ganzkörper-Kernspintomogramme (MRTs) von privaten Anbietern bewerben. Ein solches MRT kostet bis zu 2500 Dollar. Eine lebensrettende Maschine, so schreibt Kardashian, die Krebs und andere Krankheiten auch im Anfangsstadium entdecken könne, bevor überhaupt Symptome auftreten. Das habe schon einigen ihrer Freunde das Leben gerettet.

Beweise für die Sinnhaftigkeit von Ganzkörper-MRTs fehlen

Krebsfrüherkennungsuntersuchungen sollten bestimmte Kriterien erfüllen. Es sollte bewiesen sein, dass sie mit hoher Sicherheit Tumoren oder Krebsvorstufen erkennen, und vor allem, dass dadurch Erkrankungen oder Todesfälle verhindert oder Lebenszeit verlängert wird. Gleichzeitig sollte möglichst wenig Schaden entstehen, der Eingriff also so wenig invasiv wie möglich erfolgen.

In einer Studie zu Ganzkörper-MRTs als Früherkennungsmaßnahme haben Forschende bei knapp 600 Personen insgesamt fast 2000 auffällige Befunde entdeckt. Von klinischer Relevanz waren allerdings nur knapp 250, am häufigsten handelte es sich dabei um Aneurysmata, also um Gefäßerweiterungen im Gehirn. Bei rund 160 Probanden zeigten sich potenzielle Anzeichen, die auf eine Krebserkrankung hindeuten könnten. Die meisten Studienteilnehmer ließen sich weiter untersuchen – doch nur bei sechs Patienten wurde der Verdacht letztlich bestätigt. Umgekehrt stellte sich bei fünf Probanden mit unauffälligem MRT später heraus, dass sie an Krebs erkrankt waren. Bei vielen der völlig beschwerdefreien Studienteilnehmer wurden auf Grund des MRT-Befunds also Folgeuntersuchungen durchgeführt, die sich später als unnötig herausstellten – und andererseits bei einigen Patienten bestehende Krebserkrankungen nicht entdeckt.

Auch ein unauffälliges MRT ist also keine Garantie dafür, dass keine Erkrankung vorliegt. Denn eine MRT-Untersuchung ist nicht für jede Krebserkrankung die technisch beste Methode zur Früherkennung. Darmkrebs, der in der Schleimhaut im Inneren des Darms entsteht, lässt sich etwa im Rahmen einer Darmspiegelung viel besser erkennen.

Wissenschaftler schätzen basierend auf Studienergebnissen wie diesen, dass bei einem MRT-Ganzkörper-Screening bei rund 95 Prozent der untersuchten Personen Auffälligkeiten gefunden werden könnten. Rund 30 Prozent würden womöglich weiter untersucht werden, ein Krebsverdacht würde aber nur bei rund 2 Prozent bestehen bleiben.

»Auch hier zu Lande werden Ganzkörper-MRTs als Selbstzahlerleistung angeboten. Das sehe ich sehr kritisch«Marisa Kurz, Ärztin

Die Amerikanische Radiologengesellschaft erklärt deshalb in einer Stellungnahme, dass die Beweise nicht ausreichen, um ein Ganzkörper-Screening bei Patienten ohne klinische Symptome, Risikofaktoren oder eine auffällige Familienanamnese zu empfehlen. Vor allem sei nicht belegt, dass eine solche Diagnostik das Leben verlängere. Hingegen, so argumentieren die Radiologen, sind unnötige Folgeuntersuchungen und Kosten zu befürchten. Auch andere Experten warnen vor den Risiken solcher Untersuchungen.

Psychische Belastung und weitere gesundheitliche Risiken

Auch hier zu Lande werden Ganzkörper-MRTs als Selbstzahlerleistung angeboten. Das sehe ich sehr kritisch: Auffällige Befunde in medizinisch nicht indizierten radiologischen Untersuchungen können Betroffene nicht nur psychisch belasten, sondern auch gesundheitliche Risiken bedeuten. Im schlimmsten Fall könnte es so ablaufen: Eine gesunde Person wird zur Befundbesprechung des MRT einbestellt und erfährt, dass eine Auffälligkeit in einem Organ entdeckt wurde, die weiter abgeklärt werden muss. Weitere Untersuchungen folgen. Über Tage oder sogar Wochen ist derjenige in Sorge darüber, vielleicht an Krebs erkrankt zu sein. Schließlich wird die auffällige Stelle biopsiert, dabei kommt es zu einer lebensbedrohlichen Blutung. Später stellt sich dann heraus, dass der Befund gutartig war.

Schlimm genug, wenn Menschen unnötig mit dem Tod konfrontiert und möglichen medizinischen Komplikationen ausgesetzt sind. Doch die negativen Konsequenzen können noch weitreichender sein: Auch wenn man die initiale Ganzkörperuntersuchung aus eigener Tasche bezahlt, werden die Folgeuntersuchungen zu Lasten der Krankenversicherung abgerechnet. So zahlen am Ende auch andere. Gleichzeitig werden durch die Folgeuntersuchungen medizinische Kapazitäten gebunden, die dann vielleicht für dringendere Fälle fehlen.

In einer spannenden Reportage für das Magazin »New Yorker« schildert ein Redakteur – selbst Arzt –, wie er im Rahmen der Recherche das von Kim Kardashian empfohlene Ganzkörper-MRT anfertigen ließ. Dabei wurde eine auffällige Stelle in seiner Prostata entdeckt, die er nun immer wieder kontrollieren lässt – dabei hat sie womöglich gar keinen Krankheitswert. Durch das MRT, so sagte ein Radiologe zu ihm, sei er von einem gesunden Menschen zu einem Patienten geworden.

Sicherlich gibt es auch Einzelfälle, in denen durch solche Untersuchungen lebensbedrohliche Erkrankungen entdeckt und früh behandelt werden können. Statistisch gesehen ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass daraus unnötige Sorgen, Untersuchungen und Kosten resultieren, größer. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass bildgebende Verfahren in der Zukunft vermehrt für die Früherkennung bestimmter Erkrankungen bei gewissen Personengruppen eingesetzt werden. Beispielsweise rechne ich damit, dass eines Tages für Risikopatienten in Deutschland ein Lungenkrebs-Screening mittels Niedrigdosis-Computertomografie eingeführt wird. Jedoch muss noch genauer erforscht werden, welche Arten von Untersuchungen bei welchen Personen sinnhaft sind. Ein empfehlenswertes Ganzkörper-Screening auf Krebs für alle gibt es zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht.

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