Storks Spezialfutter: Warum hebt nicht mal die Bahn ab?
Jetzt, wo der Sommer richtig Fahrt aufnimmt und die Inzidenzen in den Keller gehen, werden immer wieder zwei Fragen mit gehörigem Streitpotenzial gestellt: 1. »Schon geimpft?« 2. »Schon Urlaub gebucht?« Ich kann beide Fragen mit Ja beantworten: In Berlin wurden viele Berufsgruppen Anfang Mai neu als Prioritätsgruppe 3 eingestuft. Neben Lehrerinnen und Erziehern gehörten auch Journalisten dazu. Über die Sinnhaftigkeit der Einordnung kann man sich streiten. Aber es gab nun mal die Einstufung durch den Berliner Senat. Also habe ich mich früh um einen Termin im Impfzentrum bemüht. Ich hatte Glück und gar kein schlechtes Gewissen dabei.
Bei der zweiten Frage ist es mit dem guten Gewissen schon schwieriger: Wir fliegen nämlich in den Urlaub. Meine Familie und ich. Nach Spanien. Obwohl ich weiß, dass Fliegen schlecht fürs Klima ist. Obwohl ich weiß, dass wir alle mit unserem Lifestyle so nicht weitermachen können. Und obwohl meine Frau und ich uns eigentlich vorgenommen hatten, Strecken in Europa grundsätzlich nicht mehr mit dem Flugzeug zurückzulegen.
Zu meiner Verteidigung kann ich Folgendes sagen: Mein Schwiegervater lebt in Spanien. Und weil er selbst nicht reisen kann, müssen wir zu ihm. Weil unsere Urlaubstage begrenzt sind, haben wir uns gegen eine tagelange Anreise per Zug und für das Flugzeug entschieden.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Geld eine Rolle gespielt hat. Vier reguläre Bahntickets von Berlin nach Südspanien, hin und zurück, kosten um die 2000 Euro. Man muss vier- bis siebenmal umsteigen, hat mitten in der Nacht acht Stunden Aufenthalt in Barcelona und ist mindestens 32 Stunden unterwegs. Bei unserer Flugverbindung müssen wir einmal umsteigen, sind sechs Stunden unterwegs und zahlen rund 1000 Euro. Da fällt es schwer, leichten Herzens Ja zu sagen zur Bahnfahrt. Wenn die Preisverteilung andersrum wäre, sofort. Wenn die Preise in etwa vergleichbar wären, vielleicht.
Wenn sich an den Ticketpreisen von Bahn und Flugzeug nicht schnell etwas ändert, werden viele Menschen noch sehr, sehr lange in klimakillende Billigflieger steigen.
Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, die Verkehrsströme zu lenken. Beim Flugverkehr funktioniert die Subventionierung jedenfalls ziemlich gut: Nach einem internationalen Abkommen von 1944 (!) ist der Luftverkehr von einer Kerosinsteuer befreit. Die Bahnunternehmen müssen dagegen für die im Mix deutlich weniger klimaschädliche Energiequelle Strom Steuern und Abgaben entrichten. Bei Auslandsflügen wird auch keine Mehrwertsteuer erhoben. Bei Zugfahrten ins Ausland fallen für den deutschen Streckenanteil sieben Prozent Mehrwertsteuer an.
Und dann sind da noch die Emissionszertifikate: Mit ihnen soll die Menge des klimaschädlichen CO2 erst begrenzt und dann reduziert werden. So wird ein Anreiz zur CO2-Sparsamkeit geschaffen, denn wer mehr ausstößt, als ihm an Kostenloszertifikaten zugeteilt wurde, muss tief in die Tasche greifen – theoretisch. Denn derzeit müssen die Fluggesellschaften nur für etwa 20 Prozent des von ihnen produzierten Kohlendioxids Emissionszertifikate erwerben. Die Bahnbetreiber dagegen zahlen für jede Tonne CO2, die bei der Erzeugung des benötigten Stroms anfällt.
»Um die Bahnen konkurrenzfähiger zu machen, könnte Deutschland einiges tun, zum Beispiel die Stromsteuer und die EEG-Umlage senken oder die Mehrwertsteuer bei Zugfahrten ins Ausland auf null setzen«, sagt Martin Roggermann von der Allianz pro Schiene – einem breiten Bündnis von Umweltverbänden, Hochschulen und Fahrgastverbänden. Mit solchen Maßnahmen ließe sich die Ungleichbehandlung von Bahn und Flugzeug zumindest ein bisschen abmildern. In fast allen anderen EU-Ländern müssen Bahnen gar keine oder eine deutlich niedrigere Stromsteuer als in Deutschland zahlen. Die meisten EU-Länder verzichten anders als Deutschland auf die Mehrwertsteuer bei grenzüberschreitenden Zugfahrten. »Aus Umweltsicht wäre aber eine echte Besserstellung der Bahnen noch sinnvoller, etwa durch die Aufhebung der Steuerbefreiung für Kerosin«, sagt Roggermann.
Das käme freilich einer Revolution gleich, die trotz drohender Klimakatastrophe in den kommenden Jahren nicht zu erwarten ist.
Bis sich an den großen, wichtigen Stellschrauben der Verkehrsströme etwas ändert, kann man im Kleinen schon mal selbst handeln: Wer den Weg als das Ziel ansieht, reist auch mit der Bahn ebenso fantastisch wie günstig. Und wenn man doch das Flugzeug nimmt, kann man wenigstens die Kosten für das anfallende CO2 übernehmen, wenn es die Fluglinie schon nicht tut. Atmosfair, Myclimate, Klima-Kollekte und andere Organisation berechnen einem die CO2-Menge, die der eigene Flug verursacht und wie hoch eine Spende sein sollte, die man dann einem Klimaschutzprojekt zugutekommen lässt. Okay, ist ein bisschen wie Ablasshandel zum Freundschaftspreis. Aber immerhin. Es schärft das Bewusstsein für die Klimaschädlichkeit des Fliegens und die Größe des eigenen CO2-Fußabdrucks. Allemal besser, als nichts zu tun.
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