Warkus' Welt: Gibt es die »innere Stimme« wirklich?
Haben Sie einen inneren Monolog? Ich meine damit kein Buch oder sonstigen Text mit dem aus Film, Fernsehen und Deutschunterricht bekannten Erzählmittel, bei dem die geistigen Vorgänge eines Menschen als fiktives Gespräch ausformuliert werden. Ich meine einen tatsächlichen inneren Monolog, eine Erzählstimme für das eigene Leben – eine Stimme in Ihrem Kopf, die permanent darüber redet, was Sie denken und was Ihnen widerfährt (»Da waren Sie wieder, meine drei Probleme«).
Wenn Sie so etwas haben, dann kann ich nur hoffen, dass meine Beschreibung eben halbwegs treffend war, denn ich habe so etwas nicht. Und ich muss zugeben, auch ich dachte immer, so etwas gäbe es gar nicht. Spätestens seit es in den letzten Jahren mehrere virale Wellen von Internet-Diskussion über das Thema gab – aktuell angeblich gerade wieder einmal –, zweifle ich an meiner früheren Überzeugung. Aber tief in mir drin bin ich mir immer noch nicht ganz sicher, ob die Menschen, die eine innere Erzählstimme haben, sich das nicht nur einbilden. Aber wie sähe der Unterschied aus zwischen einer echten Stimme im Kopf und einer eingebildeten Stimme im Kopf?
Wie soll man das prüfen? Das ist einer der Gründe, warum die Philosophie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrheitlich davon abgekommen ist, von der Seele und von Gedanken zu sprechen, als wären sie Berge oder Steine: Man kann Menschen nicht in den Kopf schauen. Und man kann ihnen eben auch nicht in den Kopf hören. Der einzige Weg, zu prüfen, ob Leute einen inneren Monolog haben, ist, sie danach zu fragen und zu hoffen, dass sie nicht lügen.
Stimmt das denn? Gibt es nicht mittlerweile raffiniertere Methoden? Die Kognitionswissenschaft nutzt verschiedene bildgebende Verfahren (fMRI und dergleichen), um zu beobachten, welche Gehirnareale zum Beispiel beim Wahrnehmen von bestimmten Gegenständen bzw. beim Sprechen und Denken an sie angeregt werden. Es ist inzwischen fast gehobenes Allgemeinwissen, dass es dabei häufig, jedoch nicht immer interessante Parallelen gibt – beim Denken an eine Katze passieren in meinem Gehirn möglicherweise ganz ähnliche Vorgänge wie beim Sehen einer Katze.
Das bringt uns aber nicht weiter, wenn wir gar nicht wissen wollen, ob ein Gehirn sich gerade mit etwas Realem außerhalb seiner selbst beschäftigt, sondern damit, ob die Art und Weise, wie es das tut, den Charakter von »echter« und nicht bloß eingebildeter innerer Rede hat. Vor allem haben wir keine Möglichkeit, unsere »Messverfahren« dafür zu kalibrieren, weil wir uns dafür eben dann doch wieder auf die Aussagen der Probanden verlassen müssen. Wir können niemandem ein winziges metaphorisches Mikrofon in den Kopf stecken, das dann dem kleinen Menschen zuhört.
Die Form der Gedanken
Wie so oft ist dieses Thema, obwohl es im Kern psychologisch ist, auf Grund der Art und Weise, wie es populär rezipiert wird, philosophisch nicht ganz uninterssant. Der Psychologieprofessor Russell T. Hurlburt von der University of Nevada hat 2011 ein Buch und eine Serie von Blogartikeln über die Forschungen seiner Arbeitsgruppe zu den Charakteristika inneren Erlebens geschrieben. Dabei hat er unter anderem Personen einen Zufallspieper mitgegeben und sie gebeten, bei jedem Auslösen des zufälligen Pieptons festzuhalten, welche Art innerer Erfahrungen sind zu diesem Zeitpunkt hatten.
Anhand dieser Studien geht Hurlburt davon aus, dass die Mehrheit der Menschen (etwa drei Viertel) keine innere Rede erlebt. Zahlreiche Menschen (dazu konnte ich eine Zahl finden) erleben jedoch häufig bis ständig das, was er »unsymbolized thinking« nennt, also nichtsymbolisiertes Denken: Gedanken, die nicht irgendwie in Form von Bildern, Wörtern oder sonstigen sinneswahrnehmungs-ähnlichen Gestalten daherkommen, sondern einfach nur als Gedanken.
Interessant ist dabei nicht nur, dass es das gibt (für mich war das kein Wunder, siehe oben), sondern auch, dass a) es nicht bei allen Menschen vorzukommen scheint und b) zahlreiche Menschen, sogar die, die nichtsymbolisiertes Denken häufig erleben, fest davon überzeugt sind, so etwas gäbe es gar nicht. Bilden wir uns den inneren Erzähler also vielleicht nicht bloß gegebenenfalls individuell ein, sondern sogar kollektiv?
Sprachphilosophen des Mittelalters sollen häufig überzeugt gewesen sein, der Mensch denke auf Latein – oder zumindest fanden sie die Hypothese irgendwie sinnvoll. Bis heute stützen große Teilbereiche der modernen Philosophie ihre Theoriegebäude mehr oder minder direkt auf die Vorstellung, Sprache und Denken stünden in einer irgendwie symbiotischen Beziehung. Und die menschliche Seele oder den menschlichen Geist denken wir uns gerne bis heute eben wie einen kleinen Menschen, der in unserem Kopf sitzt, oder ein Team solcher Menschen.
Dass Twitterer oder TikTok-Nutzer geradezu ausflippen angesichts der Vorstellung, dass es Menschen ohne inneren Monolog geben könnte – obwohl es sich dabei wohl um die Mehrheit handelt –, nimmt nicht wunder. Unsere Kultur ist in immensem Maße eine Kultur des Redens und der Sprache.
Das hat kontingente Gründe (dass die in unserer Weltgegend seit Jahrhunderten dominierenden Religionen weitgehend sprachliche Aktivitäten sind) und aber auch notwendige (ganz gleich, was Gedanken sind, ohne Sprache können wir uns nicht darüber austauschen). Offensichtlich hat es uns dazu gebracht, gerne auch das bloße Denken standardmäßig als sprachförmig zu betrachten. Und wer weiß, es könnte ja wirklich was dran sein. Die Antwort auf diese Frage kommt vielleicht, wie sonst so vieles Gute, demnächst aus Osnabrück.
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