Direkt zum Inhalt

Weltraumschrott: Bis einer stirbt

Immer wieder landen Trümmer von Satelliten und ausgedienten Raketen nicht im Meer, sondern stürzen auf Felder oder durchschlagen Hausdächer. Das Risiko für eine tödliche Kollision steigt. Das muss nicht sein, kommentiert Katharina Menne.
Diverser Weltraumschrott kreist um die Erde, wie diese Simulation verdeutlicht.
Seit 1957 der erste Satellit Sputnik startete, haben die menschlichen Aktivitäten im All rasant zugenommen. Aktuell umrunden bereits rund 10 000 Satelliten unseren Planeten. Und es werden stetig mehr.

Im Jahr 1969 traf ein Fragment einer sowjetischen Raumkapsel ein kleines japanisches Schiff in der Nähe der sibirischen Küste. Im Jahr 2003 durchschlug ein knapp ein Meter langes Metallteil des Spaceshuttles Columbia das Dach einer Zahnarztpraxis im US-Bundesstaat Texas. Im Mai 2020 beschädigten Trümmerteile einer chinesischen Langer-Marsch-5B-Rakete mehrere Gebäude in der Elfenbeinküste. Im März 2024 traf ein rund zwei Kilogramm schwerer Befestigungspfosten eines Batteriepakets der ISS ein Haus im US-Bundesstaat Florida. Im Mai 2024 fand ein kanadischer Landwirt ein zwei Meter großes und 40 Kilogramm schweres Metallteil auf seinem Acker, das vermutlich von einer SpaceX-Rakete stammt. Und das sind nur die bekanntesten Beispiele.

Noch gingen solche Begegnungen von Menschen mit Weltraumschrott immer glimpflich aus. Noch.

Doch je mehr Raketen künftig ins All fliegen und je stärker wir den erdnahen Orbit mit Satelliten überfrachten, desto mehr Überbleibsel fallen irgendwann zurück zur Erde. Seit 1957 der erste Satellit Sputnik startete, haben die menschlichen Aktivitäten im All rasant zugenommen. Aktuell umrunden bereits rund 10 000 Satelliten unseren Planeten, in den nächsten Jahren sollen weitere 30 000 hinzukommen. Anhand von Modellen schätzen Wissenschaftler, dass sich darüber hinaus insgesamt etwa eine Millionen Teile, die größer als ein Zentimeter und 330 Millionen Teilchen, die größer als ein Millimeter sind, in der Erdumlaufbahn befinden.

Und obwohl die Verantwortlichen in Regierungen und Privatwirtschaft das Problem bereits seit einigen Jahrzehnten diskutieren, gibt es noch immer keinen internationalen Vertrag, der die Menge an Weltraummüll einschränkt oder Standards für eine umsichtige Entsorgung von ausgedienten Satelliten vorgibt. Das ist fahrlässig und unvernünftig. Wir brauchen dringend eine überstaatliche Vereinbarung, die festlegt, wer dafür verantwortlich ist, und die Geldstrafen für Unternehmen und Regierungen vorsieht, die durch den leichtsinnigen Umgang mit ausrangierten Raketen und Satelliten Schaden anrichten.

Pro Jahr treten derzeit 100 bis 150 Tonnen Weltraummüll geplant oder auch ungeplant in die Erdatmosphäre ein. Die allermeisten Teile verglühen dabei – aber eben nicht alle und nicht immer vollständig. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es den ersten Zwischenfall gibt, bei dem jemand schwer verletzt oder sogar getötet wird. Ein Forschungsteam um Michael Byers von der University of British Columbia bezifferte die Wahrscheinlichkeit, dass Weltraumschrott im kommenden Jahrzehnt jemanden auf der Erde trifft, auf etwa zehn Prozent. Besonders brisant: Insgesamt sei das Risiko, von Raketen-Teilen getroffen zu werden, in den südlichen Staaten der Welt deutlich größer als in den großen Raumfahrtnationen selbst. Auf den Breitengraden von Jakarta, Dhaka, Mexiko-Stadt, Bogotá und Lagos sei ein Einschlag mindestens drei Mal so wahrscheinlich wie auf denen von New York, Peking und Moskau. Es ist deshalb längst überfällig, dass die Nationen – und die Milliardäre, die den Weltraum mehr und mehr zur Ware machen – den erdnahen Orbit säubern.

Solange das Richtige zu tun, freiwillig ist, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht getan.

Einen ersten Schritt, um den Druck auf die Raumfahrtnationen zu erhöhen, geht nun der eingangs erwähnte Hausbesitzer aus Florida. Alejandro Otero verlangt von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA mehr als 80 000 US-Dollar (rund 75 000 Euro) Schadenersatz. Es sei die erste derartige juristische Forderung im Zusammenhang mit Weltraumschrott, erklärte Mica Nguyen Worthy, eine Anwältin der Familie, gegenüber dem Magazin »Ars Technica«. Das Ziel ihres Mandanten sei, nicht nur einen Ausgleich zu bekommen für die emotionalen und psychischen Beeinträchtigungen sowie die Sachschäden, die entstanden sind, sondern auch, einen Präzedenzfall für künftige Opfer von Weltraumschrott zu schaffen. Der Rechtsfall ist beispiellos – bislang hat noch nie jemand einen solchen Anspruch gegen die NASA erhoben.

Das rund zehn Zentimeter lange, massive Metallteil, das den 19-jährigen Sohn von Otero nur knapp verfehlte, stammte von einer Palette, an der ein ausrangierter Batterieblock von der Internationalen Raumstation ISS befestigt war. Eigentlich sollte das Paket vollständig in der Atmosphäre verglühen. Weshalb der Befestigungsbolzen den Wiedereintritt überstand, untersucht die NASA derzeit. Normalerweise werden solche Manöver so geplant, dass Trümmer, die die Erdoberfläche erreichen, möglichst über unbewohntem Gebiet niedergehen. Doch diesmal schien es besonders große Ungewissheiten zu geben. Selbst einen halben Tag vor dem Wiedereintritt wies die Schätzung des US Space Command noch ein Zeitfenster von sechs Stunden auf – genug Zeit für das Objekt, um den Planeten viermal zu umrunden. Kurzzeitig hieß es sogar von Seiten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), es könnten Trümmerteile über Deutschland niedergehen.

Lücken in den aktuellen Regularien

Der entscheidende Punkt ist aber, dass die NASA für das Batteriepaket verantwortlich war. Das 1972 geschlossene Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände regelt allerdings nur Schäden, die von Weltraumagenturen an Gebäuden und Flugzeugen anderer Staaten verursacht wurden. Das liegt daran, dass das allgemeine Völkerrecht Ansprüche von Staatsangehörigen gegen den eigenen Staat grundsätzlich nicht vorsieht. Deswegen ist das Weltraumhaftungsübereinkommen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Und es enthält weitere Lücken. So steht in dem mehr als ein halbes Jahrhundert alten Vertrag etwa, dass stets der Staat, von dem aus ein Weltraumgegenstand gestartet wird, dafür haftet. Damals gab es aber noch keine privaten Unternehmen wie SpaceX, Blue Origin oder Virgin Galactic. Deren Gründer Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson investieren mittlerweile Milliarden in ihre Aktivitäten – haften aber laut der aktuell geltenden Rechtsprechung nicht dafür. Aufkommen würde im Schadensfall also der Steuerzahler.

Im Jahr 2020 veröffentlichte das Inter-Agency Space Debris Coordination Committee, dem derzeit 13 Raumfahrtbehörden angehören, darunter die ESA (Europa), die NASA (USA), Roskosmos (Russland) und die CNSA (China), Leitlinien zur Begrenzung des Weltraummülls. Darin fordert das Komitee, Satelliten innerhalb von 25 Jahren nach ihrem Start sicher zur Erde zurückzuholen. Batterien und Treibstofftanks sollen außerdem zum Missionsende entladen werden, da es sonst zu kleineren Explosionen kommen kann. Das ist ehrenhaft und ein Schritt in die richtige Richtung. Doch solange das Richtige zu tun, freiwillig ist, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht getan.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.