Kompaktlexikon der Biologie: Farbensehen
Farbensehen, die Fähigkeit von Tieren und Mensch, mittels eines Lichtsinnesorgans und verschiedener Typen von Fotorezeptoren Licht von unterschiedlicher spektraler Zusammensetzung auch bei gleicher Intensität als verschieden wahrzunehmen. Der Mensch kann psychophysisch etwa 200 Farbtöne unterscheiden und etwa 20 Sättigungsstufen („Verdünnung“ durch Beimischung von Graustufen); außerdem können rund 500 Helligkeitsstufen unterschieden werden: Da beim Farbensehen diese drei Qualitäten (Farbton, Sättigung, Helligkeit) multiplikativ genutzt werden, gibt es mehrere Millionen Unterscheidungsmöglichkeiten (Farbvalenzen).
Zum F. werden mindestens zwei verschiedene Typen von Lichtsinneszellen (Zapfen) benötigt, deren spektrale Empfindlichkeitsbereiche sich unterscheiden und überschneiden müssen. Denn wäre nur ein Rezeptortyp vorhanden, würde die Änderung einer eintreffenden Wellenlänge lediglich eine Änderung der Intensitätsempfindung bewirken (Prinzip der Univarianz). Das Farbensehen des Menschen ist trichromatisch, d.h. das Auge enthält drei Zapfentypen, die als S-Zapfen (für short = kurz), M-Zapfen (für middle = mittel) und L-Zapfen (für long – lang) bezeichnet werden; die Unterscheidungen beziehen sich auf die Wellenlängen bei denen die Absorptionsmaxima der Zapfen jeweils liegen: S-Zapfen bei 420 nm, M-Zapfen bei 535 nm und L-Zapfen bei 565 nm Wellenlänge. Sehfarbstoff der Wirbeltiere ist das Rhodopsin, das aus dem transmembranen Protein Opsin und dem Chromophor Retinal besteht. Durch Licht verschiedener spektraler Zusammensetzung werden die drei Zapfentypen jeweils unterschiedlich erregt, sodass sich aus der Fülle physikalisch verschiedener Lichtreize nur diejenigen unterscheiden lassen, die ein verschiedenes Erregungsmuster hervorrufen. Daraus ist zu schließen, dass es mehr Farbreize als Farbempfindungen gibt, denn physikalisch unterschiedlich zusammengesetzte Lichter können die drei Zapfentypen gleich stark erregen; z.B. lässt sich Licht von 570 nm (Gelb) nicht von einer Mischung aus Grün von 500 nm mit Rot von 650 nm unterscheiden (metamere Farben). Bereits im 19. Jh. wies H. von Helmholtz nach, dass drei verschiedene Lichtquellen genügen, um alle übrigen Farbreize durch Mischung zu erzeugen (trichromatische Theorie des Farbensehens). Er schloss aus dieser Verteilung der Metamerien auf drei Rezeptoren (Zapfentypen). Diese sind vor allem in der näheren Umgebung der Sehgrube (Fovea centralis) konzentriert, in der ausschließlich Zapfen vorhanden sind.
Die eigentliche Farbwahrnehmung erfolgt jedoch erst durch die neuronale Verarbeitung. Die Signale der verschiedenen Zapfentypen werden zunächst in antagonistisch organisierten rezeptiven Feldern von Ganglienzellen in der Netzhaut über den Sehnerv (Nervus opticus) zum Corpus geniculatum laterale geleitet. Wenn Licht unterschiedlicher Wellenlängen nun auf einen Ort der Netzhaut fällt, erfolgt im Sehsystem eine additive Farbmischung, d.h. der wahrgenommene Farbton geht nicht auf reines Licht dieser Farbe (Wellenlänge) zurück, sondern auf eine Mischung verschiedener Wellenlängen. Von E. Mach (1838-1916) und K.E. Hering wurden für die Entstehung der Farbvalenzen vier Urfarben angenommen (Rot, Grün, Blau, Gelb) für die Hering zwei (bzw. drei) antagonistische physiologische Prozesse forderte: Rot-Grün-Prozess, Gelb-Blau-Prozess (und Schwarz-Weiß-Prozess), mit denen alle Farbwahrnehmungen erklärt werden sollten (Gegenfarbentheorie des Farbensehens). Tatsächlich enthalten die Horizontalzellen der Netzhaut Gegenfarbenneuronen für Rot und Grün sowie für Gelb und Blau. Jedoch erst in der Sehrinde finden sich wirklich farbspezifische Doppelgegenfarbenneurone, sodass hier der eigentliche Prozess der Farbwahrnehmung angesiedelt werden kann. In der Zonentheorie von J.A. Kries (1853-1928) werden die beiden Theorien insofern vereinigt, als die trichromatische Theorie für das F. auf der Ebene der Fotorezeptoren, die Gegenfarbentheorie hingegen für die Farbwahrnehmung durch die weitere neuronale Verarbeitung gelten soll.
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