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Kompaktlexikon der Biologie: Schädel

Schädel, Cranium, das Skelett des Kopfes der Wirbeltiere (Vertebrata) und des Menschen. Die Bestandteile des Schädels werden nach Funktion, Herkunft und Lage unterschieden. a) Funktionell bildet der dorsal gelegene Hirnschädel (Neurocranium) eine das Gehirn umschließende Kapsel, an deren Außenseite in schützenden Einbuchtungen die Sinnesorgane Nase, Auge und Ohr liegen. Der ventral gelegene Gesichtsschädel (Viscerocranium, Splanchnocranium) besteht aus Oberkiefer (Maxilla) und Unterkiefer (Dentale bzw. Mandibel beim Menschen), die im Kiefergelenk miteinander verbunden sind. Die Kiefer bilden das Skelett des Kauapparates und dienen der Befestigung der Zähne. b) Von ihrer Herkunft her sind die Skelettelemente des S. entweder Knorpel oder Ersatzknochen oder Deckknochen (Knochen). Bei allen Knorpelfischen (Chondrichthyes) ist das gesamte Skelett zeitlebens knorpelig. Ihr S. wird als Chondrocranium (Knorpelschädel) bezeichnet, im Gegensatz zum Osteocranium (Knochenschädel) der erwachsenen anderen Wirbeltiere. Deren S. wird embryonal aber ebenfalls knorpelig angelegt und in dieser Phase Primordialcranium (Erstschädel) genannt, um die im Gegensatz zu den Knorpelfischen nur vorübergehende knorpelige Ausbildung zu verdeutlichen. (Die Bildung von Knochen wurde bei den Knorpelfischen wahrscheinlich sekundär wieder aufgegeben.) Chondrocranium wie knorpeliges Primordialcranium entstehen aus zwei Paar Knorpelspangen, den neben dem Vorderende der Chorda dorsalis liegenden Parachordalia und den noch weiter vorn liegenden Praechordalia oder Trabeculae sowie becherartig um Nase, Auge, Ohr herum angelegten Sinnes(organ)knorpeln. Diese Elemente wachsen aus und formen bei Knorpelfischen eine geschlossene Kapsel um das Gehirn. Bei Knochen bildenden Wirbeltieren wird keine vollständige Kapsel gebildet, sondern nur eine Art „Wanne“, die den Boden und die Seitenwände des Hirnschädels bildet. Schließlich verknöchern diese Elemente, es entstehen Ersatzknochen. Alle Ersatzknochen am S., einschließlich diejenigen der Kiefer, werden als Endocranium zusammengefasst, die Ersatzknochen des Hirnschädels allein als neurales Endocranium, um sie von denen des Kieferbereichs (viscerales Endocranium) klar zu trennen.

Von den Knochenfischen (Osteichthyes) an weisen die rezenten Wirbeltiere auch Deckknochen (Hautknochen) auf. Sie gehen auf den Hautknochenpanzer der ältesten bekannten Wirbeltiere (Ostracodermi) zurück und werden ohne knorpeligen Vorläufer direkt im Corium (Mesoderm) der Haut gebildet. Man fasst sie als Dermalskelett zusammen, im Schädelbereich als Dermatocranium (Hautknochenschädel). Am S. überziehen Deckknochen die gesamte Außenfläche und kleiden auch die Mundhöhle aus. Sie bilden das Schädeldach (Calvaria, Kalotte) über dem nach oben offenen neuralen Endocranium und das (primäre) Munddach unterhalb von dessen Boden. Am Kieferschädel sind ebenfalls Deck- und Ersatzknochen beteiligt. Sie treten an die Stelle der knorpeligen Elemente Palatoquadratum (Oberkiefer) und Mandibulare (Unterkiefer) bei den Knorpelfischen. Bei Säugern sind nur noch Deckknochen im Kieferbereich erhalten (Praemaxillare, Maxillare, Dentale), die Ersatzknochen wurden reduziert oder durchliefen einen Funktionswandel, z.B. zu den im Mittelohr (Paukenhöhle) gelegenen Gehörknöchelchen. Hinsichtlich der Lage von Schädelelementen bezieht man sich auf Schädelregionen, die durch die Sinnesorgane und den Hinterhauptsbereich abgegrenzt sind. Von vorn nach hinten wird der S. in vier Regionen unterteilt: Nasenregion (Nasal- oder Ethmoidalregion), Augenregion (Orbital- oder Sphenoidalregion), Ohrregion (Oticalregion), Hinterhauptsregion (Occipitalregion). Die Region, in der die Befestigung des Oberkiefers am Neurocranium erfolgt, oder der Verlauf einer Beugungslinie sind Merkmale, die bei der Klassifikation herangezogen werden. Der Hinterhauptsbereich ist erst im Laufe der Stammesgeschichte durch Anlagerung von Wirbelanlagen an den S. entstanden, wobei bei verschiedenen Gruppen eine unterschiedliche Zahl von Wirbelanlagen beteiligt ist. Die Rundmäuler, die keine „echten“ Wirbel besitzen, weisen auch keine Occipitalregion am S. auf.

Die wichtigsten Tendenzen in der Evolution des S. sind: 1) Vergrößerung des Hirnvolumens und Einbeziehung des Dermatocraniums in die Bildung des Hirnschädels; 2) nach Etablierung einer Vielzahl von Schädelknochen Reduktion oder Verschmelzung oder Funktionswandel einiger Elemente; 3) Bildung von inneren Nasenöffnungen (Choanen); 4) Entstehung eines sekundären Munddaches; 5) Bildung von Schläfenfenstern; 6) Entwicklung von Kraniokinetik, d.h. der Beweglichkeit von Schädelelementen; 7) Weiterentwicklung von Kiefer und Kiefergelenk. ( vgl. Abb. )

Schädel des Menschen: Das Gehirn liegt in einer knöchernen Kapsel, die gebildet wird von Stirnbein (Os frontale; unpaar), Scheitelbein (Os parietale; paarig), Hinterhauptsbein (Os occipitale; unpaar), Schläfenbein (Os temporale; paarig) und Keilbein (Os sphenoidale; unpaar). Die paarigen Deckknochen Nasenbein (Os nasale), Jochbein (Os zygomatikum) und Tränenbein (Os lacrimale) gehören zwar stammesgeschichtlich zum Schädeldach, sind aber nicht an der Hirnkapsel beteiligt. Das unpaare Siebbein (Os ethmoidale) liegt zwischen Keilbein und Stirnbein; es lässt die Fortsätze der Riechnerven aus der Riechhöhle ins Gehirn durchtreten. In der Riechhöhle selbst liegen die Turbinalia, drei Paar aufgerollter, knöcherner oder knorpeliger Lamellen, die von den Seiten der Riechhöhle in deren Lumen hineinragen und der Oberflächenvergrößerung dienen. Das Keilbein weist eine Vertiefung auf, den Türkensattel (Sella turcica), in den vom Zwischenhirnboden die Hypophyse hineinragt. Das Hinterhauptsbein umfasst das Hinterhauptsloch (Foramen magnum), durch welches Rückenmark und Gehirn miteinander in Verbindung treten. Beidseits des Hinterhauptsloches liegt je ein Gelenkhöcker (Condylus) für das Hinterhauptsgelenk mit dem obersten Halswirbel (Atlas). In anderen Wirbeltiergruppen ist nur ein unpaarer Hinterhauptshöcker (Condylus occipitalis) ausgebildet, z.B. bei den meisten Reptilien.

Der Oberkiefer (Maxilla) ist beim Menschen ein einheitlicher Knochen, der aus den paarigen Deckknochen Praemaxillare (Intermaxillare) und Maxillare verschmolzen ist. Der Unterkiefer besteht nur aus dem paarigen Deckknochen Dentale. Hinsichtlich der Schläfenfenster ist der S. des Menschen, wie der aller Säuger, abgeleitet synapsid. Das bei Säugervorfahren ehemals vorhandene untere Schläfenfenster ist sekundär wieder verschlossen. Der Jochbogen wird von einem Fortsatz des Jochbeins sowie einem Fortsatz des Schläfenbeins gebildet. Mit einem zweiten Fortsatz schließt das Jochbein an das Stirnbein an und bildet mit diesem die Begrenzung der Augenhöhle. Der im Tränenbein mündende Tränen-Nasen-Gang ist aus der hinteren äußeren Nasenöffnung der Fische (Nase) hervorgegangen. Das Munddach wird gebildet von der Gaumenplatte des Oberkiefers, an deren Hinterrand sich das paarige Gaumenbein (Os palatinum) anschließt, worauf noch als schmales unpaares Element das Pflugscharbein (Vomer) folgt. Diese Elemente gehören von ihrer Herkunft her zum Dermatocranium, obwohl sie tief in der Mundhöhle liegen. Die Schädelbasis bildet als unterer Teil des S. (ohne Unterkiefer) die „Auflagefläche“ für das Gehirn in Form von vorderer, mittlerer und hinterer Schädelgrube. An der Schädelbasis sind alle Knochen des S. bzw. deren ventrale Abschnitte beteiligt. Auch die Knochen des Munddaches werden dazu gezählt. Ein Schädelbasisbruch ist deshalb besonders gefährlich, weil meist auch Blutgefäße, Nerven, die durch die Schädelbasis durchtreten (Hirnnerven), und Hirnsubstanz geschädigt werden.

Größe und Form des Neurocraniums werden vom Wachstum des Gehirns, die Größe des Viscerocraniums wird von der Funktion des Kauapparates stark beeinflusst. Weitere, die Schädelform beeinflussende Faktoren sind das Verspannungssystem der Dura mater (Hirnhäute) und die verschiedenen Formen der Schädelnähte. Bei letzteren unterscheidet man im Bereich der Deckknochen drei Arten von Nähten, die Sutura plana mit glatten Rändern, die Sutura serrata (Zackennaht, z.B. die Kranznaht) mit stark gezackten Rändern und die Sutura squamosa (Schuppennaht) mit grob gezackten Rändern. Sie enthalten, zumindest solange das Schädelwachstum noch nicht abgeschlossen ist, Bindegewebe und sind daher als Sonderform der Syndesmose, einer Knochenverbindung durch kollagenes oder elastisches Bindegewebe, zu verstehen.



Schädel:1 Entwicklung des Schädels der Wirbeltiere. a ursprünglicher Fleischflosser Osteolepis (Mittel- und Oberdevon), b Anthracosaurier Seymouria (Unterperm von Nordamerika), c synapsides Reptil Cynognathus (mittlere Trias von Südafrika). 2 Schädel des Menschen. a von vorn, b von der Seite, c Schädelbasis (Innenansicht). Ge Gehörgang, gH großes Hinterhauptsloch, hG hintere Schädelgrube, Hi Hinterhauptsschuppe des Hinterhauptsbeins, Hn Hinterhauptsbein, Jb Jochbogen, Jf Jochfortsatz, Ke Keilbein, KH Keil- und Hinterhauptsbeinanteil, Kr Kranznaht, Ln Lambdanaht, mG mittlere Schädelgrube, Na Nasenbein, Nö vordere knöcherne Nasenöffnung, Ob Oberkieferknochen, Sc Scheitelbein, Si Siebbein, Sl Schläfenbein, Sn Schuppennaht, St Stirnbein, Tr Tränenbein, Ts Tränensackgrube, Tü Türkensattel, Un Unterkieferknochen, vS vordere Schädelgrube, Wa Wangenbein, Wz Warzenfortsatz

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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