Lexikon der Biologie: adaptive Radiation
adaptive Radiation w[von *adapt -], bezeichnet die vielfältige Abwandlung eines Bauplans (Grundmuster) infolge intensiver, in relativ kurzen Zeiträumen erfolgter Artbildungen. Adaptive Radiationen zeichnen sich dadurch aus, daß trotz ökologischer und morphologischer Divergenz wesentliche Grundmuster-Merkmale einer Stammart erhalten bleiben. Das Phänomen läßt sich für umfassende, hochrangige Gruppen (wie Vögel, Säuger) genauso feststellen wie für kleine Taxa auf Gattungsniveau (Darwinfinken auf den Galapagosinseln, Aeonium-Arten auf den Kanaren). Voraussetzung für adaptive Radiationen sind sowohl organismische wie ökologische Lizenzen, die unter grundsätzlich verschiedenen Konstellationen Artbildungsprozesse ermöglichen, wobei jeweils das Fehlen sehr ähnlicher Konkurrenten entscheidend mitwirkt. – Ein erster Typ der adaptiven Radiation läßt sich auf zufällige Kolonisation (Kolonisierung) zurückführen, wenn z. B. neu entstandene Inseln von verdrifteten Organismen besiedelt werden (Inselbesiedlung, Inselbiogeographie). Berühmtes Beispiel sind die 13 Darwinfinken des Galapagos-Archipels (eine weitere Art siedelt auf der nordöstlich gelegenen Cocosinsel), die auf eine einzige Kolonisierung der südamerikanischen Stammart zurückgehen. Im Verlauf fortgesetzter Artbildungen wurden neue ökologische Nischen gebildet, was auf dem südamerikanischen Festland (Südamerika) wegen ähnlich eingenischter Konkurrenten nicht möglich war. Auch die zahlreichen Beuteltiere in Australien (australische Region) lassen sich als adaptive Auffächerung in einem Raum verstehen, der durch das primäre Fehlen entsprechender placentaler Säugetiere (Eutheria) relativ konkurrenzfrei war. Daß Beuteltiere unter anderem mit den Känguruhs, Kletterbeutlern und Raubbeutlern höchst unterschiedliche Lebensformen hervorbrachten, ist aber auch auf die Entwicklung neuer Merkmalskomplexe zurückzuführen, die den genannten Gruppen zum evolutiven Durchbruch verhalfen. – Beuteltiere sind damit auch ein Beispiel für einen weiteren Typ der adaptiven Radiation, der mit der Erschließung ökologischer Zonen (Adaptationszone) zusammenhängt. In diesem Fall schaffen neue Merkmalskomplexe ein evolutives Plateau, das es einer Stammart ermöglicht, qualitativ neue ökologische Dimensionen in die ökologische Nische einzubeziehen. Diese Merkmale (Merkmal) erweisen sich (im nachhinein) als Schlüsselmerkmale, um weitere, ähnliche Nischen zu bilden, die wegen grundsätzlicher Übereinstimmungen eine "Großnische", ökologische Zone oder Adaptationszone darstellen. Die zur Erschließung neuer Zonen notwendigen Merkmalskomplexe kennzeichnen zugleich einen neuen Bauplan, weshalb adaptive Radiation engstens mit der Typogenese (additive Typogenese) verbunden ist. Bekannte Beispiele für adaptive Radiationen durch Zonenbildung sind die Landwirbeltiere (Tetrapoden, Vierfüßer) und Gefäßpflanzen (Kormophyten), die beide das Festland erschlossen haben und sich in Taxa mit verschiedensten Lebensformtypen (Lebensformtypus) aufspalteten, sowie die ausgestorbenen Flugsaurier, die als erste Wirbeltiere den Luftraum eroberten. Als Anpassungen an eine Großnische unterliegen Schlüsselmerkmale der stabilisierenden Selektion (z. B. vier Extremitäten bei Tetrapoden). Sie können aber aufgegeben werden, wenn es zur Erschließung einer neuen ökologischen Zone kommt, die eine Reduktion (rudimentäre Organe, regressive Evolution) vorteilhaft macht (z. B. Reduktion der hinteren Extremitäten bei Walen, in Anpassung an das sekundäre Leben im Wasser). – Ein dritter Typ der adaptiven Radiation läßt sich in Verbindung mit dem Aussterben von Konkurrenten beobachten. So unterlagen die Ammoniten (Ammonoidea) im Laufe ihrer Existenzzeit mehreren Aussterbephasen, in deren Folge die wenigen überlebenden Taxa sich adaptiv auffächerten und damit eine neue "Blüte" erreichten (Anastrophe). Darwin (C.R.); Adaptive Radiation .
K.Re.
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