Lexikon der Biologie: Herpesviren
Herpesviren, Herpesviridae, Familie von human- und tierpathogenen DNA-Viren, die vor allem bei warm- und kaltblütigen Wirbeltieren vorkommen. Nach der Erstinfektion erzeugen Herpesviren latente und rekurrierende Infektionen (Latenz). Bedeutende Krankheitserreger beim Menschen sind die Herpes-simplex-Viren Typ 1 und 2, das Varizellen-Zoster-Virus, Cytomegalievirus und das Epstein-Barr-Virus (Mensch). Erst in den letzten Jahren wurden HHV-6, HHV-7 und HHV-8 entdeckt. Herpesviren werden in die 3 Unterfamilien Alphaherpesvirinae, Betaherpesvirinae und Gammaherpesvirinae unterteilt ( vgl. Tab. ). Etliche Gammaherpesviren sind an der Entstehung maligner Tumoren beteiligt: Epstein-Barr-Virus und HHV-8 beim Menschen; das Marek-disease-Virus verursacht Lymphome bei Hühnern und das Lucké-Virus Adenokarzinome beim Frosch. Die Primatenviren Herpesvirus saimiri und ateles führen bei anderen Affenarten zu malignen Lymphomen. Der natürliche Wirtsbereich der einzelnen Herpesviren ist sehr eng. Unter experimentellen Bedingungen können Alphaherpesviren eine Vielzahl von Wirtstieren oder Zellen infizieren, während der experimentelle Wirtsbereich von Beta- und Gammaherpesviren eingeschränkt ist. Herpesviren vermehren sich in Epithelzellen oder Lymphocyten; latente Infektionen werden in Neuronen, Monocyten oder Lymphocyten etabliert. Die sphärischen Virionen (Durchmesser 120–200 nm) sind komplex aufgebaut ( vgl. Abb. und Viren). Der aus Genom-DNA und Protein bestehende Core ist von einem ikosaederförmigen Capsid (Durchmesser 100–110 nm, 162 Capsomere) umgeben. Zwischen Capsid und äußerer Lipoproteinhülle (envelope) befindet sich das Tegument, das aus verschiedenen Proteinen besteht und wichtige Regulatorproteine für die frühe Phase der Virusreplikation enthält. Als Genom dient eine lineare doppelsträngige DNA von 125 kb bis mehr als 240 kb Länge, die zwischen 70 und über 200 Genen enthält. Charakteristisch ist das Vorhandensein von repetitiven Sequenzen, die als direkte Wiederholungen und/oder invertierte Wiederholungen (inverted repeats) an den Enden und im Innern des Genoms angeordnet sein können. – Beim lytischen Infektionszyklus erfolgt nach Adsorption, Penetration und uncoating der Transport von Genom-DNA und Tegumentproteinen in den Zellkern, wo die lineare DNA zur Ringform geschlossen wird. Die virale Genexpression verläuft in Stufen. Zunächst wird die Expression der immediate early genes durch Tegumentproteine aktiviert, danach aktivieren immediate-early-Proteine die Expression der delayed-early-Gene, bevor es zur Expression der späten Gene kommt. Die DNA-Replikation wird von viruseigenen Proteinen durchgeführt; sie verläuft über einen rolling circle-Mechanismus (rolling circle-Prinzip) und führt zur Bildung von DNA-Concatemeren, die bei der Verpackung zu linearen Genomen mit Einheitslänge gespalten werden. Die Reifung der Viruspartikel erfolgt an der inneren Kernmembran. Nur ungefähr die Hälfte der im Herpesvirus-Genom enthaltenen Gene werden für die Virusreplikation in vitro benötigt, die anderen Gene üben Funktionen im viralen Lebenszyklus in vivo aus. In latent infizierten Zellen liegt die episomale Virus-DNA vor; es werden keine Viruspartikel gebildet. Für Etablierung und Aufrechterhaltung des latenten Zustands scheinen keine spezifischen Virusproteine, sondern vielmehr das Ausbleiben der frühen Genexpression wichtig zu sein. Durch äußere Stimuli kommt es zur Reaktivierung und Wiedereintritt der Virus-DNA in den lytischen Replikationszyklus. Virusinfektion, Viruskrankheiten.
E.S.
Herpesviren
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Herpesviren: a Entstehung durch Knospung an der inneren Kernmembran, b komplettes Virus
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