Lexikon der Biologie: Nicotin
Nicotins [von *nicot- ], Nikotin, 3-(N-Methyl-α-pyrrolidyl)-pyridin, ein hauptsächlich in der Tabak-Pflanze (Tabak, Nicotiana tabacum), aber auch bei Schachtelhalmen, Bärlappen und anderen Pflanzen vorkommendes hochgiftiges Pyridin-Alkaloid, der Hauptvertreter der Nicotianaalkaloide (Abb.). Nicotin, dessen Biosynthese in den Wurzeln abläuft, wird in allen Teilen der Pflanze gefunden. Der Nicotingehalt der Blätter schwankt je nach Tabaksorte zwischen 0,05 und 10%. Nicotin kann durch Inhalation (Rauchen), oral oder über die Haut rasch im Körper aufgenommen werden und greift sowohl sympathische als auch parasympathische Ganglien an, so daß seine Wirkung dem Muscarin, aber auch dem Adrenalin ähnlich sein kann. Nicotin bindet im mesolimbischen System des Zentralnervensystem (ZNS) an die Beta-2-Komponente des nicotinischen Acetylcholinrezeptor-Kanals, hat dort etwa die gleiche Wirkung wie der NeurotransmitterAcetylcholin und stört auf diese Weise ZNS-Funktionen. Über diese Beeinflussung kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Dopamin, einem Botenstoff, der angenehme Empfindungen auslöst und damit indirekt das Verlangen nach Wiederholung hervorruft. Während geringe Mengen Nicotin auf das Nervensystem anregend wirken (Erhöhung der Herzfrequenz, Steigerung der Magensaftsekretion und Darmtätigkeit, Verengung der Blutgefäße und Unterdrückung des Hungergefühls), führen hohe Dosen zu Kreislaufkollaps, Erbrechen, Durchfall und Krämpfen und bei Überschreiten der letalen Dosis (beim Menschen: orale Aufnahme von 1 mg/kg Körpergewicht, in 3–5 Zigaretten enthalten) zum Tod durch Atemlähmung (Nicotinvergiftung). 1 Zigarette (ca. 1 g Tabak) enthält etwa 5–10 mg salzartig gebundenes Nicotin (1 Zigarre, 6 g Tabak, etwa 90 mg Nicotin), das beim Rauchen allmählich als Base freigesetzt wird. Beim Inhalieren können aus einer Zigarette 3–8 mg Nicotin resorbiert werden, so daß bereits 15–20 Zigaretten einer tödlichen Dosis von Nicotin entsprechen. Eine akute Vergiftung wird nur durch einen raschen oxidativen Abbau (Biotransformation) durch den Organismus (Halbwertszeit 2 Stunden) verhindert, dessen Rate bei chronischer Nicotinzufuhr noch gesteigert ist. Der Abbau des Nicotins erfolgt größtenteils durch ein Leberenzym namens CYP2A6, das eine hohe Variabilität aufweist. Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, daß bei Menschen mit nicht funktionstüchtigem CYP2A6 die Wahrscheinlichkeit, abhängiger Raucher zu werden, geringer ist. Vermutlich führt die Störung des Nicotinstoffwechsels dazu, daß diese Menschen die unerwünschten Wirkungen des Nicotins verstärkt merken und deshalb nicht oder nur deutlich weniger rauchen – ein erster Hinweis auf einen genetischen Risikofaktor in Bezug auf das Rauchverhalten. Folgen von chronischem Nicotinmißbrauch sind besonders Herzinfarkt, Arteriosklerose, Gastritis, Magengeschwür, Gefäßspasmen und Gangrän ("Raucherbein"); jedoch sind nicht alle sog. Raucherschäden auf die Nicotinwirkung allein zurückzuführen. In Form von Nicotinpflastern oder Nicotinkaugummis wird Nicotin zur Raucherentwöhnung eingesetzt. – Nicotin hat außerdem Bedeutung als Ausgangsverbindung für die technische Darstellung von Nicotinsäure und Nicotinamid und als eines der ältesten bekannten Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide). Es wurde früher in Form eines Pflanzenextrakts aus Nicotiana tabacum als Insektizid (vor allem für die Bekämpfung von Blattläusen) verwendet. Die Wirkung beruht auf der Bindung des Nicotins an den Acetylcholinrezeptor im zentralen Nervensystem (ZNS) der Insekten und auf der damit verbundenen Störung von ZNS-Funktionen. Tabakpflanzen stellen bei Bedrohung durch Freßfeinde sogar ihren Stoffwechsel aktiv um und produzieren mehr des Abwehrgifts Nicotin (pflanzliche Abwehr). Heute haben die geringe chemische Stabilität, die hohe Wasserlöslichkeit und hohe Warmblütertoxizität zum Verzicht auf den Einsatz dieses Insektizids geführt. – Inzwischen werden Nicotin und verwandte Substanzen aufgrund der Wirkungen auf das Nervensystem als Ausgangsstoffe für mögliche Therapeutika gegen Alzheimersche Krankheit, Parkinsonsche Krankheit, gegen einige Darmerkrankungen oder auch das hyperkinetische Syndrom (Hyperaktivität) bei Kindern untersucht. Adiuretin, Anabasin, Pictet (A.), Schwangerschaft.
E.R./S.Kl.
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