Lexikon der Geographie: Organisationstheorie
Organisationstheorie, die klassische Organisationstheorie ist mit den Namen F. W. Taylor (1856-1915), H. Fayol (1841-1925), E. Mayo (1880-1949), L. Gulick (1892-1992) und L. Urwick (1891-1983) verbunden. Diese behandelten Themen, die heute vorwiegend unter den Begriffen "wissenschaftliche Betriebsführung" ("scientific management") oder "business administration" diskutiert werden. F. W. Taylor wollte die Betriebsführung verwissenschaftlichen und schuf Instrumente und Methoden, um konkrete Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. H. Fayol suchte nach universell gültigen Prinzipien, die für alle Managementaufgaben anwendbar sind und hielt die fünf Funktionen planen, organisieren, anordnen, koordinieren und kontrollieren für zentrale Komponenten des Managements. L. Urwick war an den Strukturen (Organisationsplänen, Funktionen, Stellenbeschreibungen) und Prozessen in Organisationen interessiert. Taylor und Fayol waren weniger an der Realität von Organisationen, sondern an einer "idealen Betriebsführung" interessiert. Deshalb konzentrierten sie sich in ihrer mechanistischen Sichtweise eher auf die nichtmenschlichen Elemente einer Organisation (Arbeitsabläufe, Zeitpläne, Fließband, Techniken der Betriebsführung) als auf die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Organisation.
Als Reaktion und Antithese zum "scientific management" wurde von Elton Mayo der humanistische Ansatz der Organisationstheorie entwickelt, der sich gegen das Konstrukt des Homo oeconomicus wandte und den Widerspruch zwischen dem Modell einer rationalen Organisation und der organisatorischen Wirklichkeit aufzeigte. In dieser zweiten Phase richtete sich das Interesse der Organisationstheorie auf das Verhalten, die Motive und Einstellungen der Akteure. Bewertungskriterium war nun weniger die Effizienz einer Organisation, sondern die Zufriedenheit und Motivation ihrer Mitglieder. Während es dem klassischen Ansatz eher darauf ankam, Regeln für ein optimales Funktionieren von Organisationen aufzustellen, ging es dem humanistischen Ansatz eher um die Beschreibung der Wirklichkeit in Organisationen. Beide Ansätze haben jedoch wichtige Prozesse wie Zielsetzung, Entscheidungshandeln, Beziehungen zur Umwelt, die Bedeutung von Ungewissheit und Redundanz, den Wandel durch Anpassung und die Selbsterhaltung von Organisationen vernachlässigt (Mayntz & Ziegler 1969).
Eine moderne, für die Humangeographie relevante Organisationstheorie ist erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden, als Konzepte der Systemtheorie, der Informationstheorie und Kybernetik mit funktionalen Ansätzen der früheren Organisationsanalyse verschmolzen wurden. Nun stand wieder die Organisation als Ganzes und nicht das Verhalten einzelner Akteure im Zentrum der Betrachtung. Das Interesse richtete sich nun nicht mehr so sehr auf formale Autoritätsstrukturen, sondern auf die internen und externen Kommunikationsstrukturen (Systembeziehungen) bzw. die Interaktion zwischen Organisation und Umwelt, sodass erstmals die räumliche Dimension Gegenstand der Organisationstheorie wurde. Studien über das Kontaktverhalten von Managern (Thorngren 1970, Törnqvist 1970, Goddard 1971) und über zentral-periphere Disparitäten der Ausbildungs- und Qualifikationsstruktur von Arbeitsplätzen (Meusburger 1980) gehörten zu den ersten, die innerhalb der Humangeographie organisationstheoretische Ansätze verwendeten.
In der Humangeographie wird die Organisationstheorie vor allem bei Fragestellungen angewendet, die sich mit der räumlichen Konzentration von Macht (Entscheidungs- und Weisungsbefugnissen) und Wissen (Kompetenzen, fachlichen Qualifikationen), der Steuerung und Kontrolle von sozialen Systemen, den Standorten von Arbeitsplätzen für hochrangige Entscheidungsträger, den Auswirkungen der Telekommunikation auf die Verteilung von Arbeitsplätzen, der Abgrenzung von funktionalen Regionen, der räumlichen Dimension der funktionalen Arbeitsteilung und den Disparitäten zwischen Zentrum und Peripherie befassen.
Ausgangspunkt der Organisationstheorie ist die Erkenntnis, dass in einer hoch entwickelten Gesellschaft die meisten Problemstellungen so komplex sind, dass sie die informationsverarbeitenden Kapazitäten eines einzelnen Menschen übersteigen und deshalb nur arbeitsteilig von einer Organisation bewältigt werden können.
Die Fragen, wie viele Hierarchieebenen eine Organisation haben soll, wie die formellen Kommunikationsstrukturen gestaltet werden und wo die wichtigsten Qualifikationen, Fachkompetenzen und Entscheidungsbefugnisse angesiedelt sein sollen, hängen in hohem Maße von den Aufgaben der Organisation und der Ungewissheit (Dynamik) der Umwelt ab. Die unterschiedliche Komplexität der zu erfüllenden Aufgaben und das unterschiedliche Maß an Ungewissheit, mit dem eine Organisation konfrontiert ist, sind die entscheidenden Kriterien für die Herausbildung unterschiedlicher Organisationsstrukturen. Die System-Umwelt-Beziehungen und die Bewältigung von Ungewissheit stellen also das zentrale Paradigma der neueren Organisationstheorie dar.
Ungewissheit entsteht durch unvollkommenes, d.h. nicht ausreichendes Wissen und durch eine dynamische, nicht vorhersehbare oder berechenbare Umwelt. Da der Erwerb von Wissen nie abgeschlossen ist, kann auch Ungewissheit nie zur Gänze beseitigt werden, sodass eine Organisation in einer dynamischen Umwelt ständig zu Lernprozessen gezwungen ist. Da das für hochrangige Entscheidungsfunktionen benötigte Wissen selten und teuer ist, muss entschieden werden, bei welchen Positionen oder Organisationselementen und an welchen Standorten hohe und seltene Qualifikationen, Spezialkenntnisse und die ganze Organisation betreffende Weisungsbefugnisse angesiedelt werden sollen. Dort wo Entscheidungen gefällt werden, die langfristig wirksam sind und sich auf die gesamte Organisation auswirken, erhält ein hochwertiges Wissen oder ein Wissensvorsprung gleichsam die Funktion der Redundanz. Redundanz spielt in allen biologischen, sozialen und technischen Systemen eine entscheidende Rolle für das Überleben des Systems.
Die wichtigsten Fragen lauten: Führt bei einer bestimmten Aufgabenstellung eine zentrale oder eine dezentrale Entscheidungsfindung zu besseren Erfolgen? Wie viele Hierarchiestufen und welche Kontrollspanne sollte es geben? Welche internen und externen Einflüsse veranlassen eine Organisation, ihre Qualifikationsanforderungen, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen zu verändern? Wie wirken sich eine hohe oder geringe Ungewissheit oder wechselnde System-Umwelt-Beziehungen auf die Standortverteilung der wichtigen Entscheidungsträger und der Routinefunktionen aus? Welche Systemteile sind für externe Orientierungskontakte zuständig, welche haben hohe oder niedrige Anforderungen an das Kontaktpotenzial ihres Standortes? Wie verändert der Lebenszyklus eines Produkts (Produkt-Zyklus-Theorie) die Systemarchitektur in der räumlichen Dimension?
Wenn man sich auf die einfachsten Einflussvariablen, die auf eine Organisation einwirken, beschränkt, nämlich auf die Aufgabenstellung (einfach oder komplex) und die Umwelt einer Organisation (stabil oder dynamisch), kann man nach H. Mintzberg (1979) mehrere Typen von Organisationen unterscheiden ( Abb. ). Eine stabile Umwelt führt zu bürokratischen und eine dynamische Umwelt zu organischen (hoher Anteil nichtstandardisierbarer Arbeistbeziehungen; wenig Regeln) Strukturen. Einfache Aufgaben führen zu einer Zentralisierung der Entscheidungen, komplexe zu einer Dezentralisierung.
Neben der Aufgabenstellung und der Ungewissheit der Umwelt haben auch das Alter, die Größe, die Komplexität und Autonomie einer Organisation einen Einfluss auf deren Struktur. Mit wachsender Autonomie wird ein System in seinen Entscheidungen unabhängiger von seiner Umwelt und damit auch flexibler bei der Standortwahl für die Arbeitsplätze seiner Entscheidungsträger. Nicht zuletzt hängt die Struktur einer Organisation auch von der Verfügbarkeit von qualifizierten Erwerbstätigen ab.
Die Frage, welche Standorte für die verschiedenen Funktionen einer Organisation in Frage kommen, hängt in hohem Maße von den Anforderungen der einzelnen Tätigkeiten (Funktionen, Positionen) an das Kontaktpotenzial des Standortes, von der Bedeutung der nach außen gerichteten Orientierungs- und Beeinflussungskontakte sowie vom Symbolgehalt einer Tätigkeit ab.
Während für Routinefunktionen mit geringen Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Erwerbstätigen sehr viele Standorte in Frage kommen, sodass letztlich Lohn-, Miet- und Transportkosten die entscheidende Rolle spielen, kann der Bedarf der obersten Hierarchieebenen einer großen Organisation an hochwertigen Face-to-face-Kontakten (Face-to-face-Kommunikation) in der Regel nur an wenigen Zentren erfüllt werden.
Im Gegensatz zu Routinetätigkeiten, welche vorwiegend durch Pläne, Regeln und harte (quantifizierbare) Informationen gesteuert werden, benötigen hochrangige Entscheidungsträger auch ein hohes Maß an "weichen" Informationen (frühe Anzeichen von Veränderungen, Gerüchte, geheimzuhaltendes Insider-Wissen, absehbare Änderung von Machtkonstellationen, mögliche Absichten der Konkurrenten etc.), die aus keiner Datenbank und aus keinem Management-Informationssystem abrufbar sind. Diese Informationen sind nur innerhalb von hochwertigen, von hohem gegenseitigen Vertrauen geprägten Netzwerken und durch spontane Kontakte hoch qualifizierter Entscheidungsträger zu erhalten. Nur dort, wo auf kleinem Raum die höchsten Entscheidungsträger verschiedener Bereiche lokalisiert sind, besteht für Führungskräfte die Möglichkeit, im Rahmen von Orientierungskontakten rechtzeitig die für den Erfolg entscheidenden Informationen zu bekommen und auf andere Entscheidungsträger Einfluss auszuüben. Nur in Zentren steht die notwendige Vielfalt an Kommunikationskanälen zur Verfügung.
In der realen Welt kombinieren die meisten großen Organisationen mehrere Arten der Systemsteuerung, in der Produktion dominiert oft eine zentrale und in der Forschung eine dezentrale Systemsteuerung.
PM
Lit: [1] GODDARD, J. B. (1971): Office Communication and Office Location: A Review of Current Research. In: Regional Studies 5, 263-280. [2] MAYNTZ, R., ZIEGLER, R. (1969): Soziologie der Organisation. In: KÖNIG, R. (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. – Stuttgart. [3] MEUSBURGER, P. (1980): Beiträge zur Geographie des Bildungs- und Qualifikationswesens. Regionale und soziale Unterschiede des Ausbildungsniveaus der österreichischen Bevölkerung. – Innsbruck.[4] THORNGREN, B. (1970): How do contact systems affect regional development? In: Environment and Planning 2, 409-427. [5] TÖRNQVIST, G. (1970): Contact Systems and regional development. Lund Studies in Geography, Ser. B., vol. 35.
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