Lexikon der Geographie: Schulgeographie
Schulgeographie, Teilbereich der Geographie, der sich dem Geographie- bzw. Erdkundeunterricht widmet. Die Schulgeographie hat eine lange Tradition; die Anfänge gehen bis in das 17.Jh. zurück, doch erst im letzten Drittel des 19.Jh. wird die Geographie selbstständiges und obligatorisches Unterrichtsfach. Seither haben sich die Ziele, die Inhalte und die Methoden mehrfach gewandelt.
Gegenstand der Schulgeographie ist die Erde als Lebens- und Gestaltungsraum des Menschen. Von daher ergibt sich ein enger Bezug zur wissenschaftlichen Disziplin Geographie. Dennoch sind Fachwissenschaft und Schulfach nicht deckungsgleich. Zum einen repräsentiert die Schulgeographie auch andere raumbezogene Wissenschaften, die nicht in der Schule vertreten sind, z.B. die Geologie, die Meteorologie, die Völkerkunde oder die Wirtschaftswissenschaften; sie ist ein raumwissenschaftliches Zentrierungsfach. Zum anderen steht das Fach in der Schule in einem pädagogischen Bezug; es geht um Unterricht für Schüler verschiedener Altersstufen, der anschaulich, lebensnah und praxisbezogen gestaltet werden muss. Geographieunterricht braucht dazu einen anderen Aufbau als die entsprechende Wissenschaftsdisziplin und er muss mit Blick auf die Schüler Prinzipien der Didaktik der Geographie berücksichtigen.
Nahezu ein Jahrhundert lang war Schulgeographie von ihrem Beginn an gleichzusetzen mit Länderkunde. Von ihren Anfängen her erhielt sie eine Ausrichtung auf Länder und Völker, auf längste Flüsse und höchste Berge, auf Ausfuhr- und Einfuhrprodukte u.a. Der Geographieunterricht soll v.a. ein Faktenwissen über die Erde vermitteln, will "erdkundig" machen, wie auch die z.T. heute noch übliche Bezeichnung "Erdkunde" ausdrückt. Der Unterricht folgt dabei dem Prinzip "Vom Nahen zum Fernen". Mit exemplarischem Vorgehen wird später versucht, dem enzyklopädischen Charakter zu begegnen und die Stofffülle zu begrenzen.
Während das für den Geographieunterricht in der DDR weithin bis zur Vereinigung Deutschlands gilt, setzt in der Bundesrepublik Deutschland etwa ab 1970 ein recht radikaler Umbruch ein ( Abb. 1 ). Die Lehrpläne in den Ländern werden im Rahmen der Curriculumdiskussion zunehmend nicht mehr als regionaler, sondern als thematischer Lehrgang gestaltet, der auf Lernziele und übertragbare Einsichten ausgerichtet ist. Die Länderkunde wird zugunsten eines allgemeingeographischen Vorgehens zurückgedrängt, an ihre Stelle tritt eine Auswahl von weitgehend austauschbaren "Raumbeispielen". Viele Bundesländer geben auch das Vorgehen in konzentrischen Kreisen auf zugunsten einer Abfolge "Vom Einfachen zum Komplexen", bei durchweg in allen Klassenstufen weltweiter Sicht. Die damals entstehenden Lehrpläne stehen stark unter dem Einfluss der Sozialgeographie, physisch-geographische Inhalte treten dagegen zurück.
Die 1980er-Jahre sind gekennzeichnet durch eine Wiederbetonung der regionalen Geographie im Unterricht. Es wird hervorgehoben, dass Räume im Unterricht nicht nur als Raumtypen zum Erkennen von allgemeingeographischen Strukturen behandelt werden, sondern dass das Betrachten von ausgewählten Raumindividuen ebenfalls zu den Zielen des Geographieunterrichts führt. Auch die Forderung nach einer im Sinne einer Staatengeographie erneuerten Länderkunde wird aufgegriffen. Das Prinzip "Vom Nahen zum Fernen" lebt wieder auf, insbesondere um das Topographielernen zu erleichtern. Doch nicht alle Ansätze der 1970er-Jahre werden aufgegeben. Die inhaltliche Seite des Schulfachs ist seither gekennzeichnet durch eine Kombination von thematischer und regionaler Geographie.
Gegen Ende des 20. Jh. ergeben sich noch weitere Impulse, die diese Ausrichtung modifizieren. Insbesondere die Veränderungen in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, die zu veränderten Einstellungen, Interessen und Verhaltensweisen führen, machen ein erneutes Nachdenken über die Zielsetzungen, Inhalte und Methoden des Schulfachs notwendig. In der Unübersichtlichkeit der modernen Welt kommt der Schulgeographie z.B. die Aufgabe zu, Orientierung zu geben – und das nicht nur in räumlicher und sachlicher Hinsicht, sondern auch in ethischen Fragen. Auch im Rahmen der internationalen Erziehung gewinnt die Schulgeographie ein neues Profil, das mit "Globalem Lernen" und mit "Weltverantwortung" angedeutet werden kann. Ein wichtiger Bereich geographischer Bildung ist die Umwelterziehung geworden, mit der – nach einer Phase der Überbetonung der gesellschaftswissenschaftlichen Seite des Fachs – nun auch die Geowissenschaften wieder verstärkt in die Schule zurückkehren.
Die Abbildung 2 gibt Auskunft über den Stufenbau der Lehrpläne für die Sekundarstufe I. Eine besondere Situation für die Schulgeographie besteht in der gymnasialen Oberstufe. In den Klassenstufe 12 und 13 ist sie seit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1962 mit Geschichte und Sozialkunde zur Gemeinschaftskunde gleichrangig zusammengefasst, was zu einer engeren Kooperation dieser Fächer geführt hat. Bei der Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe 1972 wird die Geographie dem gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld zugeordnet. Seither besteht die Möglichkeit zu zwei Niveaustufen des Geographieunterrichts: der Grundkurs mit dem Ziel der vertieften Allgemeinbildung sowie der Leistungskurs, der zu einem vertieften wissenschaftspropädeutischen Verständnis führen soll. Die Entfaltungsmöglichkeiten der Geographie sind in den Bundesländern jedoch sehr verschieden, die Gleichrangigkeit ist häufig zugunsten der Geschichte verändert. Die Unterrichtsinhalte entsprechen denen der Sekundarstufe I, sie werden – entsprechend den Zielsetzungen der gymnasialen Oberstufe – mit höherem Anspruch, größerer Wissenschaftsnähe und verstärkter Betonung der Methoden fortgeführt.
Die Geographie in der Schule ist heute ein schüler- und zukunftsorientiertes Fach, das neben Kenntnissen auch Verständnis, Einsichten, Werte und Fähigkeiten vermittelt. Die Schulgeographie wird gesehen als ein Schlüsselfach für Raumverhaltenskompetenz, für erdgerechtes Verhalten (Nachhaltigkeit), was ihre neue Rolle in Bildung, Erziehung und Hinführung zu Lebenspraxis charakterisiert. Schulgeographie verbindet unter dieser Zielsetzung allgemeine und regionalgeographische Inhalte und sie schließt sowohl kultur- wie auch physisch-geographische Aspekte ein. Sie ist dazu an der Fachwissenschaft Geographie orientiert, ohne jedoch ihr Abbild zu sein. Die Internationale Charta der geographischen Erziehung von 1992 gibt für diese heutige Ausrichtung des Fachs auch einen überstaatlichen Bezugspunkt.
Wesentlich sind auch die Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung. Heute haben handlungsorientierte Vorgehensweisen, offene Lernformen und kooperatives Arbeiten weite Verbreitung; sie haben das früher dominierende "Zur-Kenntnis-Nehmen" von fertigen Informationen mit starker Lehrerzentrierung abgelöst. Die Unterrichtspraxis ist durch die Vielfalt der Medien und Arbeitsmittel bis hin zur modernen Informationstechnik belebt und intensiviert. Geographieunterricht ist lebendiger, vielseitiger und offener geworden. Die aktive Selbsttätigkeit und die vermehrten Mitwirkungsmöglichkeiten kommen den heutigen Kindern und Jugendlichen sehr entgegen. Zudem zielen diese Vorgehensweisen und der Umgang mit dem breiten Repertoire geographischer Arbeitsmittel auf eine Methodenkompetenz; sie ist – neben den Inhalten – ein wichtiger gewordener Lernbereich.
Freilich gibt es auch eine Reihe von offenen Fragen und ungelösten Problemen, die einerseits Divergenzen in der Geographiedidaktik wiederspiegeln, andererseits aus der Kulturhoheit der Länder resultieren. In Deutschland ist die Lehrplan- und Unterrichtssituation in den Bundesländern deshalb recht verschieden und – zumal durch die neuen Länder mit ihrer stärker regional geprägten Lehrplantradition – zudem unübersichtlich. Schwer wiegt, dass der Geographieunterricht seit den 1960er-Jahren immer wieder zugunsten anderer Fächer oder im Rahmen genereller Unterrichtskürzungen reduziert wurde. Zugleich ist jedoch sein Bild in der Öffentlichkeit ausgesprochen positiv. Hier muss künftig fachpolitisch entschiedener angesetzt werden.
In manchen Ländern wurde darüber hinaus die Schulgeographie in so genannte Lernbereiche oder in künstliche Schulfächer integriert, – seltener aus didaktischen Motiven, sondern eher um Stunden einzusparen. Nun ist das Schulfach Geographie – wie dargestellt – in sich bereits interdisziplinär, darüber hinaus von jeher auf Zusammenarbeit mit anderen Schulfächern ausgerichtet. Es ist ein wichtiges Anliegen moderner Schulgeographie, diese Fachoffenheit in der Schulpraxis auch weiter zu verstärken. Integrative "Überfächer" wie "Welt- und Umweltkunde" oder "Gesellschaftslehre" führen jedoch zu unscharfen, unverbindlichen Lernfeldern, sie sind in der Gefahr des Beliebigen und Sprunghaften. Es muss entschieden bezweifelt werden, ob damit für die Schüler ein solides fachliches Grundlagenwissen und eine stabile Orientierungsperspektive erreicht werden kann.
Die Schulgeographie geht jedenfalls von der Überzeugung aus, dass geographische Kenntnisse und Fähigkeiten zu Weltverstehen und Lebensbewältigung Wesentliches beitragen. Es geht vorrangig nicht um die Geographie als Fach, sondern um die Zukunftsfähigkeit der heutigen Schüler. Die wesentliche pädagogische Aufgabe und die immer neue Herausforderung besteht darin, die Jugendlichen in ihre Welt zu setzen und zugleich die Welt in diese Kinder. Schulgeographie baut auf der durchaus optimistischen Überzeugung auf, dass ein Verständnis der räumlichen Strukturen und Prozesse in der Welt dazu beiträgt, die Erwachsenen von morgen besser auf ihre Zukunft vorzubereiten.
GK
Lit: [1] HAUBRICH, H., KIRCHBERG, G., BRUCKER, A., ENGELHARD, K., HAUSMANN, W. & RICHTER, D. (1997): Didaktik der Geographie – konkret. – München. [2] KIRCHBERG, G. (1998): Neue Impulse für die Geographielehrpläne vor der Jahrhundertwende. In: Zeitschr. für den Erdkundeunterricht 50, H.2, S.84-89. [3] KÖCK, H. (1997): Zum Bild des Geographieunterrichts in der Öffentlichkeit. Eine empirische Untersuchung in den alten Bundesländern. – Gotha. [4] SCHULTZE, A. (Hrsg.) (1996): 40 Texte zur Didaktik der Geographie. – Gotha.
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