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Lexikon der Geographie: Waldgrenze

Waldgrenze, Übergang (Ökoton) zwischen Vegetationsformationen aus Bäumen und der aus Wärme- oder Wassermangel, durch Windbelastung oder wegen ungünstiger Bodeneigenschaften (Staunässe) waldfreien Vegetation der Tundra (polares Waldgrenz-Ökoton), der Steppe (Waldsteppen-Ökoton), der Halbwüsten (Trockengrenze) oder der alpinen Höhenstufe in Gebirgen (obere Waldgrenze). Im Schweifraum des Menschen ist durch Abbrennen, Holzentnahme oder dem selektiven Weidegang des Viehs, das bevorzugt Baumjungwuchs verbeißt, der natürliche Verlauf und die Struktur der Waldgrenze verändert. Der unregelmäßig lockere Bestand von alten Bäumen in Triftweiden oberhalb geschlossenen Bergwalds ist ein Hudewald, entstanden durch anthropo-zoogene Bestandsauflichtung. Die höchsten Vorkommen von Einzelbäumen bezeichnen diese Baumgrenze. Jagdfeuer oder Schwenden zur Gewinnung und Pflege überschaubarer Hochweiden in tropischen Gebirgen verursachen scharf geschnittene Waldgrenzen gegen die Feuerklimax des innertropischen Höhengraslandes (obere Waldgrenze) Páramo: In feuergeschützten Standorten von feuchten Schluchten ("Schluchtwald-Savanne"), auf Felsklippen oder Blockhalden bezeugen isolierte Baumgruppen (Polylepis, Erica) die potenzielle natürliche Waldvegetation. Weitgehend natürlich ist das subpolare Waldgrenz-Ökoton zwischen borealem Wald und der Tundra sowie in Gebirgen ohne Viehwirtschaft (nordamerikanische Kordillere, sibirische Gebirge, japanische, neuseeländische und australische Alpen, Feuerland, Hawaii). An allen natürlichen Waldgrenzen werden die Bäume kleiner, nehmen Krüppelform (obere Waldgrenze) Kampfform und meist auch vielstämmigen Wuchs mit Übergängen zur Strauchform an ( Abb. 1 ). Südbuchen-Waldgrenzen Neuseelands und Feuerlands sind geschlossen und haben einen dichten strauchförmigen Mantel. An der polaren Waldgrenze, den Trockengrenzen und der oberen Waldgrenze in Hochgebirgen löst sich der Wald in kleiner werdende Einzelbäume oder in krüppelwüchsige Baumgruppen auf. In mehrschichtigen Wäldern feuchter Gebirgsklimate lockert sich die jeweils oberste Baumschicht höhenwärts bis zu Einzelindividuen auf, die in geschlossenen Beständen der nächstniedrigen Baumschicht stehen. Diese wiederum löst sich auch in Einzelbäume auf, die vielstämmigen Wuchs annehmen können und in einer geschlossenen Strauchschicht wachsen. Die Bodenoberfläche bleibt von geschlossenem Phanerophytenbestand beschattet. Unter der Last von Moos-Epiphyten in perhumiden Hochgebirgen (Ruwenzori) oder Schneebruch in extratropischen Hochgebirgen mit Winterniederschlag kann der Kronenschluss im Waldgrenzökoton aufgelichtet sein; es entstehen heterogen geschichtete strukturreiche Wälder.
Engräumig wechselnde edaphische und mikroklimatisch-reliefabhängige Standortbedingungen an Waldgrenzen ergeben unregelmäßige Auflösungsmuster der Baumvegetation: In winterschneereichen Gebirgen zerschlitzen tiefenliniengebundene Schneelawinenzüge den Bergwaldgürtel; vom Schneedruck deformierte Sträucher Krummholz und Hochstaudenfluren ersetzen hier Wald ( Abb. 2 ). Die windabhängige, reliefuntergeordnete Schneedeckendauer steuert durch Schutz vor Frosttrocknis einerseits, dem Auftreten von Schneeschimmelpilzen andererseits die Wachstumsbedingungen von Bäumen. In Windrichtung streifig heckenartig-dichte, keilförmig wachsende Ribbon-Forests sind typisch für das Waldgrenzökoton windreicher Hochgebirge mit Winterschnee. In tropischen Gebirgen können glaziale Zungenbecken durch kaltluftstauende Moränen waldfrei und von tropisch-alpiner Vegetation eingenommen sein.
Isolierte oft krüppelwüchsige Baumgruppen an Felsklippen oberhalb des Waldes können aus Samenverstecken von Vögeln (Pinus cembra in den europäischen Alpen durch den Arvenhäher) aufwachsen. Wacholdergruppen unter Felsen im Karakorum und in Osttibet sind vermutlich durch wacholderbeerenfressende Vögel zu erklären. Die meisten waldgrenzbildenden Gehölze sind kleinblättrig, immergrün, nadelblättrig (Abies, Picea, Pinus, Juniperus), ericoid (Erica), hartlaubig (Polylepis) oder nadelblättrig-sommergrün (Larix). Ausnahmen bilden die innertropischen Kronenbäume von Dendrosenecio oder die Schopfbäume von Lobelia und Espeletia oder Cyathea und die immergrünen großblättrigen Rhododendren im sommerfeuchten subtropischen Himalaya. Auf der Landhalbkugel reicht Wald an der Chatanga-Mündung in Sibirien bis 72°30'N, unter Einfluss langer Gefrornis an der Hudsonbay nur bis 51°N. Unter Einfluss auskühlender Winde und bewölkungsbedingt geringer Einstrahlung reichen die polnächsten Wälder der Wasserhalbkugel aus Nothofagus bis 55°S. In schneereichen ozeanischen Klimaten bilden kältekahle Laubbäume (Betula, Alnus) die polare Waldgrenze. Die höchstgelegene obere Waldgrenze bildet Polylepis tarapacana auf Vulkanbergen (Co. Sajama 18°07'S) der bolivianischen Westkordillere in 5000 m in offenem Zwergwald, der in offenen Strauchbestand übergeht. Die äquatorialen Gebirge haben Waldvorkommen bis 4300 m (Erica, Dendrosenecio, Polylepis, Coprosma, Dimorphanthera, Cyathea). Im Himalaya reicht Abies densa bis 4200 m, in Tibet Juniperus tibetica bis 4750 m. Es ist ungeklärt, ob Wärmemangel der Luft oder des Bodens Baumwuchs begrenzt.
Der Verlauf der Trockengrenze des Waldes gegen Halbwüsten und Steppen ist anthropo-zoogen überprägt. In der Sahara ist offener Acacia raddiana-Baumbestand noch mit 100 mm Jahresniederschlag möglich. Für Pistacia-Offenwald in Afghanistan wird 250 mm/a als Schwellenwert angegeben. Für Wacholderwald im Südwesten der USA und in Tibet könnten noch 200 mm/a ausreichend sein. Die Trockengrenze der Eldar-Kiefer im westlichen Aserbeidschan wird mit 140 mm/a angegeben. Die Trockengrenze kältekahler Laubwälder gegen die Steppen (Waldsteppen-Ökoton) wird mit 400-500 mm/a in Osteuropa angegeben, bis 200 mm/a in der Mongolei (Ulmus pumila). Wahrscheinlich ist die Wiesensteppe des Waldgrenz-Ökotons die Ersatzgesellschaft für Wald. In Staulagen von Inselgebirgen des Passatgürtels ist die Höhengrenze kronenschließenden Waldes durch die Passatinversion begrenzt. Im strahlungsreichen Trockenklima oberhalb der Passatinversion ( Abb. 3 ) folgt offener Zwergwald (Hawaii: Sophora chrysophylla, Teneriffa: Juniperus oxycedrus). Die obere Waldgrenze der endemischen Waldflora auf Hawaii in nur 2400 m ist eine Trockengrenze, diejenige der Kanaren wahrscheinlich auch.

GM

Lit: [1] ELLENBERG, H. (1966): Leben und Kampf an den Baumgrenzen der Erde. In: Naturwiss. Rundschau, 19: 133-139. [2] MIEHE, G. & S. (1994): Zur oberen Waldgrenze in tropischen Gebirgen. In: Phytocoenologia, 24: 53-111. [3] WALTER H. & BRECKLE, S.-W. (1994): Ökologie der Erde 3, 2. Aufl. – Jena.


Waldgrenze 1: Waldgrenze 1: Schematische Bestandstruktur-Profile an naturnahen Waldgrenzen humider Hochgebirge (a=tropische Erica-Wälder in Süd-Äthiopien, 7°N, 40°E; b=südhemisphärische Laubwälder in Neuseeland, 43°S, 171°E; c= nemorale Laubwälder in den Südalpen, 46°N, 11°E, d=subtropisch sommerfeuchte Laubwälder, schattseitig im Zentral-Himalaya, 29°N, 85°E).

Waldgrenze 2: Waldgrenze 2: Ausgedehnte Gebüsche aus Grünerle (Alnus viridis) und Latsche (Pinus mugo) auf sehr lawinengefährdeten Hängen (Berninatal, Schweiz) unterhalb der Baumgrenze mit vereinzelten Zirben (Pinus cembra).

Waldgrenze 3: Waldgrenze 3: Obere Waldgrenze als Trockengrenze an der Passat-Inversion (Hawaii).
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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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