Lexikon der Geowissenschaften: Einstoffsysteme
Einstoffsysteme, Einstoffsysteme stellen in Zustandsdiagrammen entsprechend der Gibbsschen PhasenregelP+F = K+2 das Verhalten einer Komponente K dar. Diese ist entweder ein Element wie Kohlenstoff (C) oder Schwefel (S) oder eine Verbindung wie Wasser (H2O) oder Siliciumdioxid (SiO2). Dargestellt werden in einem Temperatur-Druck-Diagramm die Existenzbereiche der Phasen P, deren Grenzen und Schnittpunkte in Abhängigkeit von den Zustandsvariablen F (Temperatur und Druck). Im Einstoffsystem H2O ( Abb. 1 ) sind die Temperatur auf der Ordinate und der Druck auf der Abszisse festgelegt. In den jeweiligen Existenzbereichen von Wasser (I), Wasserdampf (II) und Eis (III) lassen sich Druck und Temperatur beliebig variieren. Hier ist jeweils nur eine Phase stabil, gemäß dem Phasengesetz P+2 = 1+2, also P = 1. In diesem Fall ist das System divariant, man bewegt sich bei einer Änderung der Zustandsvariablen innerhalb einer Fläche, dem Existenzbereich der einen möglichen Phase. Ändert man den Druck oder die Temperatur entlang der Kurve, die der Grenze zwischen den Existenzbereichen zweier Phasen entspricht, dann wird das System univariant und es können zwei Phasen im Bereich der Umwandlungskurven koexistieren, d.h. P+1 = 1+2, also P = 2. Für den Fall, daß keine Zustandsvariable mehr frei wählbar ist, gilt P+0 = 1+2, also P = 3. Temperatur und Druck liegen jetzt in einem Punkt fest, an dem die drei Phasen H2Oflüssig, H2ODampf, H2Okrist. nebeneinander koexistieren. Dieser Punkt wird als Tripelpunkt bezeichnet, das System ist in diesem Punkt invariant. Häufig erfolgt eine Phasenumwandlung beim Überschreiten der Grenzen der Existenzgebiete, bedingt durch energetische Schwierigkeiten, oft nicht prompt. Am Beispiel des Einstoffsystems H2O drückt sich dies z.B. in der Fortsetzung der univarianten Kurve, die die Existenzbereiche H2ODampf-H2Oflüssig abgrenzt in das Existenzfeld des kristallisierten H2O hinein, aus. So kann z.B. flüssiges Wasser bis -22°C unterkühlt werden, es bildet dann eine metastabile Phase. Tripelpunkte entsprechen Gefrierpunkten, Schmelzpunkten, kritischen Punkten oder Punkten, an denen drei kristalline Phasen, z. B. Sillimanit, Andalusit und Disthen im System Al2SiO5 ( Abb. 2 ) nebeneinander koexistieren. Da an Tripelpunkten kein Freiheitsgrad mehr möglich ist, sind die Systeme hier stets invariant. Kurven entsprechen meist Dampfdruckkurven oder Grenzkurven zwischen zwei Mineralphasen, bei frei gewählter Temperatur ist hier z.B. der Dampfdruck kovariant, es existiert ein Freiheitsgrad, das System ist univariant. In Feldern, die den Existenzgebieten der Phasen entsprechen, sind Druck und Temperatur frei variabel, es existieren hier zwei Freiheitsgrade, das System ist divariant. Im Phasendiagramm des Einstoffsystems Al2SiO5 ist bemerkenswert, daß bei Zunahme des erzwungenen Druckes die Koordinationszahl des Aluminiums und die Dichte ansteigen (Buergesche Regel).
Die Kenntnis des Einstoffsystems H2O ist für die Mineralogie aus zahlreichen Gründen von grundsätzlicher Bedeutung. Alle sich auf der Erde oder in der Erdkruste abspielenden mineralbildenden Prozesse finden entweder direkt aus wäßrigen Lösungen oder aber zumindest in Anwesenheit von H2O statt. Die Bildungstemperaturen variieren dabei zwischen 0 und 1000°C, in vielen Fällen auch in noch viel größeren Temperaturbereichen. Der Dampfdruck des Wassers, der am Schmelzpunkt des Eises 0,567-1,03 MPa beträgt, wird mit zunehmender Temperatur größer. Damit erhöht sich auch die Dichte der Dampfphase, während die Dichte der flüssigen H2O-Phase gleichzeitig kleiner wird. Bei einer Temperatur von 374°C und einem Druck von 22 MPa erreichen die Dichten von flüssigem Wasser und von Wasserdampf denselben Wert. Das heißt, oberhalb dieses kritischen Punktes existiert nur noch eine H2O-Phase, die auch als überkritische Phase bezeichnet wird. Bei tiefen Temperaturen kristallisiert H2O als hexagonales Eis I zwischen 0 und -120°C. Unterhalb -120°C ist eine kubische Eisphase stabil und bei entsprechend hohen Drucken existieren auch noch einige Hochdruckphasen, so z.B. Eis VI bei 80°C und 2 GPa. Alle diese Werte gelten allerdings nur für die chemisch völlig reine Verbindung H2O. Sie verschieben sich z.T. erheblich bei Anwesenheit von gelösten Stoffen. So erhöht sich beispielsweise die kritische Temperatur des Wassers in Anwesenheit von NaCl, das bei allen mineralbildenden Prozessen, insbesondere unter hydrothermalen Bedingungen zu berücksichtigen ist, auf Temperaturen von über 500°C.
Die Kenntnisse über das Phasendiagramm des Kohlenstoffs sind durch neue experimentelle Technologien in den vergangenen Jahren erheblich erweitert worden. Dieses System, in dem C kubisch als Diamant und hexagonal als Graphit kristallisiert, ist mineralogisch insofern von Bedeutung, als einerseits die natürliche Diamantentstehung in genetischer Hinsicht noch recht umstritten ist, andererseits Diamant und Graphit als wirtschaftlich wichtige Rohstoffe heute in großem Maße synthetisch hergestellt werden. Die Existenzbereiche der verschiedenen Kohlenstoffphasen und Modifikationen ( Abb. 3 ) sind fast ausschließlich experimentell bestimmt. Der invariante Tripelpunkt, an dem Graphit, Diamant und Kohlenstoffschmelze koexistieren, liegt bei 3900°C. Ein weiterer Tripelpunkt T2 liegt unter Atmosphärendruck bei 3800°C, wo Graphit, Cflüssig, CDampf miteinander koexistieren; und schließlich kennt man neuerdings noch einen dritten Tripelpunkt bei 1000°C und 63 GPa, bei dem Diamant, CSchmelze und eine Höchstdruckmodifikation des Kohlenstoffs, die metallische Eigenschaften aufweist, koexistieren. Sowohl Graphit (G) als auch Diamant (D) treten metastabil rechts bzw. links ihrer gemeinsamen Phasengrenze auf. Katalytische Diamantsynthesen, z.B. mit Ni als Katalysator, werden heute großtechnisch im Zustandsbereich (a), Direktsynthesen aus Graphit im Zustandsbereich (b) und Synthesen unter relativ niedrigen Temperaturen mit Hilfe von Explosionsdrucken im Zustandsbereich (c) durchgeführt.
Von außerordentlicher Bedeutung für geowissenschaftliche Probleme, aber auch für zahlreiche technologische Prozesse ist das Einstoffsystem SiO2 ( Abb. 4 ). Hier sind neben der SiO2-Schmelze und dem SiO2-Dampf heute insgesamt 8 kristalline Phasen mit zum Teil mehreren Strukturvarianten bekannt. Bei Raumtemperatur und Atmosphärendruck ist der trigonal-trapezoedrische Quarz stabil, er geht beim Erhitzen bei 573°C ohne Verzögerung und reversibel in den hexagonal-trapezoedrischen Hoch-Quarz über. Diese Umwandlung macht sich durch eine sprunghafte Veränderung der Eigenschaften bemerkbar. Beim Abkühlen findet dann die reversible Umwandlungsreaktion ebenso prompt statt, wobei wieder Quarz auftritt, d.h. die Phasenumwandlung verläuft enantiotrop. Bei 870°C wandelt sich der Hoch-Quarz in die hexagonale Hochtemperaturmodifikation des Tridymits, den Hoch-Tridymit, um. Diese Umwandlung, die mit einer starken Volumenzunahme verbunden ist, geht jedoch sehr träge vor sich, so daß Hoch-Quarz auch noch bei höheren Temperaturen metastabil bleibt und schließlich direkt, ohne vorher in Cristobalit überzugehen, schmilzt. Bei 1470°C wandelt sich die Hochtemperaturmodifikation des Tridymits in den kubischen Hoch-Cristobalit um, der schließlich bei 1725°C in eine SiO2-Schmelze übergeht. Die Tridymit-Cristobalit-Umwandlung bei 1470°C ist mit einer geringen Kontraktion verbunden.
Beim Abkühlen der SiO2-Schmelze bleibt diese v.a. wegen ihrer hohen Viskosität als Kieselglas in einem isotropen, metastabilen Zustand, auch beim Abkühlen auf Raumtemperatur, erhalten. Dieses Kieselglas, fälschlicherweise meist als "Quarzglas" bezeichnet, spielt technisch-wirtschaftlich eine große Rolle, es kommt aber auch als das Mineral Lechatelierit vor, z.B. bei der Aufschmelzung von Sanden durch Blitzeinschläge als sog. Blitzröhren. Auch Hoch-Cristobalit bleibt metastabil beim Abkühlen bis 270°C erhalten, unterhalb dieser Temperatur wandelt er sich in den tetragonalen Cristobalit um und ebenso bleibt auch Hoch-Tridymit beim Abkühlen instabil erhalten, dieser wandelt sich unterhalb 120°C in den rhombischen Tridymit um.
Hoch-Quarze, die oberhalb 575°C gebildet wurden, zeigen auch noch bei Raumtemperatur, nachdem sie strukturell in Quarz umgewandelt wurden, häufig morphologische und kristalloptische Merkmale des Hoch-Quarzes. Insbesondere aus der Art der Zwillingsbildung läßt sich erkennen, ob es sich um Umwandlungszwillinge oder um Wachstumszwillinge der Tieftemperaturmodifikation handelt. So läßt sich Quarz als sog. geologisches Thermometer zur Bestimmung der Bildungstemperaturen der Gesteine verwenden, wobei allerdings noch der Druck berücksichtigt werden muß, denn mit zunehmenden Drucken erhöht sich die Umwandlungstemperatur. Von technischer Bedeutung ist die Umwandlung von Hoch-Cristobalit, Hoch-Tridymit und Hoch-Quarz in die entsprechenden Tieftemperaturmodifikationen, da hierbei beträchtliche Volumenänderungen auftreten, was bei keramischen Erzeugnissen, insbesondere bei hochfeuerfesten Massen, berücksichtigt werden muß. Der erheblichen Volumenzunahme bei Hochquarz wird z.B. beim Bau von Siemens-Martin-Öfen aus Silicatsteinen durch entsprechend große Dehnungsfugen bei der Ausmauerung entgegengetreten. In der Keramik bezeichnet man die Quarz-Hochquarz-Umwandlung bei 573°C als Quarzsprung, und da diese Phasenumwandlung mit einer beträchtlichen Volumenkontraktion bzw. Expansion der Quarzkörper verbunden ist, kann dies zu erheblichen Spannungen im Gefüge der keramischen Scherben führen. Quarzhaltige Produkte müssen deshalb über den Quarzsprung langsam abgekühlt bzw. aufgeheizt werden. Haarrisse in Glasuren auf keramischen Scherben, die Quarz enthalten, sind oft auf diese Phasenumwandlung zurückzuführen. Die Hochdruckmodifikation des SiO2, der erst in den letzten Jahren in der Natur entdeckte und auch synthetisch hergestellte monokline Coesit, ist bei 800°C und ca. 3,5 GPa stabil, besitzt aber auch die Fähigkeit, bei Atmosphärendruck und Raumtemperatur metastabil weiter zu existieren. Coesit hat naturgemäß, bedingt durch den extrem hohen Bildungsdruck, eine große Dichte, nämlich 3,01 g/cm3, gegenüber 2,65 g/cm3 des Quarzes und 2,21 g/cm3 des Kieselglases. Eine ausgesprochene Höchstdruckmodifikation des SiO2, den Stishovit, hat man ebenfalls erst vor wenigen Jahren bei 1000°C und etwa 10 GPa synthetisch hergestellt. Sowohl Coesit als auch Stishovit finden sich in irdischen Gesteinen nur in der Nähe von Meteoritenkratern, wo zum Zeitpunkt des Aufschlages eines Meteoriten die zur Bildung dieser Modifikationen notwendigen Drucke und Temperaturen geherrscht haben. Schließlich ist noch eine Mitteldruckmodifikation Keatit bekannt, die unter hydrothermalen Bedingungen bei ca. 100 MPa tetragonal auftritt. [GST]
Einstoffsysteme 1: Phasendiagramm des Einstoffsystems von Wasser; C.P. = kritischer Punkt (bei 374°C), K.P. = Kochpunkt bzw. Siedepunkt (bei ca. 100°C), F.P. = Schmelzpunkt bzw. Festpunkt (bei ca. 0°C). Einstoffsysteme 1:
Einstoffsysteme 2: Stabilitätsbereich der Al-Silicate Sillimanit, Andalusit und Disthen im Einstoffsystem Al2SiO5. Die Stabilitätsgrenzen und damit auch der Tripelpunkt (T.P.) können sich durch den diadochen Einbau von Fe3+ für Al verschieben. Bei ca. 1000°C erfolgt die Umwandlung von Sillimanit in Mullit. Einstoffsysteme 2:
Einstoffsysteme 3: Phasendiagramm des Einstoffsystems C mit den Existenzbereichen von Diamant D, Graphit G und einer Höchstdruckmodifikation CIII sowie den Zustandsbereichen a, b und c der Diamantsynthese. Einstoffsysteme 3:
Einstoffsysteme 4: Phasendiagramm des Einstoffsystems SiO2 mit den Existenzfeldern der Niederdruckmodifikationen und den Bildungsbereichen der Hochdruckmodifikationen Keatit (K), Coesit (C) und Stishovit (S). Einstoffsysteme 4:
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.