Lexikon der Kartographie und Geomatik: Empirische Forschungsmethoden
Empirische Forschungsmethoden, Formen der Erkenntnisgewinnung in der Empirischen Kartographie. Aufgabe empirischer Untersuchungen ist einerseits das Erarbeiten von Wirkungszusammenhängen bei modellierter Kartengraphik. Andererseits besteht im Zusammenhang mit der zielgerichteten elektronischen Kommunikation am Bildschirm Bedarf an Wissen über Unterstützungsmöglichkeiten kartographischer Medien bei visuell-kognitiven Prozessen der georäumlichen Informations- und Wissensverarbeitung.
Standardmethoden der traditionellen Empirischen Kartographie sind Experimente, in deren Rahmen Vorlagen dargeboten und vorgegebene Aufgaben gelöst werden. Die ermittelten Ergebnisse werden als Indikator für die optische Wirkung der präsentierten Graphik interpretiert. Weitergehende instrumentenbezogene Methoden umfassen die Registrierung von der die Augenmuskeln steuernden elektrischen Impulse sowie von Augenbewegungen durch fotographische und halbelektronische Blickbewegungsregistrierung. Sowohl die Standard- als auch die instrumentenbezogenen Methoden wurden anfangs wesentlich mitbestimmt durch relativ begrenzte bzw. aufwendige Darbietungs- und Registrierungstechniken.
Erst durch den Einsatz elektronischer Verfahren kommen in der modernen Empirischen Kartographie effektivere und die Probanden zum Teil weniger belastende Methoden zum Einsatz. Ein daraus resultierender und bisher nur in der Kartographie konsequent verfolgter Ansatz besteht in der Bündelung und Kombination von Methoden, ausgerichtet auf spezifische Forschungsfragen und Untersuchungsbedingungen. Damit können Schwächen bestimmter Methoden, wie geringe Zugänglichkeit zu mentalen Prozessen oder fehlende Erfassungsmöglichkeiten bei dynamischen Vorgängen, durch jeweils ergänzende Methoden ausgeglichen werden. Außerdem kann dadurch die Plausibilität und der Aussagecharakter von Untersuchungsergebnissen verbessert bzw. abgesichert werden.
Für die moderne Empirische Kartographie ist grundsätzlich das aktuelle Spektrum sozial-empirischer Forschungsmethoden von Interesse (vgl. Tabellen S. 195 und S. 196). Ein erster Methodenkomplex umfasst sog. verbalisierende Verfahren. Diese können u. a. nach ihrem Zugang zu Denkprozessen unterschieden werden, wie Methoden mit periaktionalem Zugang zu visuell-kognitiven Prozessen, bei denen unterstellt wird, dass mit ihrer Hilfe gedankliche Vorstellungen, die im Bewusstsein ablaufen, zeitlich unmittelbar erfasst werden können, wie es etwa bei der Methode des Lauten Denkens erwartet wird. Methoden mit postaktionalem Zugang, bei denen nachträgliche Reflexionen oder Einschätzungen über mentale Vorgänge das Ziel sind, umfassen Verfahren wie Fragebogen-Erhebungen, Gruppendiskussionen oder strukturierte Interviews. Diese Verfahren können auch verwendet werden, um Erwartungen und mögliche Vorgehensweisen zu erfassen, also einen präaktionalen Zugang zu kognitiven Prozessen zu erhalten. In einem zweiten Methodenkomplex werden Verfahren zur systematischen Verhaltensbeobachtungen unterschieden. Diese werden eingesetzt, um z. B. Rückschlüsse auf kognitive Abläufe in Fehler- oder Stresssituationen am Bildschirm oder bei explorativem Verhalten im Zusammenhang mit der Nutzung von Informationssystemen zu erhalten. Ein dritter Methodenkomplex umfasst Experimente, mit deren Hilfe u. a. Merkmale der anderen Verfahren, wie etwa mangelnde Objektivität bei verbalisierenden Verfahren, ausgeglichen werden. Dazu gehören Verfahren der Blickbewegungsregistrierung, Tachistoskopmessungen, Computer-Szenarien-Techniken wie Logfile-Protokolle und cognitiv walkthrough. Als vierter Komplex können bildgebende Verfahren des Gehirns zusammengefasst werden, die allerdings für die Empirische Kartographie vorerst nicht angemessen erscheinen, da sie einen erheblichen instrumentellen und personellen Aufwand erfordern.
Insgesamt ist das aktuelle Methodenspektrum in der Empirischen Kartographie stark geprägt durch unterstützende elektronische Verfahren und Techniken, die die Darbietungs-, Registrierung- und Auswertungsvorgänge beschleunigen und z. B. eine weitergehende Erfassung von Verhaltens- und Reaktionsstrukturen unterstützen. Dabei zeigt sich, dass die angewendeten empirischen Forschungsmethoden vor allem für die kartographische Bildschirmkommunikation zu neuen Erkenntnissen führen.
JBN
Literatur: [1] BOLLMANN, J. & JOHANN, M. & HEIDMANN, F. (1999): Kartographische Bildschirmkommunikation. In: Beiträge zur kartographischen Informationsverarbeitung, Bd.13, Universität Trier. [2] HEIDMANN, F. (1999): Aufgaben- und nutzerorientierte Unterstützung kartographischer Kommunikationsprozesse durch Arbeitsgraphik. Herdecke. [3] KOCH, W.G. (1993): Experimentelle Kartographie – nutzbare Ergebnisse und neue Fragestellungen. In: Deutsche Gesellschaft für Kartographie (Hrsg.): Kartographie und Geo-Informationssysteme: Grundlagen, Entwicklungsstand und Trends. (= Kartographische Schriften, Bd. 1), Bonn.
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