Lexikon der Kartographie und Geomatik: Geostatistik
Geostatistik, räumliche Statistik, E geostatistics, spatial statistics, Teildisziplin der Statistik, die sich mit der Analyse und Prognose räumlicher oder raumzeitlicher Phänomene (Geodaten) unter Verwendung der Eigenschaft der räumlichen Abhängigkeit und dem Einsatz von Zufallsfunktionen beschäftigt. Geostatistische Verfahren gehen im Unterschied zu anderen statistischen Verfahren nicht von der Unabhängigkeit oder Normalverteilung einer Stichprobe aus, im Unterschied zu anderen (mathematischen) Interpolationsverfahren ist eine stochastische Komponente (die Stichprobe ist ein Erwartungswert einer Zufallsvariablen) ergänzt. Grundlegende Voraussetzung ist die Ortsabhängigkeit oder Ortsgebundenheit (regionalized variables), deren wichtigstes Kennzeichen eine räumliche Verortung der Geodaten auf der Basis eines Koordinatensystems oder einer euklidischen Relation darstellt. Das zweite wesentliche Kennzeichen ist der Einsatz der Formalismen von Zufallsfunktionen (random functions) für die Erkundung und Schätzung der Phänomene. Die angewandten Methoden sind statistisch oder spezielle Weiterentwicklungen, die den Raumbezug berücksichtigen. Das Ziel ist a) die Beschreibung, Strukturanalyse sowie der Erkenntnisgewinn über die empirischen Daten und b) deren Schätzung, Übertragung sowie Inter- und Extrapolation.
Im weitesten Sinne wird unter Geostatistik die Anwendung von statistischen Methoden in den Geowissenschaften und diese in diesem Sinne als "Angewandte Statistik" oder "Praktische Statistik" verstanden. Im Unterschied dazu ist die "Mathematischen Statistik" auf die Weiterentwicklung und Verbesserung der Methoden auf Basis der Wahrscheinlichkeitstheorie ausgerichtet. Allerdings wird innerhalb der Geostatistik nicht allein fachspezifische Anwendung allgemeiner statistischer Verfahren betrieben, da der Raumbezug der Geodaten wichtige Eigenschaften bedingt, die in eigenen Theorien und Methoden bearbeitet werden. Durch den Einsatz von Zufallsfunktionen werden die Daten als Realisation von Zufallsvariablen gesehen, für welche eine Stationarität 2. Ordnung gilt.
Damit existiert ein umfassender Ansatz, über den zahlreiche räumliche Erscheinungen und Eigenschaften räumlich verteilter Daten beschrieben werden können (z. B. räumliche Abhängigkeit, Struktur der Variablen, Kontinuität, Isotropie) und der sich gegenüber der einfachen räumlichen Autokorrelation, z. B. basierend auf Nachbarschaftsmatrizen, durchgesetzt hat.
Die geostatistische Analyse zeitlicher und räumlicher Phänomene innerhalb der Geowissenschaften lässt sich in drei klassische Bereiche untergliedern: 1. Datenbeschreibung (data description): erste Erkenntnisse der zeitlichen, räumlichen und multivariaten Struktur werden mit Hilfe der deskriptiven Statistik (Verteilung und Wertebereich der Daten, Histogramme, Maxima und Minima, Datencluster, Korrelationen) und der Variographie ermittelt. 2. Interpretation (interpretation): unter Berücksichtigung von Zusatzinformationen, früherer oder ähnlicher Datenerfassung soll eine vernünftige Interpretation des aktuellen Datensatzes erfolgen. 3. Schätzung (estimation): mit den Stichprobenwerten und den gewonnenen Informationen werden Werte geschätzt, die an anderen Raumpunkten a) innerhalb (Interpolation) oder b) außerhalb (Extrapolation) des Untersuchungsgebietes liegen. So können Datenlücken aufgefüllt werden. Die Übertragung der meist unregelmäßigen Messwerte auf ein regelmäßiges Punkteraster (grid data) c) ist für die Weiterverarbeitung in Geoinformationssystemen (GIS) und für eine kartographische Darstellung enorm wichtig. Die Verwendung von Zufallsfunktionen d) ermöglicht es, die Schätzvarianz sowie die räumlichen und lokalen Ungenauigkeiten bestimmter Werte zu ermitteln (stochastische Simulation).
An dieser Schnittstelle können Verfahren der Geostatistik zum einen zur Erweiterung von Interpolationsverfahren für die kartographische Darstellung genutzt werden, zum anderen müssen die Ergebnisse geostatistischer Berechnungen im Sinne einer explorativen Datenanalyse zur Interpretation u. a. durch Karten visualisiert werden.
Die Ursprünge der Geostatistik (klassische Geostatistik) gehen auf Lagerstättenkunde (Bergbau und Montangeologie) in den fünfziger Jahren zurück. Mit statistischen Verfahren und guten Schätzmethoden (Kriging) sollten die teueren Probebohrungen minimiert und der Gewinn gesteigert werden. Das erste Konzept zur Geostatistik geht auf den südafrikanischen Bergbauingenieur D.G. Krige zurück. G. Matheron, der als Begründer der Geostatistik gilt, veröffentlichte 1971 die als "Theorie der regionalisierten Variablen" bekannten mathematisch-theoretischen Grundlagen. Der zentrale Punkt dieser Theorie ist die Verbindung von strukturiertem ("Geo") und zufälligem ("Statistik") Verhalten von Variablen. Der von Matheron aufgebaute "Centre géostatistique" der École des Mines de Paris in Fontainebleau, Frankreich (Gründung 1968) ist heute noch führendes Forschungszentrum für diesen Wissenschaftsbereich.
Seitdem sind zu den klassischen drei Teilbereichen der Geostatistik weitere hinzugekommen, die gleichfalls von einem Wechselspiel zwischen anwendungsspezifischen Problemen und der Erweiterung der Methodik geprägt sind. Als wichtigste Entwicklungen sind zu nennen: 1. multivariate Ansätze (Koregionalisierung, Kokriging), 2. eine Erweiterung der stochastischen Simulationen, 3. zusätzliche Kriging-Verfahren.
Die Visualisierung der Ergebnisse wurde durch die Fortschritte der geostatistischen Software und die Möglichkeit, Teilergebnisse und Datensätze in Geoinformationssysteme (GIS) zu integrieren, wesentlich verbessert. Die Einbindung geostatistischer Verfahren in GIS-Applikationen erfolgt durch die Implementierung von Interpolationsverfahren (Kriging-Verfahren), sowie von Verfahren zur Simulation und Visualisierung. Neben dreidimensionalen Modellen ist die Erstellung von Isolinienkarten ("contour mapping") die häufigste Form der Präsentation der Ergebnisse. Nachteilig ist die oft mangelnde interaktive Bearbeitung der Daten (Anpassung, Auswahl und Überprüfung von Variogramm-Modellen) und der eingeschränkten Kriging-Verfahren, weshalb geostatistische Analysen besser mit den eigens dafür entwickelten Softwareprogrammen durchgeführt werden sollten. Zudem werden durch die Integration in GIS die vielfältigen Ansätze und Möglichkeiten der Geostatistik oft auf ein reines Interpolationsverfahren reduziert. Ein Anwendungsschwerpunkt der geostatistischen Verfahren liegt nach wie vor in der Montangeologie und im Bergbau. Deshalb ist Geostatistik ein notwendiger Bestandteil in der Ausbildung von Lagerstättenkundlern, Bergbauingenieuren usw. Auch in den Geowissenschaften (z. B. Klimatologie, Hydrologie, Bodenkunde, Hydrogeologie) sowie in der Geographie werden zahlreiche Fragestellungen mit den hier angeführten geostatistischen Verfahren (Tab.), aber auch mit weiteren statistischen Methoden bearbeitet.
MSR
Literatur: [1] AKIN, H. & SIEMES, H. (1988): Praktische Geostatistik – Eine Einführung für den Bergbau und die Geowissenschaften. [2] ARMSTRONG, M. (1998): Basic Linear Geostatistics. [3] WACKERNAGEL, H. (1995): Multivariate Geostatistics. An Introduction with Applications.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.