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Lexikon der Optik: Stereopsis

Stereopsis, Stereosehen, räumliches Sehen ausschließlich aufgrund unterschiedlicher querdisparater Abbildung von Objektpunkten auf der Netzhaut (Querdisparation). Die S. muß von der nichtquerdisparaten Tiefenwahrnehmung unterschieden werden. Sie bewertet die relative räumliche Lage zweier Objekte zueinander, nicht aber den Abstand der Objekte vom Beobachter, und wird quantitativ durch Angabe des Stereogrenzwinkels bestimmt. Die S. ist nur für geringe und mittlere Entfernungen wirksam. Bei Fixationsentfernungen von mehr als 30 m dominieren nichtdisparative Faktoren bei der relativen Entfernungsabschätzung.

Die neurophysiologische Grundlage der S. sind binokulare Neurone in der Sehrinde, die auf unterschiedliche Querdisparationen ansprechen (Abb. 1). Exzitatorische Neurone, die auf Querdisparationen von bis zu maximal 3 Winkelminuten reagieren, werden als T0-Neurone (Tuned-Zero-Neurone) bezeichnet. Neurone, die auf Querdisparationen von 3 bis 30 Winkelminuten mit einer Steigerung ihrer Aktivität ansprechen, sind TF-Neurone (Tuned-Far-Neurone) bzw. TN-Neurone (Tuned-Near-Neurone). TF-Neurone reagieren auf ungekreuzte und TN-Neurone auf gekreuzte Querdisparationen. TI-Neurone (Tuned-Inhibited-Neurone) reagieren hingegen auf Querdisparationen von weniger als 6 Winkelsekunden mit einer Hemmung. Bei größeren Querdisparationen zeigen diese Zellen eine erhöhte Aktivität. NE-Neurone (Near-Neurone) werden binokular durch Objekte, die vor dem Fixationspunkt liegen, erregt und von Reizen, die hinter dem Fixationspunkt liegen, gehemmt. FA-Neurone (Far-Neurone) werden von Reizen, die hinter dem Fixationspunkt liegen, erregt, und von davor liegenden Objekten gehemmt.

Neurone der Sehrinde, die der Verarbeitung der an einem Netzhautort vorliegenden Information dienen, können zu Modulen zusammengefaßt werden. Diese bilden funktionelle Einheiten innerhalb der Sehrinde. Ein Auge projiziert in die Sehrinde auf eine Gruppe binokularer Neuronen. Diese ist weiterhin nicht nur mit der korrespondierenden Netzhautstelle im Partnerauge verschaltet, vielmehr mit einem größeren Netzhautareal, das dem Panum-Bereich um den korrespondierenden Netzhautort herum entspricht. Die binokularen Neurone dieser Gruppe sind in Abhängigkeit von der Querdisparation, auf die sie spezifisch reagieren, gemäß einer Gauß-Kurve verteilt (Abb. 2). Deren Maximum wird durch die Neuronen bestimmt, die auf verschwindende Querdisparation ansprechen. Dem Maximum der Verteilung ist im Außenraum der Horopter zugeordnet. Mit zunehmender Querdisparation nimmt die Zahl der entsprechend sensitiven binokularen Neurone ab. Die Grenze der Panum-Bereiche ist dann gegeben, wenn die Querdisparation so groß ist, daß nicht mehr genügend binokulare Neurone aktiviert werden können.

Die Breite der Verteilungskurve und damit auch die Durchmesser der Panum-Bereiche hängen von der Exzentrizität des Netzhautortes ab. Ein Modul, das auf Netzhautorte in der Nähe der Foveola reagiert, zeigt eine schmälere Verteilungskurve als ein der Netzhautperipherie zugeordnetes Modul.

Das visuelle System erkennt den Horopter daran, daß ein Maximum an binokularen Neuronen in der Sehrinde aktiviert wird. Dies ist aufgrund der erwähnten Verteilung der binokularen Neurone dann der Fall, wenn Neurone aktiviert werden, die auf verschwindende oder sehr geringe Querdisparationen ansprechen. Die Augenstellung wird über die Augenmuskeln so gesteuert, daß dieses Maximum binokularer Aktivität erzielt wird.

Die beiden Augen tauschen innerhalb der Sehrinde von Modul zu Modul ihre Rolle als Referenz- bzw. Partnerauge. Dementsprechend sind diese Module mosaikartig über das gesamte Gesichtsfeld verteilt. Für jeden Punkt des Gesichtsfeldes berechnen die einzelnen Module aufgrund der Querdisparation die lokale Tiefe. Diese Tiefenbestimmung erfolgt zeitlich parallel in allen Modulen der Sehrinde. Die lokal für jeden Punkt des Gesichtsfeldes ermittelte Tiefe wird als lokale S. bezeichnet. Die klassischen Stereoteste, die auf querdisparat dargebotenen Linien oder Flächen beruhen, prüfen die lokale S. Aufgrund möglicher Wahrnehmung von Formen, Konturen u.ä. ist in diesen Fällen die Wahrnehmung der lokalen S. erleichtert. Die gleichzeitige Tiefenberechnung für viele Netzhautorte setzt eine höhere Integrationstätigkeit voraus. Die globale S. integriert die lokalen Stereoprozesse bei der sensorischen Fusion zu einem Gesamtbild in räumlich gestaffelter Tiefe. Sie wird mit Random-Dot-Tests geprüft.



Stereopsis 1: Elektrische Erregung binokularer Neurone in der Sehrinde als Funktion der Querdisparation nach Belichtung beider Augen (Erläuterung der Bezeichnungen der Neurone im Text). (Nach Poggio, Vision and Visual Dysfunction 9, 224, 1991).



Stereopsis 2: Verteilung binokularer Neurone in Abhängigkeit von der Querdisparation.

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