Metzler Philosophen-Lexikon: Mach, Ernst
Geb. 18. 2. 1838 in Turas/Mähren;
gest. 19. 2. 1916 in Haar bei München
»Das Ich ist unrettbar.« Dies ist eine der Folgerungen, die M. in seinem populär gehaltenen Buch Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen (1886) aus seiner dort vor allem erkenntnistheoretisch fundierten »Elementen-Lehre« zieht. Dieses Werk, das die in der natürlichen Umwelt erfahrbaren Dinge ebenso wie das Ichˆ als Komplexe darstellt, welche sich bei näherer Betrachtung als relativ unbeständig erweisen und in vorläufig nicht weiter reduzierbare Elemente zerfallen, erregte großes Interesse bei Schriftstellern wie Robert Musil und Hugo von Hofmannsthal, deren Ich- und Todesproblematik hier zentral berührt wurde. Bei Musil, der 1908 in Berlin mit einer erkenntnistheoretischen Arbeit über M. promovierte, schlägt sich dessen Einfluß am deutlichsten nieder. Musils Interesse an M. entspringt der Frage nach der Vereinbarkeit von Naturwissenschaft und Philosophie, doch vermag M.s Monismus – so Musils Kritik – diesen Dualismus letzten Endes nicht aufzuheben.
M. wuchs in ländlicher Umgebung nahe bei Wien auf. Der zeitweilige Einzelunterricht durch seinen Vater Johann M., einen Gymnasiallehrer, sowie seine Erziehung zu manueller Arbeit waren bestimmend für sein späteres pragmatisches Denken im erkenntnistheoretischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Es ist die schon als Schüler gemachte Erfahrung der Lektüre von Kants Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die M. das »Ding an sich« verwerfen und die antimetaphysische Haltung zu einer grundsätzlichen Voraussetzung seines wissenschaftlichen und weltanschaulichen Denkens werden ließ: »Etwa 2 oder 3 Jahre später empfand ich plötzlich die müßige Rolle, welche das Ding an sichˆ spielt. An einem heiteren Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden.«
Es ist typisch für M., daß er seine sinnesphysiologisch psychologischen und physikalischen Abhandlungen oft durch Erfahrungen und Erlebnisse aus seiner Kindheit oder seinem alltäglichen Leben erläutert und somit immer wieder unmittelbar die naive Erfahrung als Ausgangspunkt des Denkens und Forschens nimmt.
Ein weiteres prägendes Element seiner Kindheit waren die Sympathien der Eltern für die Revolution von 1848. Die daraus resultierende sozialliberale Haltung M.s, die er übrigens mit den meisten empiristischen Philosophen Österreichs teilte, und seine Vorliebe für Ideen der Aufklärung zeigen sich in seinen schulreformerischen und populär gehaltenen Schriften. M. begann 1855 an der Wiener Universität sein Studium der Physik und Mathematik, das er 1860 mit der Promotion abschloß; bereits ein Jahr später habilitierte er sich. M.s erste große Leistung der Experimentalphysik war die Erzeugung des sogenannten Doppler-Effektes im Laboratorium noch während seiner Wiener Dozentenzeit. In der Folge beschäftigte er sich, motiviert durch sein Interesse an der Wahrnehmung, mit der Sinnesphysiologie in Verbindung mit Physik, Physiologie und Psychologie. M. verband seine naturwissenschaftliche Arbeit immer mit erkenntnistheoretischen Fragen nach den Grundlagen der Wissenschaft. Sein bedeutendstes wissenschaftsgeschichtliches Werk ist Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt (1883). Die Kernaussage dieser Arbeit liegt in der Darstellung des Prinzips der Denkökonomie, demzufolge sich das Denken immer nach dem Prinzip des geringsten Aufwandes vollzieht: »Alle Wissenschaft hat nach unserer Auffassung die Funktion, Erfahrung zu ersetzen.« M.s Kritik an der Newtonschen Unterscheidung relativer und absoluter Räume, Zeiten und Bewegungen, die er als metaphysisch ablehnte, beeinflußte die Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins. Das Prinzip der Denkökonomie ist ebenfalls ein konstituierendes Merkmal des von M. hauptsächlich in der Analyse der Empfindungen entworfenen Empiriokritizismus. Der Empiriokritizismus ist eine erkenntnistheoretische Richtung des älteren Positivismus, der die Reduktion auf Empfindungselemente und deren funktionale Verknüpfung untereinander zur Voraussetzung objektiver Wissenschaft macht. Ich und Welt, Erscheinung und Ding (an sich) sind keine Gegensätze, vielmehr besteht alles aus gleichartigen Elementen, die nur jeweils unterschiedlich verknüpft sind: »Das Ding, der Körper, die Materie nichts außer dem Zusammenhang der Elemente.« Diese Gedanken M.s hatten vor allem Einfluß auf den logischen Empirismus des Wiener Kreises. Sie provozierten aber auch eine Streitschrift Lenins (Materialismus und Empiriokritizismus, 1909), die die zunehmende Rezeption M.scher Ideen im Austromarxismus und bei den russischen Marxisten verhindern sollte. 1896 wird M., der seit 1867 Professor für Physik in Prag war, nach Wien auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Philosophie – mit Schwerpunkt auf Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften – berufen; dort konnte er sich ganz seinen naturwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Interessen widmen. In diese Zeit fällt sein letztes wichtiges Buch Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung (1905). Dieses Werk bildete großenteils die Zusammenfassung seiner bisherigen wissenschaftlichen Tätigkeit. Anhand verschiedener Beispiele aus dem Bereich der Forschung wird »die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander« dargelegt. Der Erkenntnisprozeß stellt in erster Linie einen ökonomischen und biologischen Vorgang dar. M.s Prinzip der Denkökonomie sowie seine antiatomistische Haltung wurden zu zentralen Angriffspunkten der Positivismuskritik von Max Planck, dessen erkenntnistheoretische Überlegungen von der Annahme einer objektiven Realität unabhängig vom erkennenden Subjekt ausgehen. Trotz der teilweise polemisch geführten Auseinandersetzungen zwischen M. und Planck spricht es für die aufgeschlossene Haltung M.s, daß er in der dritten Auflage von Erkenntnis und Irrtum Friedrich Jodls Kritik an diesem Werk abdrucken ließ und wissenschaftlichen Erkenntnissen keine absolute Gültigkeit beimaß, denn: »Erkenntnis und Irrtum fließen aus den selben Quellen; nur der Erfolg vermag beide zu scheiden. Der klar erkannte Irrtum ist als Korrektiv ebenso erkenntnisfördernd wie die positive Erkenntnis.«
Blackmore, John (Hg.): Ernst Mach – A Deeper Look. Dordrecht 1992. – Stadler, Friedrich: Vom Positivismus zur »Wissenschaftlichen Weltauffassung«. Am Beispiel der Wirkungsgeschichte von Ernst Mach in Österreich von 1895 bis 1934. Wien/München 1982. – Bradley, John: Machs Philosophie der Naturwissenschaften. Stuttgart 1974.
Gesine Karge
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