Metzler Lexikon Philosophie: Gegensatz
In der Tradition der Philosophie hat der G. den Stellenwert eines Seinsprinzips. Bei Pythagoras findet sich der Grundgegensatz des Unbegrenzten und des Begrenzten, der in Anwendung auf die Zahlenlehre zur Unterscheidung von geraden und ungeraden Zahlen führt. Für Heraklit gilt neben der Annahme der Entgegensetzung alles Seienden auch die Annahme, dass das Gegensätzliche im Logos eine sinnvolle Einheit findet. Platon führt den G. zwischen Sein und Nicht-Sein als relativen oder komplementären G. an. Selbigkeit – Andersheit, Ständigkeit – Bewegung werden zu Grundbegriffen der Reflexion, um die Identität in der Differenz und die Einheit des Differenten zu begründen. Im spätplatonischen Philosophieren werden die gegensätzlichen Bestimmungen Einheit-Vielheit, Identität-Differenz in ihrer Relationalität thematisiert. Die von Aristoteles vorgenommene logische und semantische Klärung des G.es führt zu den G.en innerhalb derselben Gattung und zu dem ontologischlogischen Bezugssystem von Substanz-Akzidenz, Allgemeinem-Besonderem, Materie-Form, Möglichkeit-Wirklichkeit. Bei Plotin wird Gegensätzlichkeit und das Eine selbst zu einem G. Dem Einen wird jede Gegensätzlichkeit abgesprochen. Als die alles umfassende Einheit, d.h., als universeller Grund wird schließlich Gott gedacht. – Eine herausragende Bedeutung hat G. in der Philosophie des Dt. Idealismus in verschiedenen, miteinander zusammenhängenden Problemperspektiven eingenommen. Als G. zwischen Einheit des Denkens und Mannigfaltigkeit der sinnlichen Wahrnehmung wird bei Kant ein Problem thematisiert, dessen Lösung die transzendentale Synthesis der Apperzeption in Gestalt des »ich denke, das alle meine Vorstellungen begleiten können muß« darstellt. Für Fichte bildet die Identität des A = A eine logische Gewissheit der Identität des Vernunftsubjekts. Der logische Grundsatz gründet in dem transzendentalen »Ich bin Ich«. Eine intellektuelle Anschauung führt zu der Erkenntnis, dass das Ich die Identität von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt ist. Eine derartige Selbstkonstitution des Bewusstseins bleibt solange eine unbestimmte Identität, als nicht das Ich durch eine Tathandlung in sich die G.e von Sein und Nicht-Sein, von Realität und Negation, von Ich und Nicht-Ich in Beziehung setzt. Schelling thematisiert den G. von absolutem und endlichem Ich. In Schellings Denken steht das Bemühen um die Bestimmung des Absoluten im Vordergrund: Das Ich begreift im Begreifen seiner selbst das Absolute, wobei dieses als absolute Identität, als Einheit der G.e von endlich und unendlich, von Form und Wesen, von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt, von Indifferenz und Differenz zu fassen ist. Die Einheit der G.e im Absoluten wird durch die Reflexion geleistet. Im Sich-selbst-Denken affirmiert Gott als das absolute All. Hegels Logik zeigt durch eine ganze Reihe von Gegensatzpaaren hindurch: Sein-Nichts, Identität-Differenz, Ganzes-Teil, Freiheit-Notwendigkeit, Denken-Sein, Idee-Natur den Prozess des Logischen als dialektische Bewegung des Seins. Im Durchgang durch diese gegensätzlichen Bestimmungen erreicht die Vernunft den Punkt der absoluten Identität als reines Sich-selbst-Denken, in dem alles im Prozess erscheinende Gegensätzliche in sich aufgehoben ist. Der Prozess des Logischen wird mit Hilfe des G.es als einer Reflexionsbestimmung expliziert. Jede der in den G.en genannten Bestimmungen vollzieht eine Reflexion auf sich selbst, durch die sich aus der abstrakten Entgegensetzung ein konkreter G. entwickelt. Der Reflexionsprozess vollzieht sich jeweils in drei Schritten: (1) Die Bestimmung der Identität ist zunächst eine Reflexion auf sich selbst, indem es sich von dem anderen (bspw. das Sein von dem Nichts, das Endliche von dem Unendlichen) abgrenzt. Es bestimmt sich selbst, insofern es negativ auf seinen G., d.i. das Andere, bezogen ist. (2) Aus der Sichtweise des Anderen gedacht, erscheint es selbst als ein anderes, ein Negatives zu diesem Anderen und für dieses Andere. Es erkennt, dass jedem das positive und das negierende Moment eigen ist. (3) Aus dieser Erkenntnis heraus heben sich das Positive und das Negative als an sich selbständig Seiende bzw. als selbständig gewordene Seiten des G.es auf. In dieser Art der Selbständigkeit lösen sich die Bestimmungen auf (»gehen zugrunde«). Aus dem G. von Identität und Unterschied wird die Einheit von Identität und Verschiedenheit, d.h. die Identität beider, die darin gegeben ist, dass jeder sich selbst bestimmt, indem er auf das Andere seiner selbst bezogen ist. – Wenn zwei Aussagen sich gegenseitig ausschließen, d.h. wenn mindestens eine der beiden Aussagen falsch ist, spricht man in der klassischen Logik von einem konträren G., in der Aussagenlogik von Exklusion.
Literatur:
- J. G. Fichte: Die Wissenschaftslehre. Hamburg 1975
- M. Fulda: Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise. In: R.-P. Horstmann: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Frankfurt 1978. S. 124 ff
- G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Bd. 1. Kap. »Das Dasein«
- D. Henrich: Formen der Negation in Hegels Logik. In: Hegel-Jb. Bonn 1974
- D. Pätzold: Gegensatz. In: Europäische Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaften. Hamburg 1992.
PP
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