Metzler Lexikon Philosophie: Kognitionswissenschaft
(engl. cognitive science), ist ein interdisziplinärer Forschungsansatz zur Untersuchung des Geistes (mind) und intelligenter Tätigkeiten von Organismen (besonders des Menschen) und Maschinen. Die K. umfasst diesbezüglich Forschungszweige wie die kognitive Psychologie, künstliche Intelligenzforschung, Sprachwissenschaften, Neurowissenschaften, Anthropologie und Philosophie. Die Konstitution und Etablierung der K. war diesbezüglich abhängig von der Abgrenzung zum Behaviorismus, der die Psychologie auf die Erforschung von beobachtbaren Reizen und beobachtbaren Reaktionen (J. B. Watson) zu beschränken suchte. Dies änderte sich Mitte der 1950er Jahre u.a. aufgrund von N. Chomskys Kritik an behavioristischen Spracherwerbsmodellen. Dass gesunde Kinder eine vergleichsweise komplexe Grammatik mit großer Schnelligkeit entwickeln, deutet nach Chomsky darauf hin, dass Menschen hierzu besonders konstituiert sind. In seiner Grammatiktheorie ging Chomsky deshalb von einer angeborenen universellen Grammatik aus, die der Behaviorismus seiner Auffassung nach nicht zu erklären in der Lage ist. Einen wesentlichen Einfluss auf die künstliche Intelligenzforschung, die auch als Kern der K. seit den 1960er Jahren angesehen werden kann, entwickelte sich aus der Analogie zwischen dem menschlichen Geist und dem Computer. Noch bevor der erste Digitalcomputer gebaut wurde, hatte Alan Turing gezeigt, dass man für jede genau definierte Serie von formalen Operationen (wie in der Arithmetik) eine Turing Maschine bauen kann, die diese Operationen ausführt. Newell und Simon beschreiben den computationalen Zugang zur Intelligenz in ihrer physikalischen Symbolsystem-Hypothese diesbezüglich so, dass für ein physisches System die notwendige und hinreichende Bedingung für intelligentes Verhalten darin besteht, ein symbolverarbeitendes System zu sein. In der Philosophie ist dieses Computermodell des Geistes besonders auch in der Theorie des Computerfunktionalismus aufgegriffen worden. Allerdings gibt es in den K. eine anhaltende Debatte zu der grundlegenden Frage, ob Kognition tatsächlich allein im Hinblick auf syntaktischen Verarbeitungen von Symbolen zureichend erfasst wird. Aufgrund mancher Begrenzungen des symbolischen Modells, wie z.B. die Schwierigkeit solcher Systeme ihre Leistungsfähigkeit bei partiellen Beschädigungen nur graduell einzubüßen, ist in der K. seit den 1980er Jahren mit dem Konnektionismus ein zunehmendes Interesse an neuronalen Netzwerken entstanden. Dem entspricht ebenfalls ein verstärktes Interesse an der Hirnforschung, was sich in einem zunehmenden Austausch von Kognitions- und Neurowissenschaftlern niedergeschlagen hat. So sind im Rahmen der neuen bildgebenden Verfahren neue Messtechniken entstanden, die eine vielfältige Erforschung mentaler Prozesse auf neuronaler Ebene ermöglichen und so den Namen kognitive Neurowissenschaften rechtfertigen. Auch die Bedeutung der Körperlichkeit und des Umweltbezuges für mentale Prozesse findet in der K. eine immer stärkere Beachtung.
Literatur:
- W. Bechtel/G. Graham (Hg.): A Companion to Cognitive Science. Oxford/Massachusetts 1998
- A. Clark: Microcognition. Philosophy, Cognitive Science and Parallel Distributed Processing. Cambridge, Mass. 41993
- D. Münch (Hg.): Kognitionswissenschaft: Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Frankfurt 1992
- J. Searle: Geist, Hirn und Wissenschaft. Frankfurt 1986
- G. Strube (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft. Stuttgart 1996
- F. Varela: Kognitionswissenschaft, Kognitionstechnik. Frankfurt 1990.
CT
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