Metzler Lexikon Philosophie: Lust
das mit der Befriedigung eines Bedürfnisses einhergehende oder angenehme Gefühle und Stimmungen begleitende Empfinden. In der philosophischen Tradition wird zumeist zwischen niederen und höheren Formen der L. unterschieden. So stellt Platon im Philebos klar, dass ein Leben ohne L. für niemanden erstrebenswert ist und Eudaimonie daher nur in einem aus Vernunft und L. gemischten Leben erreichbar ist, lässt für diese Mischung aber nur die reinen, der Erkenntnis entspringenden Lustformen zu. In seinen Überlegungen zur Erziehung (Staat, Gesetze) stellt er L. und Unlust als grundlegende Empfindungen heraus, die das noch vorrationale Verhalten des Kindes prägen, so dass die Erziehung darauf zu achten hat, dass das Kind von früh auf am Guten Freude und am Schlechten Schmerz empfindet. Aristoteles sieht in der L. die Vollendung jeder Tätigkeit, weshalb alle Lebewesen nach ihr streben. Die L. kann unterschieden werden nach dem aktiven Seelenvermögen (sinnliches oder geistiges), wobei auch hier die höheren Formen der L. dem Geistigen entspringen. Für Epikur liegt L. im Freisein von körperlichem Schmerz und seelischer Unruhe (Furcht). Der Weg dazu besteht im Ausräumen falscher Meinungen (z.B. über die Götter: sie brauchen nicht gefürchtet zu werden, weil sie sich in den Weltlauf nicht einmischen), im Rückzug aus den politischen Geschäften und in der rechten Einschätzung des Zuträglichen (etwa dass übermäßigem Genuss zumeist noch größerer Schmerz folgt). Eine Taxonomie der L. beruht daher auf Vernunfteinsicht, weshalb auch nur die Lüste als höherwertig gelten, die der Vernünftige und sittlich Gereifte so beurteilt. – Die Tatsache, dass Lebewesen nach L. streben und Unlust (Schmerz) zu vermeiden suchen, sowie dass der Mensch L. als Erfüllung seiner Antriebe, Bedürfnisse und seines Zielstrebens als zu einem sinnerfüllten Leben dazugehörig begreift, lassen die L. als einen für die Ethik, Psychologie und Kulturtheorie wesentlich zu berücksichtigenden Faktor erscheinen. In der hedonistisch ausgerichteten Ethik Benthams fungiert L. als anzustrebender Wert in sich. Die Bewertung einer Handlung im Sinne eines Optimums an erzielbarer L. erfolgt durch ein differenziertes Kalkül, das Faktoren wie Dauer, Intensität, Wahrscheinlichkeit, Anzahl der Betroffenen zu berücksichtigen hat. – Freud sieht das fundamentale Lustprinzip (Streben nach L., Vermeiden von Unlust) im Menschen mit dem Realitätsprinzip konfrontiert, das die Einschränkungen der Lusterfüllung unter den Bedingungen der (gesellschaftlichen) Realität repräsentiert. Marcuse hat demgegenüber die Utopie einer Gesellschaft geltend gemacht, in der das Lustprinzip zur Erfüllung kommen könnte, wenn die soziale Organisation auf einer abgesicherten ökonomischen Basis neu gestaltet würde.
Literatur:
- Aristoteles: Nikomachische Ethik
- Epikur: Brief an Menoikeus
- M. Foucault: Histoire de la sexualité. 3 Bde. Paris 1976–1984 (dt. Sexualität und Wahrheit. 3 Bde. Frankfurt 1983, 1989)
- S. Freud: Jenseits des Lustprinzips. In: GW Bd. 13. London 1940
- H. Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt 1979
- Platon: Philebos.
FPB
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